Ungerecht oder notwendig? Einreiseverbot für alle Russinnen und Russen spaltet die EU

AFP, gbi

28.8.2022

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kann der Idee eines Einreiseverbots für alle russischen Staatsbürger*innen nichts abgewinnen.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kann der Idee eines Einreiseverbots für alle russischen Staatsbürger*innen nichts abgewinnen.
Bild: EPA

Grenzen dichtmachen für alle Russinnen und Russen? Diese Frage wird in der EU zum Thema – und spaltet die Gemüter. Als Schengen-Mitglied müsste wohl auch die Schweiz mitziehen. 

AFP, gbi

Wegen des Ukraine-Kriegs streitet die EU über einen möglichen Einreisestopp für russische Tourist*innen. Während Estland und Finnland vorgelegt haben, warnen etwa der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und die österreichische Regierung davor, russische Staatsbürger*innen kollektiv haftbar zu machen.

Am Dienstag beraten die EU-Aussenminister in Prag über das Thema. Das musst du darüber wissen: 

Worum geht es?

Die Ukraine hat die EU aufgerufen, ihre Grenzen für Russinnen und Russen dichtzumachen. «Die Russen unterstützen massiv den Krieg und applaudieren den Raketenangriffen auf ukrainische Städte und der Ermordung von Ukrainern», kritisierte Aussenminister Dmytro Kuleba.

Wer unterstützt einen Einreise-Bann?

Die EU-Länder Estland, Lettland und Finnland haben weitgehende Einreiseverbote für Russen angekündigt oder bereits umgesetzt. «Europa zu besuchen ist ein Privileg, kein Menschenrecht», begründet etwa die estnische Regierungschefin Kaja Kallas.

Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin nannte es «ungerecht», dass Russ*innen in Europa Ferien machen können, «während Russland Menschen in der Ukraine tötet».

Die finnische Regierungschefin Sanna Marin stört sich daran, dass Russinnen und Russen im EU-Raum ihre Ferien verbringen könnten. 
Die finnische Regierungschefin Sanna Marin stört sich daran, dass Russinnen und Russen im EU-Raum ihre Ferien verbringen könnten. 
Bild: EPA

Was sagen die Kritiker?

Der deutsche Bundeskanzler Scholz warnt, ein genereller Visa-Bann für Russ*innen würde auch «ganz Unschuldige» treffen und nicht nur Kriegsbefürworter*innen. Auch der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell nannte es «keine gute Idee», alle russischen Staatsbürger*innen unterschiedslos die Einreise zu verwehren.

Das österreichische Aussenministerium erklärte auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP, mit einem allgemeinen Visastopp wären «noch vorhandene Kontakte zu der russischen Zivilgesellschaft kaum mehr möglich». Zudem sei der Vorstoss bei den Anstrengungen gegen russische Desinformation «kontraproduktiv». Denn in der EU könnten Russ*innen erfahren, was ihr Militär in der Ukraine wirklich tue.

Um wie viele Russen geht es überhaupt?

Der estnische Rundfunksender ERR berichtet unter Berufung auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex, seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar habe es fast eine Million legaler Einreisen russischer Staatsbürger*innen in die EU gegeben. Rund 60 Prozent von ihnen seien über die benachbarten EU-Länder Estland und Finnland eingereist.

Welche Visa stehen zur Diskussion?

Es geht vor allem um Schengen-Visa, die 22 der 27 EU-Länder sowie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein für den gemeinsamen Raum ohne Grenzkontrollen ausstellen. Damit können sich Visa-Inhaber*innen für bis zu 90 Tage im Gebiet aller Mitgliedstaaten aufhalten. Daneben können die einzelnen EU-Staaten auch nationale Visa für längere Aufenthalte erteilen. Im vergangenen Jahr stellten 536'000 Russ*innen Anträge für Schengen-Visa, nur drei Prozent wurden abgelehnt.

Laut Zahlen des Bundesamts für Statistik buchten Tourist*innen aus Russland 2019 – dem letzten Jahr vor der Coronakrise und dem Beginn des Krieges in der Ukraine – 25'666 Logiernächte in der Schweiz. Im Jahr 2021 sank diese Zahl auf 7288 Logiernächte. 

Müsste die Schweiz mitziehen?

Davon ist auszugehen, da die Schweiz ebenfalls Mitglied des Schengenraums ist. Auch nachdem die EU im Februar ihren Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt hatte, zog Bern am Ende nach. 

Würde der Visastopp auch Kreml-Kritiker*innen treffen?

Das ist nach Angaben der Befürworter*innen nicht beabsichtigt. Vorgesehen sind Ausnahmen für russische Dissidenten sowie Arbeitnehmende und Studierende, die in die EU kommen wollen.

Die russischen Hauptverantwortlichen für den Ukraine-Krieg gelten in der EU ohnehin als unerwünschte Personen: Gegen mehr als 1200 haben die Mitgliedsländer Einreisesperren verhängt. Zu ihnen zählt auch Präsident Wladimir Putin.