Rollendes Pulverfass Deshalb fliegt bei russischen Panzern so häufig der Turm weg

uri

23.4.2022

Scharfe Munition und Sprengfallen

Scharfe Munition und Sprengfallen

STORY: Ukrainische Soldaten auf gefährlicher Mission. Reservisten der örtlichen Einheiten waren am Donnerstag östlich der Hauptstadt Kiew unterwegs, um dort, im Dorf Novyi Bykiv nach Minen, Sprengfallen und scharfer Munition zu suchen. Ein Soldat, der anonym bleiben wollte, beschreibt die Situation: «In einigen Häusern gibt es Sprengfallen. Die Russen hatten dort übernachteten. Die Sprengfallen waren da, damit sich niemand nähert. Und dann haben sie sie nicht entfernt.» Dieses ukrainische Dorf wurde bereits zu Beginn der Invasion am 27. Februar von russischen Truppen besetzt. Nach Angaben von Einheimischen wurde das Dorf als Stützpunkt für Panzer und Artillerie genutzt, bis es von der ukrainischen Armee Anfang April zurückerobert wurde. Der russische Angriffskrieg dauert nun bereits rund 50 Tage an und ein Ende ist nicht absehbar. Alle Verhandlungen für eine Waffenruhe scheiterten bisher.

22.04.2022

Russische Panzer, die förmlich enthauptet wurden, ihr Geschützturm weggesprengt – ein häufig gesehenes Bild aus dem Krieg in der Ukraine. Grund für das Phänomen ist nicht nur die Treffsicherheit ukrainischer Soldaten.

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Die russischen Verluste in der Ukraine sind hoch. Laut der Schätzung der ukrainischen Onlinezeitung «The Kyiv Independent» sind im seit dem 24. Februar dauernden Krieg inzwischen nicht nur mehr als 20'000 Soldaten gefallen oder verletzt, sondern auch 838 Panzer zerstört worden.

Gleichwohl die Angaben der Quelle nicht zu verifizieren sind, fallen die vielen Bilder komplett zerstörter russischer Panzer in der Ukraine auf. Und hier sticht vor allem auch ein Detail ins Auge: Häufig ist der Geschützturm der rostenden Panzer fort gesprengt und liegt meterweit entfernt.

Mitverantwortlich für die extremen Schäden an den russischen Kampfmaschinen ist eine technische Besonderheit, die ihnen ursprünglich einen Vorteil verschaffen sollte.

Schon zu Sowjetzeiten entwickelt

Die in der Ukraine häufig im Einsatz stehenden Panzer der Typen T-72 und T-80 wurden noch zu Sowjetzeiten entwickelt und seither häufig modifiziert. Gemeinsam ist ihnen, dass sie über eine Ladeautomatik für ihre Kanone verfügen, die sie nicht nur kleiner und leichter macht, sondern auch die Besatzung auf drei Mann verkleinert, weil man keinen Ladeschützen mehr benötigt.

Obendrein kann etwa der seit dem Jahr 1972 gebaute T-72 durch seine Ladeautomatik rund alle drei Sekunden aus einem Magazin mit 44 Schuss feuern. Bei anderen Panzern dauert das erheblich länger, weil hier umständlich von einem Ladeschützen manuell nachgeladen werden muss, wie der «Spiegel» berichtet.

Ein Mann betrachtet Mitte April in der Region Kiew einen Geschützturm eines explodierten russischen Panzers.
Ein Mann betrachtet Mitte April in der Region Kiew einen Geschützturm eines explodierten russischen Panzers.
Bild: Keystone

Die technische Innovation aus Zeiten des Kalten Kriegs hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: In den Panzern sitzen Kommandant und Richtschütze im Turm direkt über der Munition, während der Fahrer das Ladekarussell in seinem im Rücken hat. Wird die Panzerung durch gängige Panzerabwehrwaffen durchschlagen, sind die Folgen für die Mannschaft verheerend. «Dann sitzt die Crew buchstäblich auf einem Pulverfass», fasst der Militärhistoriker Ralf Raths vom Panzermuseum in Munster das Problem gegenüber dem Nachrichtenmagazin prägnant zusammen.

Wer im Panzer sitzt, hat keine Überlebenschancen

Häufig explodiert nach erfolgreichem Beschuss entsprechend die gesamte Munition im Panzer. Die Wucht der Detonation sind laut «Spiegel» mitunter dann so heftig, dass sich der Gefechtsturm «aus dem Ring in der Panzerwanne löst und von der Wanne fliegt». Die Panzer-Crew habe in einem solchen Fall so gut wie keine Überlebenschance.

Westliche Panzer seien hingegen anders gebaut, weil man hier andere Prioritäten gesetzt habe. Neben einem möglichst hohen Schutz der Besatzung gehe es etwa auch darum, sie möglichst rasch und einfach wieder reparieren zu können. Die russische Militärdoktrin setze hingegen aus historischer Sicht auf günstige Massenproduktion und quantitative Überlegenheit auf dem Schlachtfeld, schreibt der «Spiegel».

Allerdings plane Russland im Zuge seiner ambitionierten Rüstungsprogramme auch einen besseren Schutz der Panzerbesatzung. Beim modernsten russischen Kampfpanzer T-14 Armata, der seit dem Jahr 2010 entwickelt wird, werde die Ladeautomatik wohl zugunsten der Sicherheit verändert, weiss der «Spiegel». Der Geschützturm sei bei dem neuen Modell nicht mehr bemannt und die Besatzung selbst befinde sich in einer gepanzerten Kapsel. Wann das Modell – das angeblich umgerechnet rund 7,3 Millionen Franken pro Stück kosten soll – in den Dienst gestellt wird, steht jedoch noch in den Sternen.

Auf einer Strasse nach Kiew liegt das Wrack eines russischen Panzers – ohne Geschützturm. 
Auf einer Strasse nach Kiew liegt das Wrack eines russischen Panzers – ohne Geschützturm. 
KEYSTONE