Politik Deutschland will Kiews Flugabwehr stärken – Schwierige Gefechtslage

SDA

16.10.2022 - 16:24

ARCHIV - Ein Fachbesucher betrachtet auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA ein Flugabwehr-Waffensystem vom Typ IRIS-T SLS, einer Komponente des Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM, der Firma Diehl. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
ARCHIV - Ein Fachbesucher betrachtet auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA ein Flugabwehr-Waffensystem vom Typ IRIS-T SLS, einer Komponente des Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM, der Firma Diehl. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Keystone

Rund acht Monate nach der russischen Invasion will die deutsche Regierung die Ukraine vor allem beim Ausbau ihrer Luftverteidigung unterstützen. Dies sei aktuell wichtiger als die seit Monaten diskutierte Lieferung von Kampfpanzern, sagte Aussenministerin Annalena Baerbock am Wochenende. Hintergrund sind massive Raketenangriffe Russlands auf Kiew und andere ukrainische Grossstädte zu Wochenbeginn.

Aus der sogenannten Volksrepublik Donezk in der Ostukraine meldeten die von Russland gelenkten Separatisten, dass es dort 40 ukrainische Attacken innerhalb von 24 Stunden gab, darunter auch auf die Stadt Donezk. Im Südwesten Russlands wurden auf einem Truppenübungsplatz nahe der ukrainischen Grenze laut Militär bei einem Schusswaffenangriff mindestens elf Menschen getötet.

Moskau nennt Schüsse auf Militärgelände «Terroranschlag»

Bei einem Angriff auf dem Truppenübungsplatz bei Belgorod, wo Rekruten für den Krieg vorbereitet wurden, schossen nach Darstellung des russischen Verteidigungsministeriums zwei Männer bei einem Schiesstraining auf Soldaten. Dabei habe es elf Tote gegeben, auch die Täter seien getötet worden. Mindestens 15 Menschen wurden überdies verletzt, wie die Staatsagentur Tass meldete. Moskau sprach von einem Terroranschlag. In anderen russischen Medien war sogar von bis zu 22 Toten die Rede.

Zwei Bürger eines GUS-Staates hätten geschossen, teilte das Ministerium mit, ohne Details zu nennen. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist ein loser Staatenverbund ehemaliger Sowjetstaaten.

Russlands Präsident Wladimir Putin will rund 300 000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die dort noch besetzten Gebiete zu halten. Nach der vor fast einem Monat verkündeten Teilmobilmachung war es zu Protesten in Russland und der Flucht von Hunderttausenden Russen aus ihrer Heimat gekommen.

Separatisten in Donezk: Verwaltungsgebäude stark beschädigt

Die kremltreuen Separatisten in der Ostukraine meldeten, beim Beschuss der Stadt Donezk durch die ukrainische Armee sei ein Verwaltungsgebäude stark beschädigt worden. Bürgermeister Alexej Kulemsin sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge, mindestens zwei Menschen seien verletzt worden. Insgesamt habe es 40 Angriffe auf Ziele in der von Russland anerkannten «Volksrepublik Donezk» innerhalb von 24 Stunden gegeben. Unabhängig bestätigen liessen sich die Angaben nicht. Die Industriestadt Donezk steht schon seit 2014 unter Kontrolle der Separatisten.

Baerbock: Panzerfrage drängt derzeit nicht so

Baerbock sagte dem Sender Phoenix, Anfang der Woche hätten zum Glück die Hälfte der russischen Raketenangriffe auf Kiew abgefangen werden können – «auch dank unserer Waffenlieferungen vor Ort». Daher werde es «gerade im Luftverteidigungsbereich weitere Unterstützung geben».

Am Boden habe die Ukraine mit den zuletzt erfolgten Ringtauschen dagegen gerade die Panzer, die sie dringend brauche. Zusätzlich seien viele russische Panzer erbeutet worden, die jetzt genutzt werden. «Deswegen drängt die Panzerfrage derzeit nicht so, sondern vor allen Dingen die Luftverteidigungsfrage.» Kurz nach den neuen Raketenangriffen hatte Deutschland Mitte der Woche ein erstes Flugabwehrsystem Iris-T SLM an Kiew übergeben.

Ukraines Atombehörden-Chef: Lage in Saporischschja weiter schlecht

In dem von russischen Truppen besetzten Kernkraftwerk Saporischschja verschlechtert sich die Situation nach Worten des ukrainischen Atombehörden-Chefs mit jeder Woche. Die Besatzer hätten unter anderem das Verwaltungsgebäude, ein Schulungszentrum und einen Block des AKW beschädigt, sagte Petro Kotin dem ZDF. Sie lagerten Ausrüstung und Lastwagen, was grosse Brandgefahr schaffe. «Niemand weiss, was sich in diesen Lastwagen befindet.»

Etwa 100 Menschen seien gefangen genommen worden, von anderen wisse man nicht, was mit ihnen passiert sei. Den Menschen sei es verboten, das Gebiet zu verlassen. Auf dem Gelände in und um das Kraftwerk sind immer wieder Artilleriegeschosse eingeschlagen, wobei beide Seiten sich gegenseitig für den Beschuss verantwortlich machen.

Russland schickt Truppen nach Belarus

Die angekündigte Aufstellung einer gemeinsamen regionalen Truppe von Russland und Belarus kommt voran. Moskau hat inzwischen erste Soldaten in das Nachbarland geschickt. Die russische Agentur Tass zitierte einen Sprecher des Minsker Verteidigungsministeriums, wonach die Gesamtzahl knapp als 9000 Soldaten betragen werde.

Russland: Neue Angriffe gegen Militärziele und Energieversorgung

Russland wehrte nach eigenen Angaben den Vorstoss ukrainischer Truppen in einigen Regionen ab und zerstörte seinerseits mehrere Munitionslager der ukrainischen Armee. Unter anderem seien im Raum Charkiw drei US-Haubitzen vom Typ M777 getroffen worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau russischen Agenturen zufolge mit.

Russland habe seine Angriffe gegen militärische Ziele und die Energieversorgung mit «Präzisionswaffen» fortgesetzt. Ein Sprecher sprach von deutlichen Verlusten für die Ukraine. Berichte aus den Kampfgebieten können nicht unabhängig geprüft werden.

Ehemaliger US-General: Befreiung der Krim bis Sommer möglich

Der ehemalige US-General Ben Hodges hält eine Befreiung der von Russland besetzten Halbinsel Krim schon bis zum Sommer für möglich. Die Lage der Russen werde mit jeder Woche schlechter. «Man sagt, Krieg sei ein Test des Willens und der Logistik – und in beiden Punkten ist die Ukraine weit überlegen», sagte der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Army in Europa der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Sonntag). Auf die Frage: «Wie kann dieser Krieg enden?» antwortete der frühere Drei-Sterne-General: «Die Russen müssen verlieren – sonst versuchen sie es in zwei oder drei Jahren wieder.»