Taiwan bleibt trotzig Die «Insel der Widerstandskraft» ist der «gefährlichste Ort der Welt»

dpa / tchs

7.8.2022

Taiwan – China übt bei Manöver Angriff auf Hauptinsel

Taiwan – China übt bei Manöver Angriff auf Hauptinsel

Chinesische Flugzeuge seien am Samstagmorgen in der Taiwan-Strasse im Einsatz gewesen, teilte das Verteidigungsministerium in Taipeh mit.

07.08.2022

Es ist die seit Langem grösste militärische Machtdemonstration Chinas gegen Taiwan. Viele begrüssen den Besuch Pelosis – und geniessen die Aufwertung und Aufmerksamkeit für ihre Demokratie.

dpa / tchs

7.8.2022

Ballistische Raketen landen in Gewässern um Taiwan. Militärflugzeuge und Drohnen testen die Flugabwehr. Chinesische Kriegsschiffe schiessen nahe der demokratischen Inselrepublik mit scharfer Munition. Schon lange gilt Taiwan als «der gefährlichste Ort der Welt», wie das Magazin «The Economist» einmal titelte. Die Gefahr eines möglichen Krieges ist den 23 Millionen Taiwanern schon lange nicht mehr so nahe gerückt wie jetzt. Doch im Auge des Sturms herrscht Ruhe – ja, auch Unbehagen, Sorge, aber vor allem Trotz und auch Stolz auf die «Insel der Widerstandskraft», wie sie die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi bei ihrer Visite in Taipeh rühmte.

Die grossangelegten Militärmanöver als Reaktion auf ihren Besuch haben die Taiwaner nur noch mehr gegen China aufgebracht. «Echt schlimm», sagt die Kellnerin eines Cafés in Taipeh. Doch die Taiwaner sind das Säbelrasseln der Kommunisten gewohnt, gehen ihrem normalen Leben nach. Sie sind es leid, von Peking nur als Teil der Volksrepublik behandelt zu werden. Trotz der Spannungen, den grössten seit Mitte der 90er Jahre, äussern viele Unterstützung für den Besuch Pelosis – den ranghöchsten aus den USA in Taipeh seit einem Vierteljahrhundert.

«Sie versuchen nur, uns zu erschrecken»

«Anfangs war ich besorgt, aber jetzt bin ich stolz, dass Pelosi nach Taiwan gekommen ist», sagt Cindy Chou, Personalmanagerin eines Hightech-Unternehmens. «Sie versuchen nur, uns zu erschrecken. Warum sollen wir zulassen, dass sie Erfolg haben?», sagt Frau Tseng, Sekretärin einer Berufsvereinigung zu den Manövern. «Ich fühle mich bedroht, aber lehne es ab, Angst zu haben, weil das ihr Ziel ist.»

Viele Taiwaner besuchen spontan Kurse in Zivilverteidigung, lernen, wie die Sicherheitslage ist, was im Falle einer Invasion getan oder wie Erste Hilfe geleistet werden kann. Lin Hsin-yi, Generalsekretärin einer regierungsunabhängigen Organisation, berichtet, viele ihrer Mitarbeiter hätten an Kursen teilgenommen oder wollten sie besuchen. «Die Tatsache, dass wir nicht hysterisch sind, bedeutet nicht, dass wir uns der Lage nicht bewusst sind und keine Vorbereitungen treffen.»

In Taiwan wächst die Sorge vor einer chinesischen Aggression. Doch vielfach überwiegt der Stolz.
In Taiwan wächst die Sorge vor einer chinesischen Aggression. Doch vielfach überwiegt der Stolz.
Chiang Ying-Ying/AP/dpa

Wenig beeindruckt von den seit Langem grössten militärischen Muskelspielen Chinas zeigten sich auch die Anleger an der Börse in Taipeh, die früher in solchen Lagen schon mal eingebrochen war. Nach etwas Nervosität, aber nur leichtem Rückgang, klettert der Index am Freitag wieder um 2,3 Prozent – trotz der Bilder der Schiessübungen und einer versuchten See- und Luftblockade durch China im Fernsehen.

Pelosis Besuch brachte «unvorstellbare Aufmerksamkeit»

«Ich habe keine Angst, aber einige meiner Freunde fühlen sich unbehaglich und unsicher», sagt Frau Yen, PR-Managerin eines grossen Bauunternehmens. Wer wisse denn, ob die Militärübungen wirklich wie angekündigt an diesem Sonntag enden? Und es könne auch niemand sicher sein, dass Raketen, die über Taiwan geschossen werden, «nicht auch mal hier landen». Einen Schmusekurs wie den des früheren Präsidenten Ma Ying-jeou, der eine Annäherung an China vorangetrieben hatte, lehnt sie aber ab: «Niemand hatte was davon – ausser, dass prochinesische Geschäftsleute profitierten und Taiwan von der Weltbühne verschwand.»

Die heutige Präsidentin Tsai Ing-wen sei «zurückhaltend und konzentriert sich auf die Wahrung des Status quo», lobt Frau Yen. Taiwan habe mit seinem Kampf gegen die Pandemie und seiner Hilfe für andere Länder «einige Präsenz in der Welt zurückgewonnen». «Pelosis Besuch hatte einige Vorteile und einige Kosten», bilanziert sie. «Es mögen komplexe Motive dahinter stecken. Aber es ist offensichtlich, dass Taiwan unvorstellbare Aufmerksamkeit in den Weltmedien bekommen hat – und einmal nicht für Halbleiter, sondern indem gezeigt wird, wie Taiwans Volk für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte kämpft, und wie sehr wir uns wünschen, diese zu schützen.»

Internationale Aufwertung

So begrüssen viele Taiwaner die internationale Aufwertung und den Rückschlag für Pekings Versuche, das Land in der Welt zu isolieren. Der Chef von Taiwans Meinungsforschungsinstitut (TPOF), You Ying-lung, meinte: «Selbst wenn China den Besuch Pelosi entschieden ablehnt und boykottiert, begrüsst die überwiegende Mehrheit der Taiwaner ihre Visite und würde von dieser Haltung auch nicht wegen des Drucks aus Peking zurückweichen.»

«Es war nie ruhig um Taiwan, und es war immer von China bedroht, so sind wir daran gewöhnt, aber das Ergebnis dieses Vorfalls ist, dass sich die meisten Taiwaner zuversichtlicher und geeinter fühlen», schildert der Meinungsforscher. «Ist es möglich, dass die Taiwaner wirklich immun gegen Chinas Militärübungen sind?», fragt er später listig auf Facebook und liefert gleich die Antwort: «Der Grund ist, dass wir schon viele solcher Injektionen zur Impfung hatten.»