Welches Land ist das nächste? Die «Gen Z» begehrt weltweit gegen Ungerechtigkeiten auf

dpa

18.10.2025 - 23:09

Sie haben die Nase voll von korrupten Politikern und leeren Versprechungen. Junge Demonstrant*innen der «Gen Z» machen in Afrika, Asien und Südamerika Druck auf ihre Regierungen.

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DPA, Redaktion blue News

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ob Marokko, Madagaskar, Kenia, Peru oder Nepal − in vielen Teilen der Welt fühlen sich junge Menschen von ihrer Regierung ignoriert.
  • Sie sind frustriert von Misswirtschaft, mangelnden Dienstleistungen und Perspektivlosigkeit.
  • Ihr Zorn treibt sie auf die Strasse.

Von den Anden bis zum Himalaya entwickelt sich gerade eine neuartige Welle politischer und sozialer Proteste, angetrieben von der Unzufriedenheit junger Menschen mit ihrer jeweiligen Regierung. In dieser Woche erst wurde der madagassische Staatspräsident Andry Rajoelina aus dem Amt und aus dem Land vertrieben, das Militär übernahm die Macht. Es war der Höhepunkt wochenlanger Demonstrationen, angeführt von jungen Protestierenden, die sich selbst als «Gen Z Madagaskar» bezeichnen.

Die Wut auf das politische Establishment in dem Inselstaat im Indischen Ozean spiegelt andere aktuelle Proteste weltweit wider, etwa in Nepal, den Philippinen, Indonesien, Kenia, Peru und Marokko. Diese Proteste entzündeten sich an konkreten Missständen, werden aber angetrieben von seit langem schwelenden Problemen wie der zunehmenden Ungleichheit, wirtschaftlicher Unsicherheit, Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb der politischen Führung.

Eines haben sie gemeinsam: Sie haben grösstenteils keine Anführer und bestehen hauptsächlich aus jungen Menschen, die sich selbst als «Generation Z» bezeichnen – Personen, die ungefähr zwischen 1996 und 2010 geboren wurden. Es ist die erste Generation, die vollständig im Zeitalter des Internets aufgewachsen ist.

Junge Menschen fühlen sich nicht gehört

«Was diese von Jugendlichen angeführten Proteste verbindet, ist das gemeinsame Gefühl, dass traditionelle politische Systeme nicht auf die Anliegen ihrer Generation eingehen, ob es sich nun um Korruption, Klimawandel oder wirtschaftliche Ungleichheit handelt», erklärt Sam Nadel, Direktor des Social Change Lab, einer gemeinnützigen Organisation zur Untersuchung von Protesten und sozialen Bewegungen mit Sitz in Grossbritannien. «Protest wird dann zum logischen Ventil, wenn institutionelle Kanäle blockiert erscheinen.»

Obwohl sich die Forderungen im Einzelnen unterscheiden, wurden die meisten dieser Proteste durch Übergriffe oder Versäumnisse der Regierung ausgelöst. Manche richteten sich auch gegen ein hartes Vorgehen von Sicherheitskräften oder brutale Unterdrückung.

In Marokko geht ein führungsloses Kollektiv namens Gen Z 212 – benannt nach der Landesvorwahlnummer – auf die Strasse, um bessere öffentliche Dienstleistungen und höhere Ausgaben für Gesundheit und Bildung zu fordern. In Peru mündeten Proteste gegen eine geplante Rentenreform in umfassenderen Forderungen wie Massnahmen gegen zunehmende Unsicherheit im Land und Korruption in der Regierung. In Indonesien kam es zu tödlichen Protesten gegen üppige Zulagen für Abgeordnete und die Lebenshaltungskosten, wodurch der Präsident gezwungen war, wichtige Minister zu ersetzen.

Gen Z löste Politbeben in Nepal aus

Die bisher bekannteste Bewegung, die als Protest der «Gen Z» bezeichnet wird, war ein blutiger Aufstand in Nepal, der im September zum Rücktritt des Ministerpräsidenten führte. Die Demonstranten und Demonstrantinnen liessen sich von erfolgreichen, gegen die Regierung gerichteten Bewegungen in anderen Teilen Südasiens inspirieren – 2022 in Sri Lanka und 2024 in Bangladesch –, die den Sturz der amtierenden Regierungen nach sich zogen.

In Madagaskar wiederum sagen die Protestierenden, sie fühlten sich besonders von den Bewegungen in Nepal und Sri Lanka inspiriert. Die Proteste richteten sich zunächst gegen regelmässige Ausfälle der Wasser- und Stromversorgung, doch rasch kamen weitere Beschwerden dazu. Die Demonstrierenden forderten auch den Rücktritt des Präsidenten und von Ministern. Schliesslich erklärte das Militär die Machtübernahme.

In mehreren Ländern ist bei den Protesten ein Symbol der Popkultur aufgetaucht: eine schwarze Flagge mit einem grinsenden Totenkopf und gekreuzten Knochen, der einen Strohhut trägt. Die Flagge stammt aus einer erfolgreichen japanischen Manga- und Anime-Serie namens «One Piece», in der eine Piratencrew gegen korrupte Regierungen kämpft. In Nepal befestigten Protestierende die Flagge mit dem grinsenden Strohhut-Piraten am Sitz der Regierung und von Ministerien, auch in Indonesien, den Philippinen, Marokko und auf Madagaskar wurde sie von Demonstrierenden gehisst.

Social Media als essenzielles Werkzeug

Viele massgebliche Proteste in der Vergangenheit – etwa Occupy Wall Street 2011, der Arabische Frühling zwischen 2010 und 2012 sowie die sogenannte Regenschirm-Revolution in Hongkong 2014 – wurden von jüngeren Menschen angeführt. Zwar nutzten auch sie das Internet und soziale Medien zur Mobilisierung, doch die «Gen Z»-Protestierenden gehen noch einen Schritt weiter. «Digitale Plattformen sind mächtige Werkzeuge für den Informationsaustausch und den Aufbau von Verbindungen, aber die effektivsten Bewegungen kombinieren oft digitale Mobilisierung mit traditioneller persönlicher Organisation, wie wir bei den jüngsten Protesten gesehen haben», erklärt Nadel vom Social Change Lab.

Tage bevor die tödlichen Proteste in Nepal begannen, verkündete die Regierung ein Verbot der meisten Social-Media-Plattformen, weil diese eine Registrierungsfrist nicht eingehalten hätten. Viele junge Nepalesen sahen darin einen Versuch, sie zum Schweigen zu bringen, und begannen, über sogenannte VPN-Verbindungen auf Social-Media-Seiten zuzugreifen, um einer Entdeckung zu entgehen. In den Folgetagen nutzten sie TikTok, Instagram und X, um den verschwenderischen Lebensstil der Kinder von Politikern ins Rampenlicht zu rücken und geplante Kundgebungen und Veranstaltungsorte bekannt zu geben. Später nutzten einige von ihnen auch die Gaming-Chat-Plattform Discord, um Vorschläge zu unterbreiten, wer als Interimsführung für das Land nominiert werden sollte.