Georgia vor WahlkrimiEndspurt im Senatsrennen mit Trump und Biden
dpa/tpfi
1.1.2021
Nur noch wenige Tage bis zur spannenden Senatsstichwahl im US-Staat Georgia: Da bieten beide Seiten noch einmal alles auf. Es könnte vor allem von der Wahlbeteiligung abhängen, wer gewinnt - und welche Partei künftig das Washingtoner Oberhaus beherrscht.
Es wird ein knappes Ergebnis, sagen Experten voraus, und da kommt es buchstäblich auf jede Stimme an. Und so gehen im Senatsrennen im US-Staat Georgia beide Seiten in ein furioses Wahlkampffinale, legen noch einmal alle Kraft darin, wahlmüde Einwohner zur Stimmabgabe zu bewegen - mit einer Flut von SMS-Botschaften und TV-Werbespots, einer letzten Serie von Wahlkundgebungen und Auftritten von Präsident Donald Trump und dessen gewähltem Nachfolger Joe Biden.
Tatsächlich geht es praktisch um alles oder nichts, darum, wer künftig den Senat in Washington beherrscht, und so wird der Ausgang dieser Senatsstichwahl am 5. Januar auch im Ausland mit Hochspannung verfolgt. Auf der republikanischen Seite versuchen die Senatoren David Perdue und Kelly Loeffler ihre Sitze zu verteidigen, beide kamen bei der Kongresswahl im November nicht auf die in Georgia nötige Stimmenmehrheit, was eine zweite Wahlrunde nötig machte.
Auf demokratischer Seite treten Jon Ossoff und Raphael Warnock an. Gewinnt auch nur einer der republikanischen Kandidaten, bleibt es bei der konservativen Mehrheit im Senat, siegen beide Demokraten, kommt es zu einem Patt von 50:50, und die künftige demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris wäre als Senatspräsidentin das Zünglein an der Waage.
Die Wähler in Georgia konnten schon frühzeitig, von Mitte Dezember bis Silvester, wählen gehen, bis Mittwochabend hatten schon mehr als 2,5 Millionen davon Gebrauch gemacht. Das ist ungefähr die Hälfte der gesamten Stimmen, die bei der Präsidentenwahl im November in diesem Bundesstaat abgegeben wurden. Und es deutet auf eine höhere Beteiligung hin, als sie traditionell bei Stichwahlen vorkommt: Viele Wähler haben schlicht keine Lust, noch einmal zu den Urnen zu gehen.
Sowohl die republikanischen als auch die demokratischen Kandidaten versuchen auch auf den letzten Metern vor der Wahl am Dienstag, mit Hilfe von Unterstützergruppen und mit allen Mitteln, Wähler zu mobilisieren. Biden wird am Montag in Atlanta mit Ossoff und Warnock auftreten, Trump wollte am Abend des desselben Tages in Dalton eine Kundgebung mit Perdue und Loeffler abhalten. Allerdings musste Perdue wegen Kontakts mit einer infizierten Person am Donnerstag in Isolation. Bereits am Sonntag kommt Harris zur Wahlwerbung für die Demokraten nach Savannah.
«Wir wollen nichts als gegeben hinnehmen», sagt Jessica Anderson von der konservativen Heritage Action. Freiwillige und Mitarbeiter dieser Graswurzelgruppe klopfen an jede Menge Türen, machen Telefonanrufe und verschicken Textnachrichten an registrierte Wähler. Bei den Demokraten hilft unter anderem die Organisation Plus1Vote mit, Wähler zu mobilisieren. Sie konzentriert sich insbesondere auf junge Leute, beschwört sie, die Chance nicht zu verpassen, den künftigen US-Kurs in Sachen Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Wahlrechte mitzubestimmen.
Denn es liegt auf der Hand, dass es Biden mit einem republikanisch kontrollierten Senat viel schwerer hätte, seine Agenda durchzusetzen. Im Abgeordnetenhaus haben die Demokraten die Mehrheit.
Roshan Mody, Mitbegründer von Plus1Vote, zeigt sich optimistisch. «Alle Zeichen sind gut», beruhigte er diese Woche progressive Aktivisten. Aber auch er erwartet einen eher knappen Ausgang, vielleicht mit einem Vorsprung von 10 000 bis 20 000 Stimmen.
Stichwahlen mit ihrer üblicherweise deutlich geringeren Beteiligung als bei normalen Kongress-und Präsidentenwahlen sind in Georgia in den vergangenen zehn Jahren oder so hauptsächlich den Republikanern zugute gekommen. Aber bei diesem Rennen scheint nichts gewöhnlich. Anstatt deutlich zu sinken, liegt die frühzeitige Wahlbeteiligung nur um 20 Prozent unter der zum selben Zeitpunkt vor den Wahlen im November.
Wie Mody werten auch andere Experten die Zahl der Frühwähler - insbesondere in der Gruppe der Jüngeren und der Afroamerikaner - als ermutigend für die Demokraten. «Das sind die Zahlen, die die Demokraten brauchen, um die Wahl gewinnen zu können», sagt Politikwissenschaftler Michael McDonald von der University of Florida. Es bedeute aber nicht zwangsläufig, dass sie es am Ende auch wirklich schafften.
Tatsächlich gibt es zu viele Unsicherheiten, um von der derzeitigen Wahlbeteiligung Endresultate ableiten zu können. Allem voran: Gewöhnlich stimmen mehr Republikaner als Demokraten direkt am Wahltag ab.
Für Loeffler wird viel davon abhängen, ob sie die Stimmen des Republikaners Doug Collins auf sich zieht, der bei der November-Wahl auf dem dritten Platz landete, wie Bernard Fraga, Politikwissenschaftler an der Emory University, erläutert. Beide Bewerber hatten sich seinerzeit im Wahlkampf heftig bekriegt. Fraga zufolge gilt es auch, republikanische Wähler davon zu überzeugen, dass ihre Stimme auch wirklich zählt: Trump selbst hatte nach seiner Niederlage dieses Vertrauen mit völlig grundlosen Vorwürfen massiven Wahlbetruges untergraben.
Die Demokraten ihrerseits müssten insbesondere daran arbeiten, Latinos und asiatischstämmige Wähler zu mobilisieren, meint Fraga. Beide Gruppen seien weniger beständige Wähler. Auch ein weiterer Fokus auf junge Leute sei von kritischer Bedeutung. «Es sieht viel besser aus für die Demokraten als jeder es auf der Basis historischer Erfahrungen gedacht hätte», so der Experte. Die Frage sei, ob es am Ende ausreiche.
Bislang haben Fraga zufolge nur sehr wenige Leute, die nicht im November wählen gegangen sind, ihre Stimme abgegeben. «Wenn wir annehmen, dass nur sehr wenige ihre Meinung darüber geändert haben, welche Partei sie bei der Stichwahl unterstützen, dann ist ein grosser Teil der Wahllandschaft in Georgia schon verfestigt, und es geht wirklich mehr um Wahlbeteiligung als darum, jemanden umzustimmen.»