Wagenknecht-Partei in zwei Regierungen«Ego-Projekt einer Populistin» macht in Deutschland Politik
Andreas Fischer
27.11.2024
Abwärtstrend: Warum schwächelt die Wagenknecht-Partei?
Berlin, 23.11.2024: Kaum ein Jahr alt und schon am Kabinettstisch – das Bündnis Sahra Wagenknecht feiert mit der ersten Koalitionsbeteiligung einen grossen Erfolg. Nicht nur in Thüringen, auch in Brandenburg wird das BSW wohl bald mitregieren.
Doch zugleich mehren sich Alarmzeichen für die junge Partei. Drei Monate vor der Bundestagswahl sinken bundesweit ihre Umfragewerte. Das Institut Forsa sah das BSW zuletzt bei nur noch 4 Prozent, genau halb so viel wie Anfang Juli.
Die Parteigründerin hält dagegen.
Wagenknecht erklärt:
«Es ist nichts Neues, dass mit Umfragen Politik gemacht wird. Dass Forsa uns pünktlich zum Start des Bundestagswahlkampfs miese Werte gibt, überrascht mich nicht.»
In anderen Umfragen stehe das BSW bundesweit bei 6 bis 8 Prozent.
Wagenknecht selbst sagt zum Formtief: «Ein wichtiger Grund war, dass es über die Regierungsbildung in Thüringen zu einem öffentlichen Konflikt kam.» Ende Oktober rügte die Parteigründerin ein Sondierungspapier, das ihre Unterhändlerin Katja Wolf mit CDU und SPD vereinbart hatte.
27.11.2024
Kaum ein Jahr alt und schon am Kabinettstisch – das Bündnis Sahra Wagenknecht feiert mit den ersten Regierungsbeteiligungen einen grossen Erfolg. Was bedeutet das für Deutschland?
Andreas Fischer
27.11.2024, 19:36
28.11.2024, 07:15
Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Das «Bündnis Sahra Wagenknecht» (BSW) gibt es erst seit Anfang Jahr: Dennoch sitzt die Partei schon in zwei Landesregierungen und ist zum Machtfaktor in Deutschland geworden.
Die Chefin und Namensgeberin will auch in den Landesverbänden die Politik bestimmen: Das kommt nicht überall gut an.
In Umfragen erzielt das BSW derzeit bescheidenere Ergebnisse als zuletzt.
An ihrem Daumen hängen Wohl und Wehe. Senkt sie ihn, platzen Koalitionen, noch bevor sie vereinbart sind. Hebt sie ihn, dann dürfen ihre Mitstreiter*innen in der Regierung mitmachen: Sahra Wagenknecht ist im BSW die oberste Instanz. Das überrascht kaum, ist sie doch Vorsitzende der Partei, die zudem ihren Namen trägt: «Bündnis Sahra Wagenknecht». Zusatz: «Vernunft und Gerechtigkeit».
Gegründet worden war die Partei erst im Januar 2024: Wagenknecht hatte sich mit ihren Anhängern von der Linkspartei abgespalten. Nach einem ersten Achtungserfolg bei den Europawahlen im Juni (6,2 Prozent) trat das BSW im Herbst in drei ostdeutschen Bundesländern bei den Landtagswahlen an.
Als Neuling in der politischen Landschaft wurde die Partei in Thüringen (15,8 Prozent), Sachsen (11,8 Prozent) und Brandenburg (13,5 Prozent) jeweils drittstärkste Kraft. Das bedeutet: Ohne das BSW können keine Mehrheiten gebildet werden, da alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD kategorisch ausschliessen.
Das BSW ist ein Machtfaktor, an den sich Deutschland erst gewöhnen muss. «Es ist zu bedauern, dass mit dem ‹Bündnis Sahra Wagenknecht› das Ego-Projekt einer Populistin erfolgreich war, deren aussenpolitischer Kurs dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gefallen dürfte», kommentierte die «Frankfurter Rundschau».
Ohne ihre Zustimmung geht nichts
Das BSW in der Regierungsverantwortung? Sahra Wagenknecht stellte Bedingungen für die Verhandlungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Keine weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine, keine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland, Corona-Aufarbeitung.
Dabei können aussenpolitische Themen gar nicht auf Länderebene entschieden werden und sind von Politikern dort auch nicht erwünscht. Warum sollten Meinungsverschiedenheiten über Dinge, die man nicht ändern kann, Sachfragen vor Ort gefährden?
Die BSW-Chefin machte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland dennoch klar, dass ohne ihre Zustimmung nichts geht: «Um eine starke Verhandlungsposition zu haben, müssen wir abgestimmt handeln. Und wir werden am Ende natürlich auch abgestimmt entscheiden: Reicht es oder reicht es nicht?»
Erster kleiner Aufstand gegen Wagenknecht
In zwei Bundesländern hat es offenbar gereicht. In Brandenburg stellten SPD und BSW am 27. November ihren Koalitionsvertrag vor. Man wolle nun mit einer knappen Mehrheit von zwei Stimmen gemeinsame Sache machen. Wagenknecht freute sich, dass ihre pazifistischen Ansätze im Koalitionsvertrag stehen.
