Kriegsverbrecher-Prozess in der Ukraine Erster russischer Soldat der Vergewaltigung angeklagt

Von Stefan Michel

1.6.2022

Die Staatsanwaltschaft der Ukraine hat Anklage gegen einen weiteren russischen Soldaten erhoben. Sie beschuldigt ihn des Mordes und der Vergewaltigung. Der Angeklagte ist jedoch auf freiem Fuss.

Von Stefan Michel

Es ist eine traurige Premiere: Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Venediktova hat bekannt gegeben, dass der erste Fall von Vergewaltigung während des Kriegs in der Ukraine vor Gericht verhandelt werde. 

Der Angeklagte gehöre dem 239. Regiment der 90. Panzerdivision Witebsk-Nowgorod an. Er sei mit weiteren Soldaten in Brovary, einer Kleinstadt in der Umgebung von Kiew, in ein Haus eingebrochen. Dort hätten sie den Besitzer erschossen. Darauf habe ein betrunkener Soldat und ein weiterer Militär die Frau des Getöteten mehrfach vergewaltigt. 

Der Angeklagte  befindet sich nicht in ukrainischer Gefangenschaft, wie sie in einem Tweet schreibt. Der Fall wird deshalb in Abwesenheit des Beschuldigten stattfinden. Er werde sich seiner Verantwortung trotzdem nicht entziehen können, sagte Venediktova gemäss dem Nachrichtenmagazin «Business Insider». Wie das geschehen soll, erklärte sie allerdings nicht.

Für den Rest des Lebens erniedriegt

Soldaten, die im Kriegsgebiet vergewaltigen, sind kein neues Phänomen. Im Gegenteil, sexualisierte Gewalt als Begleiterscheinung bewaffneter Konflikte ist wohl so alt wie diese selbst.

Bekannt ist auch, dass Vergewaltigung nicht nur ein Nebeneffekt des Krieges ist, sondern eine gezielt eingesetzte Taktik. Das zeigen Untersuchungen zum Zweiten Weltkrieg ebenso wie zu den Balkankriegen der Neunziger oder dem Konflikt in Tigray in Äthiopien.

Angehörige der Gegenpartei eines Konflikts zu erniedrigen, ist Teil der psychologischen Kriegsführung, auch wenn es ein physisches Verbrechen ist und diverse körperliche Folgen haben kann. Für die Opfer bedeutet die Vergewaltigung Demütigung und Traumatisierung, die ein Leben lang nachwirken. «Den Opfern rauben die Vergewaltiger einen Teil ihres Selbst; die Sicherheit darüber, wer sie sind», zitiert die NZZ Elisabeth Prügl, die Direktorin des Programms für Gender und Globalen Wandel am Genfer Graduate Institute.

Ukrainische Ermittler: Jeden Tag hunderte Kriegsverbrechen

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31.05.2022

Zu systematischen Vergewaltigungen in Kriegen erklärt Historikerin Regina Mühlhäuser in einem SWR-Beitrag, dass diese selten auf expliziten Befehl von oben geschähen. 

Sie nennt das Beispiel des Massakers, das amerikanische Soldaten im Vietnamkrieg im Dorf My Lai, verübt hatten: Der befehlshabende General habe nicht zu ihnen gesagt, sie sollten vergewaltigen, sondern, dass alles ihres sei, was sie vorfänden. So seien sie losgezogen und hätten geplündert und vergewaltigt.

Ein Kriegsverbrechen, das selten geahndet wird

Den Schuldigen ihre Taten nachzuweisen, ist schwierig bis unmöglich, schliesslich vergewaltigten sie im Chaos des Kriegs. Vergewaltigungen würden aber noch oft weniger genau untersucht als andere Kriegsverbrechen wie Folter und Mord, schreibt die NZZ. Dies, weil sie als Verbrechen unmenschlicher, schlecht ausgebildeter Kämpfer gesehen würden.

Dem Internationalen Strafgerichtshof gelang es, mehrere Hundert Vergewaltiger im Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995 zu verurteilen – die Mehrheit der Täter blieb aber straffrei. Das Gericht bestätigte, dass die sexualisierte Gewalt gegen muslimische Frauen das Ziel hatte, die bosniakische Bevölkerung als Ethnie auszulöschen.

Auch aus dem Kiewer Vorort Butscha berichten Opfer, dass ihre Vergewaltiger ihnen gesagt hätten, sie würden sie so lange missbrauchen, bis sie keine Kinder mehr bekommen könnten. Einiges deutet darauf hin, dass im Krieg in der Ukraine Täter schärfer verfolgt werden als in anderen Kriegen.

Israelische Aktivist*innen protestieren am 20. April vor der russischen Botschaft in Tel Aviv gegen die systematische Vergewaltigung ukrainischer Frauen durch russische Soldaten.
Israelische Aktivist*innen protestieren am 20. April vor der russischen Botschaft in Tel Aviv gegen die systematische Vergewaltigung ukrainischer Frauen durch russische Soldaten.
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