Anschlag in Istanbul Die Türkei führt die Attentäterin vor, doch es bleiben viele Fragen 

Von Philipp Dahm

14.11.2022

Anschlag in Istanbul: Bilder zeigen Festnahme der mutmasslichen Täterin

Anschlag in Istanbul: Bilder zeigen Festnahme der mutmasslichen Täterin

Nach einem Bombenanschlag in der türkischen Metropole Istanbul mit sechs Toten und dutzenden Verletzten macht Ankara eine Anhängerin der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, für den Anschlag verantwortlich. Die Polizei veröffentlicht Bilder

14.11.2022

Die Polizei fasst noch in der Nacht nach der Explosion eine angebliche Täterin. Die Syrerin soll gestanden haben, zur YPG zu gehören. Doch die Kurden wollen nichts mit dem Anschlag zu tun haben.

Von Philipp Dahm

14.11.2022

6 Tote, 82 Verletzte – und jede Menge offene Fragen: Das Bombenattentat von Istanbul hat nicht nur die Türkei schockiert, sondern droht auch die internationalen Beziehungen des Landes zu zerreissen.

So haben etwa die USA den Anschlag verurteilt und ihr Beileid bekundet, doch das stösst in Ankara auf taube Ohren. Der türkische Innenminister macht aus seinen Gefühlen keinen Hehl: «Wir nehmen die Kondolenzwünsche des amerikanischen Botschafters nicht an», erklärt  Süleyman Soylu heute, «wir weisen sie zurück.»

Krankenwagen am 13. November in der Einkaufsstrasse Istiklal.
Krankenwagen am 13. November in der Einkaufsstrasse Istiklal.
AP

Der Grund für die Schroffheit: Die Behörden haben eine mutmassliche Täterin präsentiert, die die Bombe platziert haben soll. Nach Angaben der Polizei hat die Frau auf «Befehl» der syrischen Kurdenmiliz YPG gehandelt. Für die Türkei ist die YPG Teil der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Die PKK wird von den USA wie auch der EU als Terrororganisation eingestuft, doch die YPG wird von Washington im Kampf gegen das syrische Regime unterstützt. Ausserdem liegt Präsident Recep Tayyip Erdogan mit dem Weissen Haus über Kreuz, weil Amerika Fethullah Gülen nicht ausliefert, dem die Türkei den gescheiterten Putschversuch von 2016 zur Last legt.

1200 Videokameras ausgewertet – 46 Festnahmen

Ausserdem birgt das Attentat auch Sprengstoff für die ohnehin stark angespannten Beziehungen zu Athen: Wie der türkische Innenminister in Istanbul mitteilt, wollte die Gruppe hinter dem Anschlag nach Griechenland flüchten. Allerdings spricht Soylu nun nicht mehr von der YPG, sondern sagt, die Polizei sei im Besitz «einer Aufnahme von PKK-Mitgliedern». Dabei werde besprochen, dass man die Frau, die die Bombe platziert haben soll, töten müsse, bevor die Polizei sie findet.

Die Einkaufsstrasse wird am 13. November abgesperrt. Sie ist heute wieder geöffnet worden.
Die Einkaufsstrasse wird am 13. November abgesperrt. Sie ist heute wieder geöffnet worden.
EPA

Wer ist die Verdächtige, die die Polizei gefasst hat? Nach eigenen Angaben werten die Ermittler die Bilder von 1200 Videokameras in der Stadt aus, bevor Razzien an 21 Orten durchgeführt werden. Um 2.50 Uhr Ortszeit dringt ein Spezialkommando auch in die Wohnung von Ahlam A. ein und nimmt die syrische Kurdin fest. 

Die Verhaftung wird gefilmt, das Video dem türkischen Staatssender TRT zugespielt und die mutmassliche Täterin der Presse präsentiert. Insgesamt werden im Zusammenhang mit der Tat 46 Personen eingesperrt. Mindestens zwei davon sollen ebenfalls syrische Staatsbürger sein, die angeblich Verbindungen zur YPG haben.

PKK und YPG weisen Beteiligung zurück

Von türkischer Seite ist damit scheinbar alles klar, doch es bleiben viele Fragen offen. Die PKK wie auch die YPG bestreiten, etwas mit der Explosion auf der belebten, auch bei Touristen beliebten Einkaufsstrasse Istiklal zu tun zu haben.

Vorgeführt: TRT zeigt nicht nur das Video der Verhaftung, sondern präsentiert die mutmassliche Täterin auch zwischen zwei Landesfahnen.
Vorgeführt: TRT zeigt nicht nur das Video der Verhaftung, sondern präsentiert die mutmassliche Täterin auch zwischen zwei Landesfahnen.
Screenshot: Twitter

Tatsächlich haben sich kurdische Gruppierungen bei Aktionen bisher meist darauf beschränkt, staatliche Institutionen anzugreifen. Im August 2015 explodiert ein Auto vor einer Istanbuler Polizeistation und tötet fünf Menschen. Nach demselben Muster sterben im Oktober 2016 18 Personen vor einer Kaserne in der Provinz Hakkari. Im Dezember 2016 bringen zwei Bomben in Istanbul 38 Menschen um, wobei vor allem Polizisten Opfer sind.

In der Einkaufsstrasse Istiklal gab es schon vorher einen Anschlag: Fünf Menschen werden bei einer Explosion im März 2016 getötet und 36 verletzt. Allerdings handelte es sich damals um ein Selbstmordattentat, zu dem sich der sogenannte Islamische Staat bekannt hatte. Der greift im selben Jahr auch den Atatürk-Flughafen an: Unter den 48 Opfern sind auch die drei islamistischen Attentäter.

Warum sollten die Kurden einen Anschlag verüben?

Eigentlich war es in den letzten Jahren in der Türkei ruhiger geworden. Während es zwischen 2015 und 2017 13 Anschläge gab, waren es in den letzten vier Jahren deren zwei. Mit der neuerlichen Attacke sind es drei. Zwischen der legalen kurdischen Partei HDP und den Gruppierungen aus dem Dunstkreis der PKK hat es zuletzt eine zarte Annäherung gegeben: Warum wird diese Entwicklung nun durch einen solchen Anschlag aufs Spiel gesetzt?

PKK weist Verantwortung für Anschlag in Istanbul zurück

PKK weist Verantwortung für Anschlag in Istanbul zurück

Die Arbeiterpartei Kurdistans PKK hat jegliche Verantwortung für den tödlichen Anschlag von Istanbul zurückgewiesen. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hatte die PKK für den Anschlag vom Sonntag mit sechs Toten und 81 Verletzten verantwort

14.11.2022

Die Ermittler präsentieren vor der Parlamentswahl im kommenden Juni schnell mutmassliche Täter. In der Wohnung von Ahlam Am A. soll eine Pistole, Munition sowie eine «grosse Menge Devisen und türkische Lira» gefunden worden sein, berichtet TRT: Sie sei vor vier Monaten eingereist und habe in einer Textilfabrik gearbeitet.

Zuvor soll sie in Syrien von der YPG zur Terroristin ausgebildet worden sein, so die Behörden. Sie habe am 13. November die Bombe bekommen, sie unter einer Bank platziert und dort 45 Minuten gesessen, bevor sie kurz vor der Explosion gegangen und mit einem Taxi nach Hause gefahren sei.