Liebesbesuche in BayernPutins Tochter reist jahrelang unerkannt in den Westen – russische Spione ebenso
von Herbert Aichinger
26.8.2022
Russen reisen als Touristen getarnt durch Europa – meist mit dem Ziel, die westliche Welt zu destabilisieren. Neue Enthüllungen zeigen: Selbst Putins Tochter konnte sich unbehelligt bewegen – samt bewaffneter Bodyguards.
von Herbert Aichinger
26.08.2022, 19:09
Von Herbert Aichinger
Der Krieg Russlands gegen demokratisch organisierte Staaten begann lange vor dem völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine. Alle, die online in den sozialen Medien unterwegs sind, konnten bereits seit Jahren beobachten, wie russische Troll-Fabriken alles daransetzen, durch Fake News Verwirrung zu stiften und «Wutbürger»-Bewegungen wie die «Querdenker» zu instrumentalisieren und auf ihre Seite zu ziehen.
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass russische Kräfte über Kanäle wie Russia Today, Telegram, Facebook und Youtube tagtäglich erfolgreich Zwietracht säen und im Westen die Deutungshoheit über politische Diskussionen zu erlangen suchen.
Orchestrierte Aktionen gegen demokratische Staaten
Doch das ist nur eine Seite. Seit Jahrzehnten arbeitet das Putin-Regime ganz gezielt daran, die westliche Welt zu destabilisieren – durch Spionage, Cyberangriffe oder Morde an Oppositionellen.
Spätestens seit der Internierung des Unternehmers Michail Chordokowski im Jahr 2003 und der Ermordung von Alexander Litwinenko und Anna Politkowskaja im Jahr 2006, also lange vor der Annexion der Krim 2014, hätte eigentlich klar sein müssen, dass Putins Russland keine pro-europäische, demokratische Agenda verfolgt.
Putins Tochter auf Liebesreise
Investigative Recherchen von «Spiegel», «Bellingcat», «The Insider», der italienischen Tageszeitung «La Repubblica» und der russischen Enthüllungsplattform Istories haben nun offengelegt, wie leicht es bislang für Putin-treue Russen war, in westliche Staaten einzureisen, dort Informanten anzuwerben, technische Projekte auszuspionieren, Regimegegner aufzuspüren und zu ermorden oder Informationen für gross angelegte Attacken auf die IT-Infrastrukturen von Behörden und Unternehmen zu sammeln.
In den Jahren 2016 bis 2020 ist Wladimir Putins Tochter Katerina Tichonowa wohl mehr als 20-mal von Russland nach Deutschland eingereist – mit mutmasslich bewaffneten Bodyguards. Ohne dass es den örtlichen Kontrollorganen aufgefallen wäre.
Katerina Tichonowa hat mehrmals in bayerischen Nobelhotels residiert – wohl vor allem, um ihren Geliebten Igor Selenski zu treffen, der 2016 zum Direktor des Bayerischen Staatsballetts berufen worden war. Selenski pflegt enge Beziehungen zum Kreml und zur Putin-Familie. Nach seiner Münchner Zeit wurde er in den Aufsichtsrat des nationalen russischen Kulturerbe-Fonds berufen. Eine seiner Aufgaben: auf der 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim ein Kulturzentrum zu errichten.
Einfach nur durchgewinkt
Nun wächst bei den deutschen Behörden das Bewusstsein dafür, dass sie bislang mit russischen «Touristen» zu nachlässig umgegangen sein könnten. Tichonowa konnte ebenso wie ihre bewaffneten Bodyguards unbehelligt nach Bayern einreisen und am Tegernsee residieren. Das wirft sowohl die Frage nach diplomatischen Gepflogenheiten als auch nach sicherheitsrelevanten Aspekten auf.
Mittlerweile regt sich Widerstand in Gemeinderäten gegen reiche Russen, die rund um den Tegernsee oder um Garmisch-Partenkirchen massiv in Immobilien investiert haben. Nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 stellt sich die Frage, welche russischen Vermögenswerte von den Sanktionen betroffen sind und welche nicht. Und dazu kommt die Frage: Welche Ziele verfolgen Russen mitten in Europa?
Russische Reisende mit staatlichem Auftrag
Laut «Spiegel»-Recherchen konnte mittlerweile ein Vielzahl von russischen Spionen in Europa enttarnt werden – so liessen sich auch einige der Personenschützer Tichonowas der Putin-Präsidentengarde FSO zuordnen. Der SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler kritisiert laut «Spiegel» denn auch, dass es bis heute keine Strategien gebe, die man russischen Spionage-Aktivitäten entgegensetzen könnte.
Roderich Kiesewetter, Aussenexperte der CDU im Bundestag, fordert deshalb, keine Touristen-Visa mehr an Russen auszustellen. «Ein Visa-Bann ist […] nicht bloss eine moralische Frage, sondern eine Frage unseres Sicherheitsinteresses.»
Kiesewetters Vorschlag kommt denn auch nicht ohne Grund: Laut «Spiegel» sollen allein an die 3000 Agenten des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR in Westeuropa operieren – viele davon als Diplomaten getarnt. Hinzu kommt Putins geheimes Killer-Kommando 29'155, das für politische Morde verantwortlich gemacht wird.
Cyberattacken auf öffentliche Infrastrukturen und Unternehmen
Russlands Angriff auf die Ukraine ging laut Spiegel mit einem Angriff auf die Internet-Infrastruktur des Kriegsgegners einher: Während man die Kommunikation des ukrainischen Militärs schwächen wollte, wurde gleichzeitig die Steuerung von deutschen Windkraftanlagen gestört, die ebenfalls auf den Diensten des US-amerikanischen Anbieters Viasat basieren. Laut Microsoft wurden seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine allein bis Juni russische Hackerattacken auf 128 Organisationen in 42 Ländern registriert – unter anderem auf Polen, Dänemark, Norwegen, Finnland, Schweden, die Türkei und weitere Nato-Länder.
Russische Spionage-Gefahr lange Jahre unterschätzt
Deutschland setzte jahrelang auf Entspannung und «Wandel durch Handel» und hat daher nach Putins friedfertiger Rede im deutschen Bundestag 2001 die Gefahr durch russische Spionage-Angriffe trotz der russischen Aggression gegen die tschetschenische Hauptstadt Grosny unterschätzt.
Immer wieder flogen seitdem in ganz Europa russische Spione auf, die etwa an Informationen über westliche Weltraumtechnologien oder auch an Insiderwissen über die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu russischen Kriegsverbrechen herankommen wollten.
Mittlerweile scheint das Bewusstsein für die Bedrohung durch russische Spionage-Aktivitäten in Europa gewachsen zu sein. So legte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser jüngst eine neue Cybersicherheits-Agenda vor, um die aktuelle Bedrohung besser in den Griff zu bekommen.