Zuvor hatte das BSW in Thüringen einer Koalition mit SPD und CDU zugestimmt. Dort liefen die Verhandlungen allerdings nicht so glatt, standen zwischenzeitlich sogar vor dem Aus. Wagenknecht war unzufrieden mit den ersten Entwürfen, hatte schärfere Forderungen vor allem zu den Themen Krieg und Frieden gestellt.
Nun aber sei alles gut, hob Wagenknecht Ende vergangener Woche den Daumen. Der Koalitionsvertrag ihrer Partei mit CDU und SPD sehe «deutlich anders aus als das Sondierungspapier. Und darüber sind wir sehr froh», sagte sie in der ARD-Talkshow «Maischberger». Allerdings habe es dafür Druck geben müssen, so ihre Lesart.
«Brombeer-Koalition» ohne Mehrheit
BSW-Landeschefin Katja Wolf kommentierte das nicht weiter. Sie freute sich, dass es die drei Partner ungeachtet aller Unterschiede geschafft haben, einen «wirklich guten Koalitionsvertrag auf den Tisch zu packen».
In dem nun ausgehandelten Papier sei die BSW-Handschrift «klar erkennbar»: Begrenzung der Migration, Bekämpfung des Unterrichtsausfalls an Schulen, verpflichtende Sprachtests für Vorschulkinder, Handyverbot in der Kernschulzeit.
Ob sich alles umsetzen lässt, steht auf einem anderen Blatt: CDU, BSW und SPD haben im Thüringer Parlament 44 von 88 Sitzen. Ihre nach den Parteifarben benannte «Brombeer-Koalition» wäre damit bei Entscheidungen auf mindestens eine Stimme der Opposition – also von Linke oder AfD – angewiesen. Dennoch freute den Kommentatoren der «Frankfurter Rundschau», «dass Bündnisse jenseits einer rechtsextremen AfD in schwierigen Konstellationen möglich sind».
In Sachsen knickte das BSW ein
In Sachsen scheiterten die Verhandlungen mit dem BSW hingegen. Dort streben CDU und SPD mittlerweile eine Minderheitsregierung an. «Dass Frau Wagenknecht ihren sächsischen Leuten so die Beine stellt, ist keine gute Entwicklung», kommentierte der sichtlich zerknirschte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Das Ende sei überraschend gekommen und von der Bundespartei beschlossen worden.
Die sächsische Landeschefin des BSW beeilte sich hingegen klarzustellen, dass die Entscheidung zum Ende der Verhandlungen in Dresden fiel. Einzelne Positionen, räumte Sabine Zimmermann allerdings ein, würde man wie andere Parteien auch grundsätzlich mit der Bundespartei abstimmen. Wagenknecht selbst sei erst nach dem Ende der Sondierung über die Entscheidung informiert worden.
Abwärtstrend in den Umfragen
Nach dem vielversprechenden Start, der – ausser in Sachsen – mehr als geglückt ist, mehren sich mittlerweile aber erste Alarmzeichen für die junge Partei. Drei Monate vor der vorgezogenen Bundestagswahl sinken bundesweit ihre Umfragewerte. Das Institut Forsa sah das BSW zuletzt bei nur noch 4 Prozent, halb so viel wie Anfang Juli.
Die Parteigründerin lässt das äusserlich kalt: «Es ist nichts Neues, dass mit Umfragen Politik gemacht wird. Dass Forsa uns pünktlich zum Start des Bundestagswahlkampfs miese Werte gibt, überrascht mich nicht.»
In anderen Umfragen stehe das BSW bundesweit bei 6 bis 8 Prozent. Wagenknecht sagt zum Formtief: «Ein wichtiger Grund war, dass es über die Regierungsbildung in Thüringen zu einem öffentlichen Konflikt kam.»
Mit Agenturmaterial.
«Brombeerkoalition» in Thüringen: «Ein recht schwieriges Bündnis»
STORY: In Thüringen könnte es bald die erste Regierung mit Beteiligung des Bündnisses Sahra Wagenknecht geben. CDU, SPD und BSW stellten am Freitag in Erfurt ihren Koalitionsvertrag vor. Auf den Strassen der thüringischen Landeshauptstadt gab es gemischte Reaktionen. «Ich habe keine Erwartungen. Es war bis jetzt, so will ich mal sagen, auch nicht alles grossartig. Und für uns Rentner wird ja eh nichts gemacht.» «Ist ein recht schwieriges Bündnis für mich, gerade mit BSW die für mich... ja, es ist mit Geschmäckle. Die Frau Wagenknecht ist natürlich eine Frau, die sehr stark polarisiert mit ihren Aussagen und ich weiss nicht, ob es das beste Bündnis ist, was wir uns zusammengesucht haben. Immer noch besser als dass man die AfD da an der Spitze haben in der Regierung haben.» «Ich hoffe, dass da jede Partei zu ihrem Programm steht, dass sie das Durchsetzen, aber auch den anderen entgegenkommen. Ich glaube, das ist mit das Wichtigste, das wir der AfD, die eigentlich sagt, sie ist die Alternative, die aus meiner Sicht gar keine Alternative ist, eben Paroli bieten und sagen: Wir hatten eine braune Zeit, die brauchen wir nicht noch mal.» Bei der Landtagswahl Anfang September war die AfD, die vom Verfassungsschutz in Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, mit deutlichem Abstand stärkste Kraft geworden. Im neuen Landtag hätte die Brombeerkoalition nur 44 der 88 Sitze.