Pekings Winkelzüge mit Russland «Ein riesiges Nordkorea, das in Chinas Einflusssphäre fällt»

Von Philipp Dahm

10.3.2022

China laviert sich durch die Ukraine-Krise: Nach aussen gibt sich Peking neutral, während es gleichzeitig Moskau unterstützt. Wusste Xi Jinping von Putins Plänen? Und was hat es mit den angeblichen Biowaffen auf sich?

Von Philipp Dahm

10.3.2022

Noch vor gut einem Monat passt kein Blatt zwischen China und Russland. Die Partnerschaft kenne «keine Grenzen» und es gebe «keinen Bereich, in dem Zusammenarbeit verboten» sei, erklären die Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin am 4. Februar vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking.

Im Gegenzug für Moskaus Anerkennung von Pekings Anspruch auf Taiwan unterstützt das Reich der Mitte mit Blick auf die Ukraine die Forderungen des Kreml nach Sicherheitsgarantien und einem Verbot einer Nato-Osterweiterung. Beide Staaten erklären ihren Widerstand gegen eine unipolare Weltordnung, die Zusammenarbeit bei der Sicherheit wollen sie stärken.

Partnerschaft «ohne Grenzen»: Wladimir Putin (links) und Xi Jinping am 4. Februar in Peking.
Partnerschaft «ohne Grenzen»: Wladimir Putin (links) und Xi Jinping am 4. Februar in Peking.
EPA

Fünf Wochen später ist alles anders: Wladimir Putin ist in die Ukraine eingefallen, und Xi Jinping versucht einerseits, nach aussen ein Bild der Neutralität aufrechtzuerhalten, während er andererseits den Kreml weiter unterstützt. Eine Position, die für Peking zwar gefährlich werden kann, aber China gleichzeitig die Chance eröffnet, abseits des Geschehens die Reaktion des Westens zu beobachten.

«Das ist für China ziemlich alarmierend»

Was Xi sieht, kann ihm nicht gefallen: Während die EU sich Anfang Februar noch darüber gestritten hat, wie mit Nord Stream 2 umzugehen ist, zeigt sich Europa nun nicht nur geeint, sondern bildet mit den USA und Staaten wie Japan und Australien eine erstaunlich stabile Front. Die gemeinsamen Sanktionen greifen flächendeckend, die Bevölkerung empfängt Geflüchtete mit offenen Armen – und  bei allem herrscht auch noch ungewohnte Einigkeit.

China hält sich derweil bei Abstimmungen etwa bei den Vereinten Nationen vornehm zurück, wenn es um die Ukraine geht. Und öffentlich ruft die Staats- und Parteiführung immer wieder zu Verhandlungen auf oder betrauert zivile Opfer.

Doch gleichzeitig lässt die Regierung nationale Proteste gegen den Krieg unterbinden und versucht, die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen. Das Motto: «Wenn Russland zerstört wird, sind wir die nächsten.»

«Wenn man sich den Erfolg ansieht, den die USA bei der Koordinierung der finanziellen Sanktionen und Exportkontrollen nicht nur bei den Europäern, sondern auch in Japan hatten, das eine Schlüsselfigur der Tech-Industrie ist, ist das für China ziemlich alarmierend», erklärt Reva Goujon, China-Expertin der Rhodium Group, gegenüber dem US-Sender CNBC. Japans Ex-Premier Shinzo Abe hat sogar ins Spiel gebracht, US-Atomwaffen zur Abschreckung aufzustellen – eine Zeitenwende für Tokio.

Xi Jinping (rechts) greift zu beim Treffen mit Putin im Juni 2019 in St. Petersburg.
Xi Jinping (rechts) greift zu beim Treffen mit Putin im Juni 2019 in St. Petersburg.
AP

«Deutschland ist aufgewacht und sogar die Schweiz»

Zukunftssicher ist westliche Allianz nicht unbedingt, warnt Reva Goujon auch mit Blick auf die US-Wahlen 2024. «Der Westen ist dem Moment verfallen, der Idee, dass die liberale Ordnung unter Führung der USA zurück ist» verdeutlicht sie. «Deutschland ist aufgewacht und sogar die Schweiz.» Aber: «Es gibt andere Länder wie Mexiko oder Indien, die eher bereit sind, das chinesische Narrativ einer multipolaren Ordnung zu übernehmen.»

Nicht dazu zählt Taiwan, das den Krieg in Osteuropa ebenso genau beäugt wie Peking: «Die Regierung und die Bürger der Ukraine haben mit enormem Mut und Entschlossenheit gekämpft», eröffnet Aussenminister Joseph Wu am 7. März. «Ich sage das aus dem Grunde meines Herzens: Für die Taiwaner seid ihr eine Inspiration dafür, wie man Bedrohungen und Einschüchterungen einer autoritären Macht begegnet.»

