Die vier Kardinalfragen nach US-AngriffKommt die iranische Atombombe jetzt erst recht?
Philipp Dahm
25.6.2025
Trump: Irans Atomanlagen zerstört – Neue Angriffe auf Israel
Washington/Teheran/Tel Aviv, 22.06.2025: Die USA greifen in den Krieg im Iran ein und bombardieren Atomanlagen. Der Iran droht mit Konsequenzen -der Konflikt weitet sich dramatisch aus.
«Die Ereignisse von heute Morgen sind ungeheuerlich und werden dauerhafte Folgen haben», das schreibt Irans Aussenminister Abbas Araghtschi auf X. Irans mächtige Revolutionsgarden, die Elitestreitmacht des Landes, feuerten erneut Dutzende Raketen auf Israel. Nach Angaben des örtlichen Rettungsdienstes wurden 16 Menschen verletzt.
Die USA hatten Stunden zuvor an der Seite Israels in den Krieg eingegriffen und laut US-Präsident Donald Trump Irans «entscheidende Anlagen zur Uran-Anreicherung» komplett zerstört. Nach Einschätzung der internationalen Atombehörde IAEA wurde keine Strahlung ausserhalb der Einrichtungen freigesetzt.
22.06.2025
Hat der US-Schlag gegen den Iran das Atom-Arsenal der Mullahs wirklich zerstört? Setzen die nach den Attacken erst recht auf die Bombe? Wie soll verhandelt werden? Und greifen nun auch andere nach Nuklearwaffen?
«Wir führen keinen Krieg gegen den Iran, John», erklärt US-Vizepräsident JD Vance «ABC News»-Moderator Jonathan Karl. «Wir führen Krieg gegen das iranische Atom-Programm.» Und dieses Ziel will Donald Trump mit seinem Luftangriff am 22. Juni erreicht haben. Heisst das: Mission Accomplished?
Vance weicht im TV der Frage aus, ob Teheran in dieser Sache definitiv am Ende sei: «Wir wissen, dass wir das iranische Atom-Programm erheblich zurückgeworfen haben. Ob es nun auf Jahre ist oder darüber hinaus: Es wird sehr lange dauern, bis der Iran eine Atomwaffe bauen kann.»
Iranischer Bestand von 60 Prozent angereichterem Uran, das relativ schnell auf die 90 Prozent konzentriert werden kann, die eine Atombombe benötigt.
IAEA/Institute for the Study of War
Und was sagt Vance dazu, dass sein Boss behauptet, Fordo sei «ausradiert» worden, während das Pentagon «schwere Schäden» meldet? «Schwer beschädigt oder ausradiert – ich weiss nicht genau, was der Unterschied ist», antwortet der 40-Jährige. Die Details seien vertraulich.
Die «New York Times» berichtet dagegen unter Berufung auf israelische Geheimdienst-Kreise, die Mullahs hätten 400 Kilogramm angereichertes Uran aus Fordo abtransportiert, nachdem Trumps Drohungen sie alarmiert haben. «Die Iraner hatten Zeit, die Zentrifugen abzuschalten und vielleicht zu entfernen», glaubt auch Jeffrey Lewis vom Middlebury Institute.
Huthis zeigen am 13. Juni in Sanaa im Jemen ein Banner mit Iranern, die von Israel getötet wurden – ganz links und rechts sind die Atom-Wissenschaftler Mohammad Tehranchi und Fereydoun Abbasi-Davani zu sehen: Haben die ihr Wissen mit ins Grab genommen?
KEYSTONE
«Ich verstehe, dass Fordo für die Menschen eine symbolische Bedeutung hat», mahnt der US-Politologe im Londoner «Independent», «aber es ist bei weitem nicht die einzige unterirdische Anlage, die mit dem iranischen Atom-Programm in Verbindung gebracht wird.»
Irans Bombe: Jetzt erst recht?
Nimmt das Regime nun Abstand von seinem Nuklear-Vorhaben? Teheran könnte mit seinem Uran-Vorrat «in ein paar Monaten» Atomwaffen herstellen, spekuliert Nicholas Miller vom Dartmouth College.
«Die iranische Führung könnte die Entwicklung von Atomwaffen als die beste Versicherung gegen einen von aussen unterstützten Regimewechsel betrachten», sagt der Politologe dem «Independent».
Medvedev: A number of countries are ready to directly supply Iran with their own nuclear warheads.
Jeffrey Lewis denkt ähnlich: «Der Iran ist seit etwa 2007 nur noch wenige Monate von einer Atomwaffe entfernt. Es ist klar, dass es nicht die technischen Fähigkeiten sind, die sie davon abhalten, ein paar Monate weiterzukommen, sondern ihr politischer Wille.»
