Frankreich Die grosse Angst vor einem Sieg Le Pens

AP/toko

14.4.2022 - 20:33

Könnte ein «Erdbeben» bei der Stichwahl auslösen: Marine Le Pen.
Könnte ein «Erdbeben» bei der Stichwahl auslösen: Marine Le Pen.
Francois Mori/AP/dpa

Die Rechtspopulistin Le Pen hat zwar den «Frexit» aus ihrem Wahlprogramm genommen. Aber ihre Ablehnung gegenüber der EU ist eindeutig. Was würde ein Sieg über Macron bei der Stichwahl zur französischen Präsidentschaft für die Europäische Union bedeuten?

14.4.2022 - 20:33

Krasser könnten sich der französische Präsident Emmanuel Macron und die Rechtspopulistin Marine Le Pen in ihren Visionen für Europa wirklich kaum unterscheiden. Die Stichwahl um das Präsidentenamt am 24. April zwischen dem glühenden Europäer Macron und der Rechtspopulistin Le Pen mit ihren nationalistischen Ideen wird deshalb weit über die Grenzen Frankreichs hinaus mit Sorge verfolgt.

Viele Experten befürchten, dass ein Sieg von Le Pen immense Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der EU hätte, auf die demokratischen Werte, auf den Handel und derzeit besonders auch auf die so einige Position der EU zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Alle Umfragen zeigen Macron derzeit als Favoriten bei der Stichwahl, aber Le Pen hat im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren die Lücke deutlich verkleinern können.

Als Macron am Dienstag in Strassburg, wo auch das Europäische Parlament seinen Sitz hat, vor Anhängern auftrat, warnte er vor den Folgen einer Wahl Le Pens. «Nationalismus ist Krieg», sagte er vor der Menge, in der viele französische und europäischen Fahnen schwenkten. «In einer Zeit, da der Krieg zurück auf dem europäischen Kontinent ist, wird der Weg zum Aufbau von Frieden durch Europa führen.» Und weiter: «Europa ist eine Kostbarkeit, die wir geduldig geschaffen haben, aber die es uns auch erlaubt, auf die Herausforderungen der Zukunft zu antworten.»

Frankreich hatte stets einen zentralen Platz in der EU – ein Gründungsmitglied, das sich mit dem Nachbarn und historischen Rivalen Deutschland zusammengetan hat, um die Gemeinschaft zu einem Wirtschaftsriesen und einer Fürsprecherin westlicher Werte zu machen. Und wie es der Zufall will, hat Frankreich noch bis Ende Juni auch die rotierende EU-Präsidentschaft inne, was es dem Land auch erlaubt, im Namen der 27 Mitgliedsländer zu sprechen.

«Frexit» aus Programm genommen

Es ist eine Bühne, die nur wenige in Europa Le Pen überlassen wollen. Die Chefin der Partei Rassemblement National hat damit geworben, nationale Grenzkontrollen wieder einzuführen, den französischen Beitrag zum EU-Haushalt zu verringern und nicht länger anzuerkennen, dass europäisches Recht Vorrang vor nationalem Recht hat. Le Pen tritt zudem für die Abschaffung von Steuern auf Hunderte von Waren und für eine Reduzierung der Mineralölsteuer ein – was gegen die Binnenmarktregeln der EU verstossen und Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels beeinträchtigen würde. 

Le Pen hat zwar einen Frexit – Ausstieg Frankreichs aus der EU – aus ihrem Programm genommen. Aber ihre ablehnende Haltung gegenüber der Gemeinschaft ist mehr als offensichtlich. So sagte Le Pen am Dienstag in einer France-Inter-Radiosendung, dass «eine grosse Mehrheit der französischen Bevölkerung nicht länger die Europäische Union will, wie sie heute existiert». 

Sie weist Vorwürfe von Kritikern zurück, dass ihre Vorhaben praktisch auf einen französischen Abschied aus der EU hinauslaufen würden. Die EU könne «von innen» verändert werden, sagt sie.

Le Pen gegen Macron: hasserfüllt gegen staatstragend

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In der Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich stehen sich erneut der Liberale Emmanuel Macron und die Rechtspopulistin Marine Le Pen gegenüber. Die beiden Politiker könnten unterschiedlicher kaum sein.

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Macron hält das für «Unsinn». Le Pen wolle die Rechnung für die Mitgliedschaft in der EU nicht bezahlen und die Regeln im Alleingang ändern, so der Präsident. «Das bedeutet, dass sie aus der EU will, aber sich nicht mehr traut, es zu sagen.»

Jean Claude Piris, ein früherer ranghoher juristischer Berater des Europäischen Rates, meint, dass ein Sieg von Le Pen die Auswirkung eines «Erdbebens» hätte. «Sie ist für eine Art von wirtschaftlichem Patriotismus mit staatlichen Hilfen, was den Regeln des Binnenmarktes widerspricht», sagt er der Nachrichtenagentur AP. Auch wolle sie beispielsweise das Asylrecht untergraben, «was völlig unvereinbar mit den Werten der europäischen Verträge ist», so Piris weiter. 

Verbindungen zum Kreml

Le Pen würde ihm zufolge auch die Einstimmigkeit der 27 Nationen bei den verhängten Sanktionen gegen Russland gefährden und könne künftige weitere Massnahmen verhindern. Die Gemeinschaft denkt derzeit etwa über ein Ölembargo nach.

Le Pen hat im Laufe der Jahre enge Verbindungen zum Kreml aufgebaut, in ihrem Präsidentschaftswahlkampf 2017 für starke Sicherheitsbande mit Moskau zur gemeinsamen Bekämpfung radikaler islamischer Gruppen geworben. Sie versprach ausserdem, die Halbinsel Krim, die Russland 2014 von der Ukraine annektiert hat, als Teil Russlands anzuerkennen. Le Pen sagt nun, dass die Ukraine-Invasion ihre Meinung über den russischen Präsidenten Wladimir Putin «teilweise» geändert habe, sein Vorgehen «falsch» sei.

Ein Bericht des Forschungsinstituts Center for European Reform (Cer) zeigt auf, wie Le Pen nach dem Muster des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und dessen polnischem Amtskollegen Mateusz Morawiecki der EU wann immer möglich Knüppel zwischen die Beine werfen könnte, um die ohnehin schon schwerfälligen EU-Entscheidungsprozesse weiter zu verlangsamen. Darüber hinaus würde es das traditionelle deutsch-französische Tandem in dieser Form wohl nicht mehr geben.

Luxemburgs langjähriger Aussenminister Jean Asselborn sagt vor diesem Hintergrund, mit Le Pen als französische Präsidentin könnte die EU in eine völlig andere Richtung gelenkt werden. Die Franzosen, so Asselborn, «müssen das verhindern». 

AP/toko