Iran und Pakistan beschiessen sich «Ein offener Krieg ist zurzeit unwahrscheinlich»

Von Dominik Müller

18.1.2024

Ein Sicherheitsbeamter hält Wache vor dem iranischen Kulturzentrum in der pakistanischen Stadt Hyderabad.
Ein Sicherheitsbeamter hält Wache vor dem iranischen Kulturzentrum in der pakistanischen Stadt Hyderabad.
Keystone

Der Iran beschiesst Pakistan, dieses feuert zurück. Die Sorge vor einem Flächenbrand in der Region wächst. Ein offener Krieg zwischen den Nachbarländern ist laut einem Experten derzeit aber unwahrscheinlich.

Von Dominik Müller

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  • Offensichtlich aus Vergeltung auf einen Militärschlag am Dienstag hat Pakistan am Donnerstag Raketen auf den benachbarten Iran gefeuert.
  • Die Angriffe haben laut den Aussenministerien jeweils Separatisten gegolten. Trotzdem wächst die Sorge vor einer Ausweitung des Krieges in der Region Nahost.
  • Islamforscher Reinhard Schulze hält einen offenen Krieg zwischen dem Iran und Pakistan aber derzeit für unwahrscheinlich.
  • Es gehe den Staaten darum, den schwelenden Konflikt um die zwischen Iran und Pakistan geteilte Region Belutschistan zu kontrollieren.
  • Allerdings habe sich die Rahmenordnung für kriegerische Konflikte seit dem russischen Angriff auf die Ukraine deutlich verändert. Der Krieg sei als Mittel zur Durchsetzung imperialer Interessen wieder rehabilitiert.

Noch am Dienstag hatten sich Irans Aussenminister Hussein Amirabdollahian und Pakistans Premierminister Anwar-ul-Haq Kakarbeim WEF in Davos getroffen. Die Nachbarländer hielten gerade eine gemeinsame Marineübung ab, die Zeichen standen auf Annäherung. Mittlerweile scheint alles anders: Zwei Tage, nachdem iranische Raketen auf pakistanischem Boden eingeschlagen waren, hat Pakistan am Donnerstag mit einem Luftangriff Ziele im Iran attackiert.

Beide Angriffe hätten Extremisten gegolten, wie die jeweiligen Aussenministerien betonen. Der Iran habe zwei Stützpunkte der radikalsunnitischen Separatistengruppe Jaish al-Adl, bekannt für zahlreiche Angriffe im Iran, in der pakistanischen Provinz Belutschistan zerstört. Dabei kamen nach pakistanischen Angaben zwei Kinder ums Leben.

Pakistan nannte Verstecke der Belutschischen Befreiungsfront in der Provinz Sistan und Belutschistan als Ziel. Laut der iranischen Nachrichtenagentur Irna kamen dabei insgesamt neun Menschen, darunter vier Kinder, ums Leben. Beide Länder verdächtigen sich gegenseitig, aufständische Terrorgruppen zu beherbergen.

Kampf um Kontrolle über Belutschistan

Seit dem Ausbruch des Kriegs in Nahost wächst die Sorge vor einem Flächenbrand in der Region. Dem Iran wird bereits eine Verstrickung durch die von ihm unterstützten Proxy-Organisationen Huthi im Jemen und Hisbollah im Libanon nachgesagt.

«Die gegenseitigen Angriffe lassen die Ahnung aufkommen, dass sowohl der Iran als auch Pakistan separatistische belutschische Gruppen nutzen, um den schwelenden Konflikt um die zwischen Iran und Pakistan geteilte Welt der Belutschen zu kontrollieren», sagt Islamforscher Reinhard Schulze.

Belutschistan ist eine geografische Region im iranischen Hochland, die sich über den Osten Irans, den Süden Afghanistans und den Südwesten Pakistans erstreckt. Sie ist zudem reich an Rohstoffen wie Öl und Gas. Der pakistanische Teil der Region findet sich in der Provinz Belutschistan, der iranische in der Provinz Sistan und Belutschistan wieder.

Grosse Teile der Provinz Belutschistan bestehen aus Wüsten.
Grosse Teile der Provinz Belutschistan bestehen aus Wüsten.
Imago

Vieles an der Konfliktstruktur erinnere gemäss Schulze an die Auseinandersetzungen in Kurdistan, wo der Iran auch kurdische Separatisten wie die PKK im Irak und der Türkei unterstützt, zugleich aber kurdische Separatisten in der iranischen Provinz Kurdistan massiv bekämpft. Die Lage in Kurdistan sei durch den Iran und die Türkei noch kontrollierbar, aber, «ob dies in gleicherweise auch in Belutschistan gelingt, ist fraglich».

Ukraine-Krieg hat Rahmenordnung verändert

Der belutschische Separatismus sei weniger ideologisch ausgefächert als der kurdische. Zudem sei der Territorialkonflikt zwischen Pakistan und dem Iran sehr viel ausgeprägter und profilierter als der Konflikt zwischen dem Iran und der Türkei.

Trotzdem sagt Reinhard Schulze: «Ein offener Krieg zwischen iranischem und pakistanischem Militär ist bislang eher unwahrscheinlich.» Beide Parteien betonen zudem, die Souveränität und territoriale Integrität des Nachbarlandes zu respektieren.

Allerdings habe sich laut Schulze die Rahmenordnung für kriegerische Konflikte seit dem russischen Angriff auf die Ukraine deutlich verändert: «Der Krieg wurde als Mittel zur Durchsetzung imperialer Interessen wieder rehabilitiert.»

Es werde davon abhängen, ob der Iran den aktuellen Konflikt nutzt, um eigene imperiale Ambitionen durchzusetzen, und ob Pakistan gewissermassen proaktiv einem solchen imperialen Ansinnen zuvorkommen möchte.

Sowohl der Iran als auch Pakistan sind enge Verbündete Chinas. Dieses rief derweil beide Seiten zu «Ruhe und Zurückhaltung» auf.