Waffen für die Ukraine Die Russen verfügen im Donbass über eine 20-fache Übermacht

Von Philipp Dahm

24.5.2022

Selenskyj: Die nächsten Kriegswochen werden schwer

Selenskyj: Die nächsten Kriegswochen werden schwer

Russland versucht laut der ukrainischen Regierung, mit heftigen Bombardierungen Schlüsselpositionen im Osten der Ukraine zu erobern. Die Lage im Donbass sei sogar «extrem schwierig», sagt Präsident Selenskyj.

24.05.2022

Russland hat seine Truppen im Donbass konzentriert und kommt langsam voran. Doch jeder Gewinn kostet die Angreifer Kraft und Kriegsgerät, während der Westen die ukrainische Verteidigung gezielt verstärkt.

Von Philipp Dahm

24.5.2022

Im Krieg in der Ukraine zahlen beide Seiten einen hohen Preis. Selbst wenn lediglich die Hälfte der russischen Verluste der Realität entsprechen, wie sie die ukrainische Armee vermeldet, hat der Kreml empfindliche Verluste erlitten.

Vor diesem Hintergrund tobt nun die Schlacht um den Donbass, in der die Angreifer immer wieder versuchen, die Verteidiger einzuschliessen. Nach dem Rückzug aus der Region Kiew haben sich die russischen Truppen offenbar neu gruppiert: «Sie haben 20 Mal mehr Ausrüstung im Donbass. Das Verhältnis ist 1 zu 20», sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 23. Mai in seiner WEF-Video-Ansprache.

Besonders hart ist derzeit der Kampf um Sjewjerodonezk, wo die russischen Truppen angeblich nur 25 Kilometer weit auseinander sind – siehe auch oben stehende Karte. Moskau erhöht hier den Druck, um bei der gesamten Eroberung der Region von Luhansk voranzukommen, um einen Erfolg vorweisen zu können.

Präzise Artillerie als Panzer-Albtraum

Der britische Geheimdienst glaubt, ein weiterer Vorstoss nach Westen sei geplant, könne aber den Nachschub der Angreifer überfordern. Dass es um den nicht gut bestellt ist, legt die Meldung nahe, dass der Kreml angeblich seine Bataillone mit antiquierten Panzern auffüllen muss: Der T-62M ist die modernisierte Variante eines Kampfwagens, der seit 1961 in Dienst ist.

T-62 der afghanischen Armee 2004 in Kabul.
T-62 der afghanischen Armee 2004 in Kabul.
Gemeinfrei

Auch der Gegenseite ist klar, was im Donbass gerade auf dem Spiel steht – wahrscheinlich sogar noch klarer, wenn man die besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Ukraine bedenkt – so sind russische Truppen zum Beispiel erneut dezimiert worden, als sie den Fluss Siwerskyj Donez überqueren wollten, wie die «New York Times» berichtet.

Um standzuhalten, sind die ukrainischen Verteidiger dringend auf Militärhilfen des Westens angewiesen. Dabei sind nicht nur die Artillerie-Systeme gefragt, sondern auch Radargeräte, die gegnerisches Feuer orten und Gegenmassnahmen ermöglichen. Wenn dann auch noch Präzisionsmunition verschossen werden kann, sind erstaunlich punktgenaue Treffer möglich, wie sie im unten stehenden Clip zu sehen sind.

112'000 Dollar pro Granate

Kanada gehört zu den Staaten, die die Ukraine mit Präzisionsmunition ausgestattet haben: Die M982 Excalibur unterscheidet sich deutlich von jenen Geschossen, die man aus den Konflikten des 20. Jahrhunderts kennt. Die Lenkmunition ist GPS-gesteuert und äusserst präzise, kostet dafür aber auch rund 112'000 Dollar pro Stück.

Die M982 Excalibur wurde von Raytheon in den USA und Bofors in Schweden entwickelt.
Die M982 Excalibur wurde von Raytheon in den USA und Bofors in Schweden entwickelt.

Abgefeuert wird das Geschoss von M777-Geschützen, die Kanada, vor allem aber die USA an die Front geschickt haben. 1876 Granaten hätten sie in den ersten zwei Wochen verschossen, berichtet die «New York Times»: «Diese Waffe bringt uns dem Sieg näher», freut sich Roman Kachur von der 55. Artillerie-Brigade. Es brauche bloss noch mehr davon, fügt der Oberst hinzu. Die Geschütze sind aber auch bereits ins Ziel russischer Drohnen geraten, wie ein Video zeigt.

«Artillerie ist vor allem eine Frage der Quantität», bremst in den US-Medien gleichzeitig ein Experte – und erinnert daran, dass Russland auf diesem Schlachtfeld ein Schwergewicht ist. Kiew bekommt deshalb Schützenhilfen von allen Seiten: Aus den USA kommen weitere M777, Frankreich liefert seine Caesar, die mit 40 Kilometer Reichweite einen Unterschied macht, und Grossbritannien Radar für die Artillerie.

Harpoon bedroht Schwazmeer-Flotte

Deutschland soll im Juli 15 Flakpanzer vom Typ Gepard abgeben, der auch russische Aufklärungsdrohnen ins Visier nehmen kann, von denen Moskau ohnehin zu wenig hat. Mit 60'000 Schuss Munition wird die Ukraine jedoch nicht weit kommen. Dass Berlin inzwischen weiss, dass diese nicht bloss in der Schweiz produziert werden kann, bleibt zu hoffen.

Die Militärhilfe auf dem Westen beschränkt sich jedoch nicht auf den Boden und die Luft: Was Dänemark nun beisteuern will, ermöglicht den Verteidigern auch auf See, nachhaltig zuzuschlagen. Kopenhagen wird in Absprache mit den USA RGM-84 Harpoon Anti-Schiffsraketen in die Ukraine liefern, die von Land abgeschossen werden.

Treffgenauer Albtraum eines jeden Kriegsschiffes: Eine Parade mit Harpoon-Raketen in Seoul.
Treffgenauer Albtraum eines jeden Kriegsschiffes: Eine Parade mit Harpoon-Raketen in Seoul.
Archivbild: KEYSTONE

«Ich bin Dänemark besonders dankbar», kommentiert US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nach einem virtuellen Treffen mit 40 Verantwortlichen, die der Ukraine militärisch helfen wollen. Wie viele Startvorrichtungen Kopenhagen mitliefert, ist nicht bekannt. Die Rakete hat eine Reichweite von ungefähr 130 Kilometer und wird die russische Schwarzmeer-Flotte zwingen, sich sehr viel weiter von der Küste zurückzuziehen. Sie könnte sogar das Ende der See-Blockade bedeuten, hoffen Experten.

US-Minister Austin verrät nach der Konferenz noch weitere Waffenlieferungen: Tschechien habe kürzlich Kampfhelikopter und Panzer geschickt, Norwegen, Griechenland und Polen versprechen noch mehr Artillerie und Munition. Die Ukraine, das steht fest, kann die Unterstützung gut gebrauchen, wenn sie dem Druck der russischen Angreifer standhalten will.