Lewis denkt, «dass der Verlust an technischer Kapazität durch den grösseren politischen Willen mehr als ausgeglichen wird.» Kelsey Davenport von der Arms Control Association glaubt, der Iran werde jetzt «politisch viel eher nach Atomwaffen streben». Jene Stimmen im Iran, die Atomwaffen zur Abschreckung fordern, «werden nun nur noch stärker».
Wie raus aus der diplomatischen Sackgasse?
Das unter US-Präsident Barack Obama aufgelegte Wiener Abkommen über das iranische Atom-Programm (JCPOA) hat die Menge des iranischen Urans insgesamt deutlich reduziert, bis Trump 2018 aus dem Plan aussteigt und neue Sanktionen beschliesst – und der Iran wieder aufholt.
🇮🇷 - Iran’s nuclear programme is expanding rapidly in size and sophistication • Programme has 27 times as much enriched uranium as was permitted under JCPOA • That stockpile, some of which is enriched to 60% purity, is enough for about three bombs pic.twitter.com/VLT5QdJjPp
Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) hat durch das JCPOA einen guten Überblick über Irans Uran-Bestände und die entsprechenden Anlagen gehabt, in denen der Rohstoff verarbeitet wurde. Das fiel ab 2018 weg – und nun tappt die Behörde völlig im Dunkeln. «Der Iran hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass er dieses Material geschützt hat», sagt IAEA-Leiter Rafael Grossi mit Blick auf das Arsenal angereicherten Urans.
Das Kontrollsystem unter dem Wiener Abkommen über das iranische Atomprogramm alias Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) bis 2017.
IAEA
Jetzt hat Donald Trump zunächst Israel seinen Segen zu geben, den Iran anzugreifen, während Washington noch mit Teheran über das Atom-Programm verhandelt hat – nur um bald darauf selbst die entsprechenden Anlagen zu bombardieren. Eignet sich das Weisse Haus jetzt noch als Fundament für Gespräche mit den Mullahs? Kelsey Davenport ist skeptisch.
«Die Entscheidung der USA, den Iran mitten im Verhandlungsprozess anzugreifen, bevor die Diplomatie ausgeschöpft war, hat die Glaubwürdigkeit der USA zerstört und wird ernsthafte Fragen aufwerfen, ob man den USA zutrauen kann, wieder in gutem Glauben zu verhandeln», meint die Expertin.
Atomwaffen: Wer will nochmal, wer hat noch nicht?
Iran will nicht mehr mit der IAEA kooperieren. Das Land hat ausserdem mit dem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag gedroht, nachdem das Land angegriffen worden ist. Erin Dumbacher von der New Yorker Denkfabrik Council of Foreign Relationswarnt vor Nachahmern.
Andere Staaten «könnten zu dem Schluss kommen, dass die internationale Transparenz ihrer Atom-Programme für ein ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats wie die Vereinigten Staaten keine Rolle spielt und nur Risiken mit sich bringt, die sie nicht eingehen wollen», sagt die Expertin.
dpa
Auch Mark Fitzpatrick von der Londoner Denkfabrik International Institute for Strategic Studies ist «sehr besorgt», sagt er «Al Jazeera»: «Wenn Iran aus dem Atomwaffensperrvertrag aussteigt, ist das ein Signal, dass der Iran im Geheimen Nuklearwaffen entwickeln will. Saudi-Arabien würde darüber nachdenken, auch auszusteigen. Und es könnte andere Länder geben.»
In der Ukraine reden Abgeordnete inzwischen öfter über die «nukleare Option», sagt Vlad Mykhnenko von der University of Oxford dem «Times Radio». Im Westen des Landes liefen noch Atommeiler, die Plutonium produzieren könnten.
«Bill Clinton hat sich kürzlich dafür entschuldigt und gesagt, dass es ein strategischer Fehler war, die Ukraine zu denuklearisieren», sagt der ukrainische Professor mit Blick auf das Budapester Memorandum, in dem Kiew Atomwaffen abgeschworen hat.
Das rückgängig zu machen, könnte für Wolodymyr Selenskyj «wahrscheinlich eine der Optionen sein, nachdem Trump eine Nato-Mitgliedschaft ausgeschlossen hat.»
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Iranische Medien melden israelische Angriffe nahe der Sassaniden-Stätte Taq-e Bostan – laut Archäologen drohen irreversible Schäden. Warum Kriege oft Kulturstätten treffen, erklärt dir blue News im Video.