Erdbeben in der TürkeiSelbst der Erzfeind will helfen, doch darf er auch?
Von Andreas Fischer
6.2.2023
Erdbeben in der Türkei und Syrien: Bereits mehrere hundert Tote
Bei einem der verheerendsten Erdbeben im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei seit Jahrzehnten sind nach vorläufigen offiziellen Angaben mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen. Mehrere tausend Menschen wurden demnach verletzt. Unzählige
06.02.2023
Die internationale Hilfe ist nach der Erdbebenkatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze schnell angelaufen. Sogar Griechenland bietet der Türkei Unterstützung an. Ein Zeichen für Entspannung ist das aber nicht.
Von Andreas Fischer
06.02.2023, 18:04
Andreas Fischer
Die internationale Hilfsbereitschaft ist gross nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Hunderten Todesopfern. Zahlreiche Länder und Institutionen, darunter die Schweiz und die vom russischen Angriffskrieg schwer gezeichnete Ukraine, haben der Türkei ihre Hilfe angeboten und schicken Hilfsmittel und Rettungsteams.
Bemerkenswert ist, dass sich auch Griechenland umgehend bereit erklärt hat, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet zu schicken. «Griechenland wird sofort helfen», erklärte der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.
Das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei ist historisch schwer belastet. Die Erzfeinde streiten sich seit Jahrzehnten um Hoheitsrechte in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. In den vergangenen Monaten hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wiederholt mit einer Invasion auf griechische Inseln gedroht, Griechenland hatte im vergangenen Oktober seinerseits Schützenpanzer an der türkischen Grenze stationiert.
Erzfeind bleibt Erzfeind
Dass die nun von Athen signalisierte Hilfsbereitschaft nach dem Erdbeben die Spannungen zwischen Ankara und Athen lockert, glaubt Türkei-Experte Maurus Reinkowski nicht. Auf Nachfrage von blue News erläutert der Professor für Nahost-Studien an der Universität Basel: «Von griechischer Seite ist das Angebot sicher auch als Mittel der Entspannung gedacht. Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen in beiden Ländern ist jedoch eine weitere innenpolitische Profilierung durch vermeintliche Härte gegenüber dem jeweils anderen Erzfeind zu erwarten.»
Die Rhetorik gegenüber Griechenland sei von türkischer Seite in den letzten Monaten besonders aggressiv gewesen, so Reinkowski. «Es ist daher kaum anzunehmen, dass die jetzige AKP-Regierung, die vor für sie schwierigen Wahlen steht, dieses bewährte Mittel der Mobilisierung in den nächsten Monaten nicht mehr in die Hand nehmen wird.»
Kurze Entspannungsphase
Dabei hat die sogenannte «Erdbebendiplomatie» bereits einmal funktioniert. 1999 hatten sich Griechenland und die Türkei gegenseitig bei schweren Erdbeben geholfen und damit eine kurze Phase der Entspannung eingeläutet.
Die Umstände damals sind aber mit heute nicht zu vergleichen. «Die griechische Erdbebendiplomatie 1999 hatte deswegen so grossen Erfolg, weil die türkische Bevölkerung im Verhältnis zur rasch kommenden ausländischen Hilfe das Versagen der türkischen Staatsorgane um so mehr wahrnahm», erklärt Reinkowski.
Trotz Hilfsangebot kaum Annäherung
Hinzugekommen sei 1999 eine Euphorie in der Türkei über den Beschluss der EU, dem Land den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. «Es ist jedoch so, dass angesichts der bleibenden und ungelösten Streitpunkte zwischen Griechenland und der Türkei – dazu zählen historische Traumata auf beiden Seiten, die Frage der Zugangsrechte in der Ägäis, die Zypernfrage – jedes Tauwetter zwischen den beiden Staaten meist wieder rasch zu einem Ende kommt», dämpft Reinkowski Hoffnungen auf eine nachhaltige Annäherung beider Länder.
Wie nachhaltig die Hilfsbereitschaft nach einer Naturkatastrophe die Politik überhaupt beeinflussen kann, komme auf die Gesamtkonstellation an. «Ist eine Regierung bereit, die positive Geste einer anderen Partei anzunehmen? Ist die Gesellschaft eines von einer Naturkatastrophe getroffenen Landes fähig, die Hilfe eines anderen Landes anzuerkennen? Sind also die Gesamtbedingungen günstig für eine solche Annäherung?» Im griechisch-türkischen Verhältnis sei eine solche Annäherung nicht in Sicht, konstatiert Türkei-Experte Reinkowski.