Brexit Der Wahlsieg macht aus Boris Johnson den grossen Zampano

Christoph Meyer, Silvia Kusidlo und Michael Donhauser, DPA

13.12.2019

Mit Donald Trump gehört Boris Johnson derzeit zu den grossen Populisten. Dem britischen Wahlvolk präsentiert er sich erfolgreich als Retter – aus einem Schlamassel, den er selbst massgeblich mit zu verantworten hat.

Boris Johnson hat sein Volk mehrfach belogen, er flog im Privatjet zu Wahlkampfterminen, er kämpfte aber auch unermüdlich wie ein Berserker für sein grosses Ziel. Genau dort ist der politische Zampano in der vergangenen Nacht angekommen. Die Wahl am Donnerstag hat Boris Johnson von der ewigen Witzfigur zu einer Persönlichkeit gemacht, die in Grossbritannien eine Ära prägen könnte – ob positiv oder negativ ist noch nicht klar.

Volltreffer

Es ist nicht die Art von Boris Johnson, Dinge hinter vorgehaltener Hand zu sagen. Er wolle lieber «tot im Graben» liegen, als eine Verlängerung der Brexit-Frist am 31. Oktober zu beantragen, tönte Johnson. Sein lauthals verbreiteter Slogan «Get Brexit Done» («Lasst uns den Brexit hinter uns bringen») erwies sich als Volltreffer – das genauso eingängige wie einfache Motto traf die Stimmung der von der Austrittsdebatte zutiefst genervten Briten und verfing vor allem in Arbeiterkreisen. Johnson löst für sein Volk nun ein Problem, das er selbst massgeblich verursacht hat.

Dafür, dass es überhaupt zu dem Urnengang kam, musste Johnson monatelang gegen die Windmühlenflügel des britischen Parlamentarismus kämpfen. Der inzwischen abgetretene Speaker John Bercow wurde zu seinem gewieften Gegenspieler im Unterhaus. Kaum hatte Johnson einen Plan, schien Bercow in den Untiefen der ungeschriebenen britischen Verfassung stets den passenden Paragrafen zum Konter zu finden.

«Get Brexit Done»: Der britische Premierminister Boris Johnson kann nach seinem Wahlerfolg endlich sein wichtigstes Versprechen erfüllen. 
«Get Brexit Done»: Der britische Premierminister Boris Johnson kann nach seinem Wahlerfolg endlich sein wichtigstes Versprechen erfüllen. 
Bild: DPA/AP/AFP/Ben Stansall

Doch auch das schüttelte Johnson ab. Genauso wie seine Eskapaden aus der Vergangenheit – die gescheiterten Ehen, die Spekulationen über uneheliche Kinder – bis hin zu Gewaltvorwürfen und massiven Problemen mit der Wahrheit. Als Journalist in Brüssel fälschte er einst Zitate und wurde von der «Times» gefeuert. Schon damals hatte er es auf die EU abgesehen.

Lange nicht ernst genommen

Beim Brexit setzte Johnson alles auf eine Karte. Den Brexiteers bei den Tories hatte neben dem wenig salonfähigen UKIP-Anführer Nigel Farage ein Frontmann gefehlt. Im Brexit-Wahlkampf 2016 ging er mit falschen Zahlen zu Werke und behauptete, Grossbritannien müsse wöchentlich 350 Millionen Pfund nach Brüssel überweisen.

Johnson war bis dahin als Londoner Bürgermeister zwar charismatisch aufgetreten – unvergessen blieb seine Fahrt während der Olympischen Spiele 2012 an einer Zip-Line, mit zwei britischen Fähnchen in der Hand, bei der er auf halber Strecke hängen blieb. Inhaltlich aber blieb Johnson bis dahin blass, politisch wurde der Mann, der angeblich als Junge schon «König der Welt» werden wollte, lange nicht ernst genommen.

Das Ziel fest im Blick

Von Theresa May 2016 als Aussenminister ins Kabinett geholt, agierte der Regierungs-Novize Johnson zunächst noch ohne Hausmacht in Westminster. Doch im unübersichtlichen Brexit-Chaos stieg der Mann mit der markanten Frisur schnell zum innerparteilichen Gegenspieler der glücklosen Premierministerin auf. Johnson sägte mit Feuereifer mit an deren Stuhl – und wurde Mays Nachfolger.

Seit Anfang September regiert er ohne Mehrheit im Parlament. Zum Markenzeichen seiner bislang kurzen Amtszeit als Premierminister wurde ein rücksichtsloses Vorgehen gegen innerparteiliche Gegner. Als eine Gruppe von zum Teil altgedienten Tories gegen die Regierung stimmte, warf er sie kurzerhand aus der Fraktion. Viele sehen darin die Handschrift des Wahlkampfstrategen Dominic Cummings, der gemeinsam mit Johnson schon 2016 Brexit-Wahlkampf machte.

Johnson fand gerade in der von Labour enttäuschten britischen Arbeiterschaft mit seinen populistischen Thesen Gehör. Dabei ist Alexander Boris de Pfeffel Johnson alles andere als ein Mann des Volkes. Er wurde in New York als Sohn eines erfolgreichen Beraters für Umweltfragen geboren. Sein Urgrossvater war der einstige türkische Innenminister Ali Kemal.

Ein Duett mit Trump?

Johnson war wohl schon als Kind klar, dass er für Höheres bestimmt sein sollte. Zur Schule ging er im Elite-Internat Eton nahe London. Beim wegen seiner körperlichen Härte berüchtigten Wall Game erlebte der junge Johnson sportliche Höhenflüge. Sein Geschichtsstudium absolvierte er an der renommierten Universität Oxford. Dass er dort unter anderem dem als besonders schnöselig verrufenen «Bullingdon Club» angehörte, störte die Wählerschaft nicht.

Das alles ist längst Vergangenheit und scheint einen wie Johnson nicht mehr einholen zu können. «Er will als derjenige gesehen werden, der das Land durch einen Blut-Schweiss-und-Tränen-Moment führt», wurde Johnson von dem belgischen Europaabgeordneten Philippe Lamberts charakterisiert – wie einst Winston Churchill.

Johnson könnte nun mit dem anderen grossen Populisten dieser Tage im Duett Politik machen. Donald Trump gehörte zu den ersten, die Johnson am Freitag gratulierten und eine neue Ära der Beziehungen zwischen Mutterland und den einstigen Kolonien einläuteten. Es gibt einige, die dieses Duo fürchten.

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