Coronakrise Die Angst vor dem Virus ergreift die USA

Von Jürgen Bätz, dpa/uri

23.3.2020

Die USA schienen zunächst vom Coronavirus verschont zu bleiben. Jetzt steigen die Fallzahlen dafür rapide an. Mit Blick auf die Todeszahlen in Europa geht die Angst um.

Die Strassen sind leergefegt, Passanten und der normalerweise dichte Verkehr haben der Angst vor dem Virus Platz gemacht. Innerhalb von zehn Tagen ist das neuartige Coronavirus von einem Problem im fernen Asien und Europa zu einer amerikanischen Krise geworden. Die Zahl der Erkrankungen ist etwa um den Faktor 20 in die Höhe geschnellt, Schutzmasken und Beatmungsgeräte werden knapp.

Von New York bis nach Los Angeles an der Westküste unterliegt fast ein Drittel der 330 Millionen Amerikaner Ausgangsbeschränkungen. Viele Menschen fürchten wegen des wirtschaftlichen Einbruchs jetzt auch um ihre Jobs. Die USA sind ein Land im Ausnahmezustand.

«Wenn wir den Leuten nicht sagen, zu Hause zu bleiben und ihr Verhalten zu ändern, dann haben wir Zehntausende Todesfälle mehr», warnte der Gouverneur des Bundesstaates Illinois, JB Pritzker, am Sonntag im Gespräch mit dem Nachrichtensender CNN. Der Staat hat für seine rund 13 Millionen Einwohner, inklusive der Grossstadt Chicago, eine weitgehende Ausgangssperre verhängt.

Im Zuge der Coronavirus-Pandemie sind auch die Waffenverkäufe in den USA sprunghaft angestiegen: Eine Frau in Smyrna, Georgia, deckt sich mit Schiesseissen und Munition ein. 
Im Zuge der Coronavirus-Pandemie sind auch die Waffenverkäufe in den USA sprunghaft angestiegen: Eine Frau in Smyrna, Georgia, deckt sich mit Schiesseissen und Munition ein. 
Bild: Keystone

Im ganzen Land sind bereits mehr als 7’000 Soldaten der Nationalgarde im Einsatz gegen das Virus, die Streitkräfte bereiten sich bereits auf weitere Missionen vor. Vielerorts fehlt es an den nötigen Coronavirus-Tests, weswegen das Ausmass der Epidemie in den USA wohl noch nicht absehbar ist.

Krisenherd New York

Der Bundesstaat New York ist bislang mit mehr als 15'000 SARS-CoV-2 Infektionen landesweit am schlimmsten betroffen. In der Metropole New York sind die meisten Geschäfte und viele Restaurants geschlossen, die Krankenhäuser sagen alle nicht-notwendigen Eingriffe ab.

Die Stadt bemüht sich verzweifelt, mehr Intensivbetten zu schaffen. Ein Lazarettschiff des US-Militärs mit 1’000 Betten soll bald eintreffen. Zudem soll das Militär unter anderem in einem Messezentrum in Manhattan ein Notlazarett mit nochmals bis zu 1’000 Betten einrichten, weitere sind für angrenzende Gebiete im Staat New York angefordert.

«Wenn wir diese Einrichtungen bilden, werden wir Leben retten. Wenn nicht, werden Menschen sterben», erklärte Gouverneur Andrew Cuomo vor Journalisten. Gleichzeitig appellierte er an die knapp neun Millionen Menschen in New York, sich an die Ausgangsbeschränkungen zu halten, nachdem es am Samstag bei Frühlingswetter zu Menschenansammlungen in öffentlichen Parks gekommen war. «Das ist kein Witz.» Wer sich nicht daran halte, bringe alle in Gefahr.

«Das ist nicht das Leben, wie wir es gewohnt sind», sagte Cuomo. Etwa 40 bis 80 Prozent der Bevölkerung würden in den kommenden Monaten infiziert werden, warnte er.

Fast gar kein Verkehr herrscht derzeit im sonst so betriebsamen New York. 
Fast gar kein Verkehr herrscht derzeit im sonst so betriebsamen New York. 
Bild: Keystone

Fotos aus Chicago und Los Angeles zeigten unterdessen fast leere mehrspurige Strassen, in Florida waren nach behördlichen Anordnungen menschenleere Strände zu sehen. Kirchen blieben in vielen Landesteilen geschlossen, Gottesdienste gab es vor allem über Livestream. Eine katholische Kirche im Bundesstaat Maryland wiederum öffnete ihren Parkplatz für Beichten: Ein Gläubiger kann dort halten und ein Pfarrer nimmt – in vorgeschriebener Sicherheitsentfernung von etwa zwei Metern – dann die Beichte ab.

