Streit in Deutschland eskaliert Panzer-Frage wird für Ampel-Koalition zur Zerreissprobe

Von Michael Fischer, Bettina Grachtrup und Martina Herzog, dpa

22.1.2023 - 19:46

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wird in der Frage nach Kampfpanzer-Lieferungen stärker unter Druck gesetzt — auch in seiner eigenen Regierungskoallition.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wird in der Frage nach Kampfpanzer-Lieferungen stärker unter Druck gesetzt — auch in seiner eigenen Regierungskoallition.
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Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ringt die deutsche Ampel-Koalition um den richtigen Kurs, mehr oder weniger öffentlich. Nun platzt wichtigen Akteuren der Kragen.

DPA, Von Michael Fischer, Bettina Grachtrup und Martina Herzog, dpa

Die Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Lieferung deutscher Kampfpanzer an die Ukraine wachsen sich zu einem öffentlichen Koalitionskrach aus.

Nachdem FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann  Kanzler Olaf Scholz im Streit um die Kampfpanzer öffentlich angegriffen hatte, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich der Deutschen Presse-Agentur: «Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa macht man nicht im Stil von Empörungsritualen oder mit Schnappatmung, sondern mit Klarheit und Vernunft.»

«Deutschland hat leider gerade versagt»

«Deutschland hat leider gerade versagt»

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, hat die verschobene deutsche Entscheidung über Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine scharf kritisiert.

22.01.2023

«Jetzt sofort ausbilden»

Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: «Es geht natürlich nicht nur um Leopard 2, aber dies ist eine entscheidende Unterstützung, die Deutschland anbieten kann.» Es müsse «jetzt sofort» mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten am Leopard begonnen werden, damit es nicht zu weiteren Verzögerungen komme.

Auf der Ukraine-Konferenz in Ramstein hatte sich Deutschland am Freitag trotz erheblichen Drucks der Verbündeten noch nicht für die Lieferung von Kampfpanzern ins Kriegsgebiet entschieden. Die Bundesregierung erteilte auch noch keine Liefererlaubnis an andere Länder für die in Deutschland produzierten Panzer. Hofreiter sagte dazu: «Deutschland hat in Ramstein einen erheblichen Fehler gemacht und dadurch weiter Ansehen eingebüsst. Das muss jetzt schnell korrigiert werden.»

Auch die Aussenminister der baltischen Länder forderten Deutschland auf, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern. «Das ist nötig, um die russische Aggression zu stoppen, der Ukraine zu helfen und den Frieden in Europa schnell wieder herzustellen», schrieb der lettische Aussenminister Edgars Rinkevics am Samstag auf Twitter – nach eigenen Angaben auch im Namen seiner Amtskollegen aus Estland und Litauen. Der britische Aussenminister James Cleverly sagte der BBC am Sonntag:  «Ich würde nichts lieber sehen, als dass die Ukrainer mit Leopard 2 ausgerüstet sind.»

Einig im Zögern

Jedoch scheint auch US-Präsident Joe Biden in der Frage der Kampfpanzer ähnlich zögerlich wie Scholz. Die Amerikaner haben zwar grundsätzlich nichts gegen die Lieferung von Kampfpanzern einzuwenden, halten aber die Bereitstellung ihrer eigenen M1 Abrams aus praktischen Gründen nicht für sinnvoll. Die US-Panzer müssten erst über den Atlantik transportiert werden, die Instandhaltung sei aufwendiger, und sie verbrauchten zu viel Treibstoff. Die Panzer schlucken das Flugzeugbenzin Kerosin, nicht wie der Leopard und viele Gefährte der Ukrainer Diesel.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigte Scholz. «Masslose Kritik und persönliche Anfeindungen drohen den politischen Diskurs über unsere Ukraine-Hilfen immer weiter von den Tatsachen abgleiten zu lassen. Das ist bedauerlich», sagte er der «Rheinischen Post» (Montag). Die Eckpfeiler der deutschen Ukraine-Politik unter Kanzler Scholz lägen seit Monaten für alle Welt sichtbar auf dem Tisch und seien unverändert. «Wir machen keine Alleingänge, wahren unsere eigene Verteidigungsfähigkeit, werden nicht zur Kriegspartei und tun nichts, das dem westlichen Bündnis mehr schadet als Wladimir Putin», sagte Kühnert mit Blick auf den russischen Präsidenten.

Der russische Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin warnte für den Fall von Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine vor einer möglichen «Tragödie weltweiten Ausmasses». «Die Lieferung von Angriffswaffen an das Kiewer Regime führt zu einer globalen Katastrophe», schrieb Wolodin am Sonntag in seinem Kanal im Nachrichtendienst Telegram. Russland werde noch «mächtigere Waffen» einsetzen, falls die USA und die Staaten der Nato Waffen an Kiew lieferten, die dafür genutzt werden könnten, Gebiete zurückzuerobern.

Gegen «Empörungsrituale» und «Schnappatmung»

Am Freitag hatte Strack-Zimmermann Bundeskanzler Scholz im ZDF-«heute journal» angegriffen, was wiederum eine heftige Reaktion Mützenichs auslöste. «Frau Strack-Zimmermann und andere reden uns in eine militärische Auseinandersetzung hinein. Dieselben, die heute Alleingänge mit schweren Kampfpanzern fordern, werden morgen nach Flugzeugen oder Truppen schreien», sagte Mützenich der Deutschen Presse-Agentur. «Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa macht man nicht im Stil von Empörungsritualen oder mit Schnappatmung, sondern mit Klarheit und Vernunft.»

Strack-Zimmermann hatte die Kommunikation insbesondere von Scholz in der Frage von Kampfpanzer-Lieferungen als «Katastrophe» bezeichnet, denn einerseits unterstütze Deutschland die Ukraine massiv, durch die ausbleibende Entscheidung bei den Kampfpanzern entstehe aber ein anderer Eindruck. Sie sagte Tagesschau24 am Samstag: «Wenn man Leopard 2 nicht liefern will, dann muss erklärt werden, warum. Dann muss der Ukraine erklärt werden, warum.»

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte der «Bild am Sonntag» auf die Frage, wann die Entscheidung über Leopard-Panzer für die Ukraine falle: «Wir sind mit unseren internationalen Partnern, allen voran mit den USA, in einem sehr engen Dialog zu dieser Frage.» Um auf mögliche Entscheidungen bestens vorbereitet zu sein, habe er am Freitag sein Haus angewiesen, «alles so weit zu prüfen, dass wir im Fall der Fälle nicht unnötig Zeit verlieren». Er kündigte in dem Interview auch an, möglichst bald in die Ukraine reisen zu wollen, «vermutlich sogar schon innerhalb der nächsten vier Wochen».

Pistorius hatte am Donnerstag sein Amt angetreten, nachdem Christine Lambrecht als Ressortchefin zurückgetreten war.