Hat Putin Xi auf dem falschen Fuss erwischt?

Für China sind die Ukraine und Taiwan zwei Paar Schuhe: Taiwan wird als innere Angelegenheit betrachtet, während die Ukraine ein souveräner Staat ist – und Peking betont stets, wie wichtig Souveränität sei. Im Fall der Ukraine redet sich die Regierung heraus, die Situation sei «komplex»: Russland habe legitime Sicherheitsinteressen.

Bleibt die Frage, was genau China von Russlands Plänen wusste. Vergangene Woche berichtet die «New York Times» unter Berufung aus Geheimdienstquellen, Moskau und Peking hätten sich darauf verständigt, dass der Kreml seine Offensive erst nach den Olympischen Spielen beginnt. Ob das stimmt oder nicht: China könnte dennoch von einem Bluff oder einem begrenzten Militäreinsatz ausgegangen sein. 

«Sie haben nicht mit einer vollständigen Invasion gerechnet», meint etwa Yun Sun, China-Expertin des US-Think-Tank The Stimson Center in der «New York Times». Richard Gowan von der NGO Crisis Group pflichtet bei: «Ende Februar war mein Eindruck, dass die Chinesen von den Vorgängen auf dem falschen Fuss erwischt worden sind.»

«Dass China relativ neutral bleibt, ist wohl das Beste»

Yun Sun geht bei der kanadischen Plattform CBC sogar noch weiter: «Tatsächlich ist China hereingelegt worden.» So habe Peking Mühe gehabt, rund 6000 Landsleute aus dem Kriegsgebiet zu holen und Kiew sogar um Hilfe bitten müssen. Doch auch jene, die glauben, Xi Jinping wisse sehr genau, was er tut, haben interessante Argumente. So wie Jakub Jakobowski von der Universität Warschau.

«Ich denke, sie wussten über Putins Ziele Bescheid», sagt er CBC. China gewinnt sowieso, lautet seine These: Sollte Moskau Erfolg haben, würde das den Westen schwächen. Wenn andererseits Putin versagt, ist er auf Pekings finanzielle, ökonomische, diplomatische und womöglich militärische Hilfe angewiesen. «Russland wird dann ein riesiges Nordkorea, das in Chinas Einflusssphäre fällt», schliesst Jakobowski. 

Nordkoreas Kim Jong-Un (links) mit Xi Jinping im Juni 2019 in Pjöngjang: China ist einer der wenigen Staaten, der mit Nordkorea Beziehungen pflegt.
Nordkoreas Kim Jong-Un (links) mit Xi Jinping im Juni 2019 in Pjöngjang: China ist einer der wenigen Staaten, der mit Nordkorea Beziehungen pflegt.
EPA

Das angebliche Biowaffen-Labor in der Ukraine

Einen Handelskrieg mit den USA oder vor allem der EU will Peking vermeiden, doch schon gibt es Drohungen aus den USA, chinesische High-Tech-Industrie zu torpedieren, falls diese an Russland liefert. Und auch ein kompletter Swift-Ausschluss Moskaus wäre heikel, denn diese Sanktion liesse sich für Xi Jinping nicht so leicht umgehen wie Export-Beschränkungen.

Wenn China in der scheinbar neutralen Ecke bleiben will, braucht es eine Legitimation – und wie die lauten könnte, zeichnet sich gerade ab. Russland behauptet nun nämlich, die USA würden in der Ukraine ein geheimes Biowaffen-Labor finanzieren, in dem mit Anthrax, Cholera, der Pest und anderen Erregern experimentiert worden sei. Moskau verlangt am 9. März von Washington eine Aufklärung über vermeintliche Beweise, die die Kreml-Truppen entdeckt haben wollen.

Bericht des indischen Senders Wion zu den Biowaffen-Vorwürfen.

Peking greift diesen Ball prompt auf: Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums ruft «um der Gesundheit und Sicherheit der Menschen in der Ukraine alle beteiligten Parteien dazu auf, die Sicherheit dieser Labore zu garantieren» –  «insbesondere die USA». Denn jenes US-Biowaffen-Labor in der Ukraine sei «nur die Spitze des Eisbergs». Das Weisse Haus hat die Vorwürfe dementiert.

Wie auch immer: China versucht weiter, sich durch diesen Konflikt zu lavieren. «Der Westen würde es begrüssen, wenn sich China gegen Russland stellt und sich dem westlichen Protest anschliesst», erklärt Alexander-Nikolai Sandkamp vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut CNBC. Doch dass «China relativ neutral bleibt, ist wohl das Beste, was wir erwarten können.»

Dass Peking weiter versuchen wird, im Krieg in der Ukraine alle Eisberge möglichst zu umschiffen, versteht sich.