Iranerin berichtet aus Gefängnis «Du Kommunisten-Hure, mit wem hast du geschlafen!?»

gbi

13.1.2023

Harter Alltag hinter Gittern: Eine Insassin in einer Zelle der Evin-Haftanstalt in Teheran.
Harter Alltag hinter Gittern: Eine Insassin in einer Zelle der Evin-Haftanstalt in Teheran.
Keystone/AP Photo/Vahid Salemi

Unter Folter werden Gefangene im Iran dazu gebracht, «Geständnisse» abzulegen, die reale Konsequenzen haben. Eine inhaftierte Aktivistin erzählt jetzt vom Alltag im gefürchteten Evin-Gefängnis.

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Das Evin-Gefängnis ist so berüchtigt wie geheimnisumwittert. Was sich hinter den dicken Mauern abspielt, befeuert immer wieder Spekulationen. Nun gibt eine inhaftierte Aktivistin Einblick in die Praktiken im gefürchtetsten Knast des Iran.

Das 1971 noch unter dem USA-freundlichen Schah Mohammad Reza Pahlavi in Betrieb genommene Gebäude ist die grösste Haftanstalt für politische Gefangene der Islamischen Republik. Wegen der seit September 2022 anhaltenden Massenproteste gegen das Mullah-Regime wird nun offenbar der Platz knapp. Ein Gebäudeflügel, der Gefangenen bisher zum Studium zur Verfügung stand, sei in einen «Folter- und Verhörraum» umgewandelt worden, schreibt Sepideh Qolian.

Der Raum sei «mit Mädchen und Jungs gefüllt», «Schreie der Folter sind zu hören», berichtet Qolian in einem Brief, aus dem die britische BBC ausführlich zitiert. Den Häftlingen würden unter Gewaltanwendung falsche Geständnisse abgepresst, die dann im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt werden. Vier Teilnehmer der jüngsten Protestwelle wurden nach solchen Scheingeständnissen gehängt.

«Er zittert und fleht»

Qolian schildert einen Vorfall, den sie am 28. Dezember miterleben musste. Es sei ein eiskalter Tag mit Schneefall gewesen. Beim Ausgang des Gebäudes habe sie einen jungen Häftling sitzen sehen – «mit Augenbinde und nichts als einem grauen T-Shirt am Leib». Ein Aufseher habe den Jungen bedrängt.

«Er zittert und fleht: ‹Ich schwöre bei Gott, ich habe niemanden geschlagen.› Sie wollen, dass er gesteht. Als ich vorbeilaufe, rufe ich ihm zu: ‹Leg kein Geständnis ab› und ‹Tod euch Tyrannen›.»

Qolian sitzt seit 2018 im Evin-Gefängnis eine fünfjährige Haftstrafe ab, weil sie einen Streik unterstützt haben soll. Das wird ihr als Gefährdung der nationalen Sicherheit ausgelegt. Sie kann im Gefängnis ihrem Jurastudium nachgehen. Doch auch sie bekam schon Folter am eigenen Leib zu spüren.

Nachdem sie immer wieder von Männern verhört worden sei, sei sie zunächst erleichtert gewesen, als sie unter ihrer Augenbinde feststellte, dass sie es nun mit einer weiblichen Aufseherin zu tun habe. «Zumindest wird sie mich nicht sexuell misshandeln», habe sie gedacht. Doch das böse Erwachen folgte auf dem Fuss.

«Sie trat in ein Tischbein und schrie: ‹Du Kommunisten-Hure, mit wem hast du geschlafen!?›», berichtet Qolian. Sie hätte vor laufender Kamera alle ihre angeblichen Sexualpartner aufzählen sollen – doch sie weigerte sich. Als sie nach stundenlangem Verhör endlich auf die Toilette durfte, sei sie dort kurzerhand eingeschlossen worden.

Offenbar wurde gleich nebenan gefoltert: Sie konnte hören, wie ein Mann ausgepeitscht worden sei. Stundenlang, womöglich den ganzen Tag lang – sie verlor das Zeitgefühl.

Bettwanzen, verdorbenes Essen, Schläge ohne Ende

Dass Folter im Evin-Gefängnis traurige Tradition hat, schreibt auch der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan in einem Beitrag für die NZZ. Er beruft sich dabei auf Schilderungen ehemaliger Häftlinge, die dem «Kerker des Grauens» entkommen seien. «Die Gefangenen werden von Bettwanzen, Kakerlaken und riesigen Ratten geplagt und bekommen verdorbene Lebensmittel zu essen», schildert er.

Isolationshaft als psychische Folter stehe an der Tagesordnung, «Schläge ohne Ende sollen den Willen der Gefangenen brechen.» Permanent würden Schreie durch die Gänge hallen. Die Wärter würden Insassen auch mit Todesdrohungen – auch gegen ihre Familien – einschüchtern. Von solchen Missständen zeugen auch Videos von Überwachungskameras , die Hacker 2021 öffentlich machten. 

Der Ruf der Befreiung dringt bis in die Zelle

Als Sepideh Qolian endlich aus der Toilette gelassen wird, sei sie – erschöpft von mehreren nächtlichen Verhören – erneut vor die Kamera gezerrt worden. Benommen habe sie den Zettel mit dem angeblichen Geständnis vorgelesen. Die Aufseher hatten endlich, was sie wollten. Die Quittung: eine fünfjährige Haftstrafe.

Immerhin etwas Gutes kann Sepideh Qolian mittlerweile beobachten: «Im vierten Jahr meiner Inhaftierung kann ich endlich die Schritte der Befreiung aus dem ganzen Iran hören», schreibt sie gemäss BBC. «Das Echo aus ‹Frauen, Leben, Freiheit› dringt sogar durch die dicken Mauern des Evin-Gefängnisses.»

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