Sturz der Regierung in ParisDiese Probleme müsste Frankreich jetzt dringend lösen
Stefan Michel
5.12.2024
Das französische Parlament hat die Regierung mit einem Misstrauens-Votum gestürzt. Wie geht es im westlichen Nachbarland der Schweiz jetzt weiter? Die wichtigsten Antworten zur Pariser Regierungskrise.
Stefan Michel
05.12.2024, 15:12
05.12.2024, 15:14
Stefan Michel
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Frankreichs Regierung ist nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Premierminister Michel Barnier gescheitert: Präsident Macron muss eine neue Regierung ernennen.
Die politische Unsicherheit und eine hohe Staatsverschuldung belasten die zweitgrösste Wirtschaftsmacht der EU, während die Opposition keine stabile Mehrheit für einen klaren Kurs bildet.
Zusammen mit der Koalitionsbruch in Deutschland fehlen der EU ihre beiden wichtigsten Motoren, was Europas Stabilität und Handlungsfähigkeit stark beeinträchtigt.
Frankreich ist extrem verschuldet und steht unter dem Druck der Euro-Zone, sein Haushaltsdefizit zu reduzieren. Premierminister Michel Barnier hat gewusst, dass das Parlament, in dem das Regierungslager in der Minderheit ist, sein Sozialbudget nicht genehmigen würde. Darum hat er den Haushalt für das Jahr 2025 auf der Grundlage eines selten angewendeten Gesetzesartikels am Parlament vorbei verabschiedet.
Dieses Vorgehen zieht automatisch ein Misstrauensvotum nach sich. Weil sich die Opposition – das extrem rechte Rassemblement National von Marine Le Pen und der linke Nouveau Front Populaire – in dieser Frage einig sind und darüber hinaus eine komfortable Mehrheit im Parlament stellen, ist das Misstrauensvotum am Mittwochabend erfolgreich.
Damit ist die Regierung unter Michel Barnier drei Monate nach ihrer Einsetzung bereits wieder Geschichte.
Gibt es jetzt Neuwahlen?
Parlamentswahlen sind in Frankreich frühestens ein Jahr nach einer erfolgten Wahl möglich. Deshalb können die Wahlberechtigten erst im Sommer 2025 eine neue Regierung wählen.
Wer regiert Frankreich nun?
Die bisherige Regierung bleibt vorerst geschäftsführend im Amt. Inzwischen hat Michel Barnier seinen Rücktritt eingereicht. Präsident Emanuel Macron muss eine neue Regierung ernennen – eine Frist gibt es dafür aber nicht.
Es ist möglich, dass er eine Übergangsregierung bis im kommenden Sommer amten lässt. Dann kann er Neuwahlen abhalten lassen. Aktuell bedeutet das vor allem Unsicherheit, in welche Richtung sich die zweitgrösste Wirtschaftsmacht der EU entwickelt.
Die Euro-Länder wie auch die Märkte weltweit erwarten, dass Frankreich seine Staatsverschuldung abbaut, was mit einer Übergangsregierung, möglicherweise erneut ohne Mehrheit im Parlament, schwierig wird.
Tritt Präsident Macron zurück?
Davon geht niemand aus. Macron hat wiederholt klargemacht, dass er seine zweite Amtszeit zu Ende führen werde. Diese dauert bis 2027. Für heute Donnerstag 20 Uhr hat er eine Rede an die Nation angekündigt. Dort dürfte er seine nächsten Schritte ankündigen.
Dennoch fordert etwa der linke Nouveau Front Populaire Macrons Rücktritt. Marine Le Pen hat zu Protokoll gegeben, dass sie den Präsidenten nicht zur Demission auffordere. Das müsse er mit sich selber ausmachen.
Wer profitiert von der Regierungskrise?
Das Rassemblement National von Marine Le Pen und der Nouveau Front Populaire, der sich aus mehreren linken Parteien zusammensetzt, haben bewiesen, dass Macron und sein Premier nicht gegen sie anregieren können. Dass sie sich auf ein Budget oder sogar einen Regierungskurs einigen, ist aber unwahrscheinlich. Zu weit liegen ihre Positionen auseinander.
Es ist somit einfacher zu sagen, wem die aktuelle Situation schadet: Neben der bisherigen Regierung ist es Präsident Emanuel Macron. Dieser hat mit seinen vorzeitigen Neuwahlen die aktuelle Situation erst möglich gemacht. Er ist deshalb zumindest mitverantwortlich für die Regierungskrise.
Zuletzt ist auch die Bevölkerung Frankreichs keine Nutzniesserin dieser Zeit der Unsicherheit. Die drängendsten Probleme sind noch schwerer zu lösen und die Zinsen für die Schulden steigen noch höher.
Wie kommt Frankreich zu einem Budget 2025?
Für ein parlamentarisch verabschiedetes Budget müssten sich zwei der drei grössten Machtblöcke zusammentun. Neben dem Rassemblement National und dem Nouveau Front Populaire ist dies die Bewegung Ensemble, die hinter Präsident Macron steht.
Am 20. Dezember kann die Regierung ein Budget für 2025 auf dem Verordnungsweg beschliessen – sofern sich bis dahin das Parlament nicht auf einen Haushaltsplan geeinigt hat.
Denkbar ist auch, dass der Haushalt 2024 bis 2025 verlängert wird. Dies sei aber nur eine provisorische Massnahme, erklärt der Politologe François-Xavier Millet bei Euronews.
Im Unterschied zu den USA droht Frankreich aber kein Shutdown, also kein Herunterfahren der öffentlichen Verwaltung auf das strikt Notwendige.
Auch Deutschland hat keine Regierung mehr – was bedeutet das für Europa?
Mit Frankreich und Deutschland sind die zwei grössten Volkswirtschaften Europas ohne Regierung. Traditionell sind die beiden Staaten die Motoren und stabilisierenden Kräfte der EU.
Bereits unken Kommentatoren, dass stattdessen Italien die Rolle des Ruhepols eingenommen habe. Die Regierung Meloni amtet bereits seit zwei Jahren – eine Dauer, die die Mehrheit der italienischen Regierungen der Nachkriegszeit nicht erreicht haben.
Italien kann freilich die beiden Schwergewichte nicht ersetzen. Die ARD-«Tagesschau» erinnert zudem an die Schuldenkrise Griechenlands, die damals ebenfalls eine Zerreissprobe für den Euro-Raum dargestellt hatte. Im Vergleich zur heutigen Verschuldung Frankreichs sei jene Griechenlands 2010 ein Kindergeburtstag gewesen, urteilt die ARD. Trotzdem sehen die Expert*innen den Euro wegen der Situation in Frankreich nicht in Gefahr.
Klar ist auch, dass Frankreich und Deutschland in den nächsten Wochen, vielleicht auch Monaten, vor allem mit sich selber beschäftigt sein werden und aussenpolitisch sowie in der EU weniger Akzente setzen werden.