MexikoDrogenkartell jagt Elitepolizisten und tötet sie in ihren Häusern
Von Mark Stevenson, AP
1.6.2021 - 17:17
Im mexikanischen Bundesstaat Guanajuato hat das Jalisco-Kartell dem Staat den Krieg erklärt: Die Drogenbande spürt Polizisten zuhause auf und tötet sie – nachdem sie mit Folter Adressen weiterer Kollegen herausbekommen.
Von Mark Stevenson, AP
01.06.2021, 17:17
Mark Stevenson, AP/phi
«Abrazos, no balazos», Umarmungen, keine Kugeln – das ist so etwas wie ein Eckpfeiler der Politik von Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador gegenüber den gewalttätigen Drogenbanden im Land.
Die mächtigste davon, das Jalisco-Kartell, hat ihm darauf mit ihrer eigenen Politik geantwortet: Die Kriminellen haben mehrere Mitglieder einer Elite-Polizeitruppe im Bundesstaat Guanajuato entführt und gefoltert, um die Namen und Adressen von Kollegen zu erhalten. Jene tötet sie jetzt wiederum in deren Häusern – vor den Augen ihrer Familien.
Es ist eine Art von direktem Angriff auf Polizeibeamte, wie man ihn ausserhalb der am stärksten von Gangs geplagten Länder Mittelamerikas selten sieht – und die direkteste Herausforderung für den langfristigen Ansatz von López Obrador, einen Krieg gegen die Kartelle zu vermeiden und sich stattdessen auf die Lösung sozialer Probleme zu konzentrieren, die oft die Wurzeln von Gewalt und Verbrechen seien.
Das Jalisco-Kartell hat indes umgekehrt der Regierung den Krieg erklärt und nimmt dabei die als Taktische Gruppe bekannte Elite-Truppe ins Visier, der es vorwirft, seine Mitglieder unfair zu behandeln. «Wenn Ihr Krieg wollt, dann bekommt Ihr einen Krieg. Wir haben schon gezeigt, dass wir wissen, wo Ihr seid. Wir werden Euch alle kriegen.»
Behörden schweigen
So steht es auf einem professionell gedruckten und vom Kartell unterzeichneten Banner, das im Mai an ein Gebäude in Guanajuato gehängt wurde. Für jedes Mitglied des Kartells, das festgenommen werde, würden zwei Angehörige der Taktischen Gruppe getötet, «wo immer sie sind, daheim, in ihren Streifenwagen».
Guanajuato ist Mexikos gewaltreichster Bundesstaat, das Jalisco-Kartell liefert sich dort Kämpfe mit örtlichen Banden, die vom rivalisierenden Sinaloa-Kartell unterstützt werden. Behörden in diesem Bundesstaat wollen keine Angaben machen, wie viele Angehörige der Elite-Truppe bislang umgebracht worden sind.
Die Polizei selbst bestätigte den jüngsten Fall: die Ermordung eines Polizisten, der am vergangenen Donnerstag aus seinem Haus entführt worden war. Seine Leiche wurde später an einer Fernstrasse abgeladen.
75 Polizistenmorde pro Jahr
Der Sicherheitsanalyst David Saucedo, der in Guanajuato lebt, glaubt, dass es zahlreiche Fälle gibt und dass viele der bedrohten Beamten inzwischen geflohen sind. «Sie haben ihre Familien geschnappt, ihre Häuser verlassen, und sie flüchten und verstecken sich», sagt der Experte. «Das CNJG macht Jagd auf die Elite-Polizeikräfte von Guanajuato.» CNJG sind im Spanischen die Initialen des Kartellnamens.
Die in dem Bundesstaat beheimatete Nachrichtenseite Poplab spricht von bislang mindestens sieben Polizisten und Polizistinnen aus der Taktischen Gruppe, die 2021 an ihrem freien Tag getötet worden sind. So kamen etwa bewaffnete Männer im Januar in das Haus einer Beamtin, erschossen ihren Mann, zerrten sie davon, folterten und erschossen sie. Die Leiche, die man später fand, war von Kugeln durchsiebt.
Guanajuato weist seit 2018 die höchste Zahl von ermordeten Polizisten unter allen mexikanischen Bundesstaaten auf, so Poplab. Von 2018 bis zum 12. Mai 2021 seien insgesamt 262 Polizisten getötet worden. Pro Jahr sind das rund 75 Menschen. Das sind mehr, als im Durchschnitt jährlich in den USA durch Schüsse oder andere Angriffe ums Leben kommen – und das bei einer 50 Mal grösseren Bevölkerungszahl.
Schutzprogramm für Polizisten
Das Problem hat sich so verschlimmert dass die Regierung am 17. Mai per Sonderdekret eine nicht näher bezeichnete Summe für Massnahmen zum Schutz von Polizisten und Gefängnispersonal bereitgestellt hat. Manche seien gezwungen gewesen, schnell mit ihren Familien ihre Häuser zu verlassen und wegzuziehen, «damit organisierte kriminelle Gruppen sie nicht finden», heisst es in dem Dekret.
Für welche Schutzmassnahmen die Gelder konkret gedacht sind, ob davon etwa eine neue Bleibe für die Betroffenen finanziert werden soll, wollten Offizielle in Guanajuato nicht sagen.
Der seit Ende 2018 regierende López Obrador hatte seine zurückhaltende Linie bei der Bekämpfung der Gewalt schon im Wahlkampf klargemacht: Deeskalierung des Drogenkonflikts durch eine Langzeitstrategie zur Beseitigung sozialer Schwächen wie der Jugendarbeitslosigkeit, die junge Leute in die Arme von Gangs treibe.
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