Fehlende Schutzkleidung

Bis Sonntagabend waren in den USA gut 30'000 Menschen mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert, es wurden etwa 400 Todesfälle gemeldet. Die Fallzahlen stiegen weiter rasant an, vor allem in New York.

Dort warnte Bürgermeister Bill de Blasio, dass den Krankenhäusern deswegen schon bald Masken und Schutzkleidung ausgehen würden. Die Stadt brauche dringend die Hilfe der Regierung in Washington. «Wenn wir in den nächsten zehn Tagen nicht mehr Beatmungsmaschinen bekommen, werden Menschen sterben, die sonst nicht sterben müssten», sagte er im Gespräch mit CNN.

«Das ist die neue Realität in den Vereinigten Staaten von Amerika – es beginnt hier, aber es wird alle 50 Bundesstaaten erreichen», warnte de Blasio.

«April wird wesentlich schlimmer sein als März und Mai kann schlimmer sein als April. Das ist schlicht die Wahrheit», sagte de Blasio. Präsident Donald Trump müsse das Militär mobilisieren, forderte er. «Wir brauchen unsere Streitkräfte und wir brauchen sie jetzt.»

Heftige Kritik an Trump

Viele Gouverneure klagen, dass die Regierung von US-Präsident Donald Trump nicht genug tue und dass es zum Beispiel an Masken und Schutzkleidung fehle. Trump schlug daraufhin am Samstag – entgegen geltender Vorschriften – vor, Krankenhäuser könnten Masken einfach desinfizieren und wiederverwenden.

Der Präsident hatte die Epidemie noch bis Ende Februar kleingeredet und muss sich daher inzwischen den Vorwurf gefallen lassen, die Krise durch zu spätes Handeln angefacht zu haben. Inzwischen tritt er fast täglich bei Pressekonferenzen auf und lobt ausführlich das Krisenmanagement seiner Regierung.

US-Präsident Donald Trump bei einem Briefing des Krisenstabs im Weissen Haus am 21. März 2020. 
US-Präsident Donald Trump bei einem Briefing des Krisenstabs im Weissen Haus am 21. März 2020. 
Bild: Keystone

Kritiker blieben davon unbeeindruckt. «Erst wurde uns gesagt, [das Virus] war nur ein Scherz, dann haben wir gehört, dass alles in Ordnung sein wird, dann hiess es, die Wirtschaft sei in guter Verfassung, bis der Zusammenbruch kam», sagte die demokratische Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez mit Blick auf Trump.

Genauso wie mehrere Gouverneure forderte die New Yorkerin Trump auf, ein Gesetz aus Kriegszeiten zu nutzen, um die Privatwirtschaft zur Produktion von Schutzkleidung, Masken und Beatmungsgeräten zu zwingen. «Wir können nicht warten, bis Menschen wirklich in grosser Zahl sterben.»

Wirtschaftlicher Absturz

Die Ausgangsbeschränkungen haben grosse Teile der Wirtschaft zum Erliegen gebracht. Die Menschen gehen nicht mehr Essen, Reisen nicht mehr und kaufen nur noch das Nötigste ein. Analysten rechnen daher mit einer Rezession und einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit – und das in einem Land mit sehr begrenzter Arbeitslosenversicherung.

Entlassungen können in den USA im Vergleich zu Deutschland sehr schnell passieren. Erste Daten deuten auf einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenquote hin. Der US-Kongress strickt daher bereits ein massives Konjunkturpaket, das unter anderem direkte Zahlungen an alle Amerikaner, Kredite für notleidende Unternehmen und eine Verbesserung der Arbeitslosenversicherung vorsieht. Das Volumen soll mehr als eine Billion Dollar (rund 950 Milliarden Franken) umfassen.

Trump kommt der absehbare wirtschaftliche Abschwung im Wahljahr höchst ungelegen. Die während seiner Amtszeit gute Wirtschaftslage war bislang im Vorfeld der Präsidentenwahl am 3. November eine seiner wichtigsten Wahlkampfbotschaften. Trump verbreitet derweil Optimismus un erklärt, die Wirtschaft werde nach dem «Sieg» über das Virus wieder «wie eine Rakete» durchstarten. Experten bezweifeln dies aber.

Das Leben nach dem Virus

New York ist gegenwärtig das Epizentrum der Epidemie in den USA, aber Stadt und Staat haben schon mehrere Krisen durchgestanden, nicht zuletzt die Terroranschläge vom 11. September 2001. «Das Leben geht weiter – anders, aber es geht weiter», sagte Gouverneur Cuomo am Sonntag. Jetzt gebe es Einschränkungen des Alltags, aber irgendwann werde die Covid-19-Epidemie ausgestanden sein. New York und Amerika würden letztlich an der Krise wachsen, sagte Cuomo. «Mit Herausforderungen fertig zu werden, macht einen stärker.»

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