Iran bleibt brutal «Die Mullahs haben in ihrer Repression nicht nachgelassen»

Von Andreas Fischer

6.12.2022

Sittenpolizei im Iran ist aufgelöst worden

Sittenpolizei im Iran ist aufgelöst worden

Mehr als zwei Monate nach Beginn der Proteste im Iran ist die Sittenpolizei nach Justizangaben aufgelöst worden. Sie war 2006 unter dem ultrakonservativen Staatschef Mahmud Ahmadineschad gegründet worden und kontrollierte unter anderem die Einhalt

04.12.2022

Die Nachricht, dass die Sittenpolizei im Iran aufgelöst werden soll, ging um die Welt und wurde als Signal der Hoffnung interpretiert. Zu Unrecht, wie die Schweiz-Iranerin Neda Amani sagt: Das Regime bleibt brutal.

Von Andreas Fischer

6.12.2022

Die Meldung, dass die Sittenpolizei im Iran aufgelöst werden solle, hat weltweit fast schon euphorische Reaktionen hervorgerufen. Allerdings gibt es bei genauerem Hinsehen gar keinen Grund zum Jubeln.

Die Nachricht wurde zuerst von einer iranischen Nachrichtenagentur verbreitet – mit einem Zitat des  Generalstaatsanwalts Mohammad Jafar Montazeri. Der hatte sich in der Stadt Gnom mit einem Parlamentsabgeordneten unterhalten.

In dem Gespräch ging es tatsächlich um die Abschaffung der Sittenpolizei. Allerdings beendete Montazeri die Unterhaltung mit dem Satz: «Natürlich wird die Justiz weiterhin das soziale Verhalten in der gesamten Gesellschaft überwachen.»

Diese Bemerkung wurde bei der Berichterstattung vielfach überhört. Im Prinzip bedeutet sie, dass die Zuständigkeit für die Kontrolle der Frauen von einer Behörde in eine andere wechselt. Dass das Regime in Teheran die Abschaffung der Sittenpolizei nicht bestätigt, dürfte vor diesem Hintergrund kaum jemanden verwundern. 

Das Regime will ablenken

«Die Auferlegung einer Kleiderordnung für Frauen wird als wichtiges Instrument zur Unterdrückung von Frauen in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft eingesetzt», erklärt die Aktivistin Neda Amani gegenüber blue News. Durchgesetzt werden die Vorschriften von der 2005 gegründeten Sittenpolizei. «Ihr mittelalterliches Verhalten gegenüber Frauen im Iran, für das der unglückliche Tod von Mahsa Amini ein gutes Beispiel ist, ist inzwischen jedem bekannt», so die Schweiz-Iranerin und Historikerin.

«Kein Regimevertreter hat die Nachricht von der Auflösung der Sittenpolizei offiziell bestätigt, und seit die Teheraner Staatsanwaltschaft sie erwähnt hat, wird sie von den Medien dementiert», weiss auch Neda Amani. Sie würde die Aufregung um die Sittenpolizei «also nur als ein Spiel betrachten, das sie [das Regime, d. Red.] spielen, um die Aufmerksamkeit vom Hauptthema abzulenken». Das sehen andere Iran-Kenner ähnlich.

Dieses Hauptthema sei die Ausweitung der Proteste, die nach Quellen der Opposition NCRI (National Council of Resistance of Iran) mittlerweile 280 Städte erreicht haben. Bis Mittwoch hätten die Demonstranten anlässlich des «Studententags» zu landesweiten Streiks aufgerufen und alle Iraner dazu aufgefordert, auf die Strasse zu gehen, berichtet Amani. Dies sei «ein weiterer Schlag gegen das kriminelle Regime.»

«Die Brutalität des Regimes lässt nicht nach»

Dass sich die Mullahs mit der vermeintlichen Abschaffung der Sittenpolizei dem Druck der Protestbewegung beugen, kann Amani nicht erkennen: «Die Mullahs haben in ihrer Repression nicht nachgelassen.» Würde es das Regime ernst meinen mit einem Zugehen auf die Protestbewegung, «sollte sich das in der Beendigung des gewaltsamen Vorgehens gegen die Demonstranten oder in der Freilassung von mehr als 30'000 inhaftierten Demonstranten zeigen, die unter den schlimmsten vorstellbaren Bedingungen gefoltert werden.»

Davon jedoch ist der Iran noch weit entfernt. Erst am Sonntag hat das Regime der Mullahs vier Gefangene hingerichtet, wegen angeblicher Spionage für Israel. Neda Amani glaubt hingegen, dies sei geschehen, «um die Öffentlichkeit einzuschüchtern». Mindestens 28 Menschen, die sich an den jüngsten Aufständen beteiligt hatten, wurden zum Tode verurteilt, zeigt sich Amnesty International besorgt.

«Es hat sich also nicht nur nichts geändert, sondern die Brutalität des Regimes lässt nicht nach», stellt Neda Amani fest. «Dieses Regime ist ein frauenfeindliches Regime, dessen Herrschaft auf Unterdrückung im Inland und dem Export von Terrorismus ins Ausland beruht.» Die Nachrichten über die Auflösung der Sittenpolizei seien eine weitere Täuschung, «um vom eigentlichen Thema, nämlich der sich anbahnenden Revolution, abzulenken».

Transparenzhinweis: Neda Amani hat die Fragen der Redaktion schriftlich beantwortet.

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