Schach-Weltmeister Kasparow«Die Russen leben in einer Blase»
dpa/AFP/amo
19.2.2023
Können sich die Menschen in Russland gegen Präsident Putin erheben und was wären die Folgen? Exil-Russen diskutieren die Frage auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Manche Befürchtungen halten sie für übertrieben.
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19.02.2023, 10:55
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Der russische Regierungskritiker und frühere Schachweltmeister Garri Kasparow sieht in einer militärischen Niederlage Russlands den einzigen Schlüssel für Veränderung. «Ein Sieg der Ukraine ist die Voraussetzung für jeden Wandel in Russland», sagte Kasparow am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Exil-Russen diskutierten am Abend Wege und Konzepte für eine demokratische Zukunft des Landes.
«Die Russen leben in einer Blase. Diese kann nicht gebrochen werden, es sei denn, die Idee des Imperiums bricht dank einer militärischen Niederlage zusammen», sagte Kasparow, der Russland vor etwa zehn Jahren verlassen hat. «Der Krieg wird verloren sein, wenn sie realisieren, dass sie den Krieg verlieren», nicht auf der Grundlage von Gebietsgewinnen und -verlusten. Er forderte den Westen auf, die Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen. «Keine Ausgabe ist zu gross für die Ukraine.»
Der Bevölkerung in Russland müsse deutlich gemacht werden, dass der Krieg verloren sei, sagte Kasparow am Samstagabend. Er halte die Menschen dort für enorm leidensfähig, solange sie einen Sieg für möglich hielten. «Und um die Meinung der Russen zu ändern, gibt es leider keine andere Lösung als den Ukrainern zu helfen, die Krim zu befreien. Die Krim ist die Heftklammer von Putins Mythologie», sagte Kasparow.
«Wir im Exil müssen mit den Russen reden»
Die Tochter des ermordeten Kremlgegners Boris Nemzow, Schanna Nemzowa, bescheinigte vielen Menschen in Russland, die Lage in der Ukraine nicht zu kennen und auch desinteressiert zu sein. «Sie kümmern sich nicht um den Krieg in der Ukraine», sagte sie. «Wir im Exil müssen mit den Russen reden.» Es müsse über russische Verbrechen informiert werden. Sie sagte, rationale Argumente allein würden dabei nicht funktionieren. «Das Einzige was funktioniert, sind emotionale Argumente», sagte sie.
Irina Scherbakowa, Gründungsmitglied der in Russland inzwischen verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, sagte, die russische Diktatur wolle die Menschen glauben machen, dass nach ihrem Sturz das totale Chaos drohe. Diese Sichtweise verfange auch im Westen. Sie sagte: «Das sind Ängste, die der Westen überwinden muss.»
Weiter sprach Scherbakowa von einer «reinen Manipulation», die in Russland stattfinde. «Die Geschichte wird umgeschrieben», weil die Russen «es nicht für nötig halten, sich mit den Verbrechen der Vergangenheit» während der Sowjet-Zeit auseinanderzusetzen.
Der russische Kremlgegner Michail Chodorkowski, der schon vor dem offiziellen Beginn der Konferenz in München seine Vorschläge für eine Föderalisierung Russlands vorgestellte hatte, zeichnete nochmals den Weg Putins an die Macht nach und sagte: «Wir haben ihn alle unterschätzt.»