Verluste im Krieg «Die Russen haben Fallschirmjäger, Offiziere und Generäle verloren»

toko

30.7.2022

Russische Soldaten gehen durch einen zerstörten Bereich eines Eisen- und Stahlwerks in Mariupol. Wie viele Armeeangehörige tatsächlich gefallen sind, ist unklar.
Russische Soldaten gehen durch einen zerstörten Bereich eines Eisen- und Stahlwerks in Mariupol. Wie viele Armeeangehörige tatsächlich gefallen sind, ist unklar.
Uncredited/AP/dpa

Wie viele Verluste an Soldaten hat Russland wirklich zu beklagen? Über diese Frage herrscht weitgehend Uneinigkeit. Laut einem Militärhistoriker ist Russland darüber nicht unzufrieden.

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Die Schätzungen reichen von gerade mal 15'000 gefallenen Soldaten bis zu weit über 100'000: Wie hoch die Verluste Russlands bei Putins Angriffskrieg in der Ukraine tatsächlich sind, ist weitgehend unbekannt.

Die Meinungen darüber gehen nicht nur bei den Geheimdiensten auseinander, sondern auch bei Militärexpert*innen.

Wenn von Verlusten gesprochen wird, ist häufig nicht ganz klar, was gemeint ist: Sind es gefallene, also im Kampf getötete Soldaten? Oder auch solche, die verletzt wurden, für den Krieg ausfallen oder womöglich zu einem späteren Zeitpunkt sterben? Hinzu kommt: Wer zählt dazu? Sind es nur offizielle Angehörige der Armee oder auch Milizionäre und Söldner?

«Die Russen wissen wahrscheinlich schon ungefähr, aber auch nicht ganz exakt, wie hoch ihre Verluste sind», sagt der Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam der «Süddeutschen Zeitung». So werde — ähnlich wie dies in der Ukraine der Fall ist — auch nicht so genau registriert, wer nun Soldat und wer Milizionär sei. 

«Währung für Sieg oder Niederlage»

Dabei hat Russland einen guten Grund, die Welt über die tatsächlichen Verluste im Unklaren zu lassen. «Gefallenenzahlen sind immer auch Propagandazahlen», erklärt Neitzel. Diese Zahlen seien daher «eine ganz entscheidende Währung für Sieg oder Niederlage». 

Sie dürften Neitzel zufolge daher weder zu hoch («sie bluten aus») noch zu niedrig sein. Sowohl Moskau wie auch Kiew haben demnach gemeinsam, dass sie über die eigenen Verluste schweigen und die gegnerischen als sehr hoch darstellen.

Bei Ihren Schätzungen gehen Geheimdienste unterschiedlich vor. «Man kann zum Beispiel die abgeschossenen Fahrzeuge zählen», erklärt der Historiker: «Wenn 600 Panzer mit je drei Mann Besatzung zerstört wurden, kann man von 1'800 Gefallenen ausgehen.»

Da im Donbass die Kämpfe derzeit auf engem Raum stattfinden, könne man auch recht gut abschätzen, «wie viele Soldaten in eine Schlacht gezogen und wie viele wieder zurückgekommen sind», sagt er. 

Russland hat hochspezialisiertes Personal verloren

Schliesslich gehe es im Krieg auch darum, was für Personal ums Leben komme. Im Verlauf der Kampfhandlungen sorgten die Ukraine immer wieder mit spektakulären, zielgerichteten wie zufälligen Tötungen hochrangigen Personals für Aufsehen.

«Die Russen haben Fallschirmjäger, Offiziere und Generäle verloren, das ist hochspezialisiertes Personal, das man nicht einfach ersetzen kann», sagt Neitzel.

Er selbst hält die Schätzung von 15'000 gefallenen Soldaten übrigens für «eine realistische Grösse».