Die EU-Kommission verklagt Österreich wegen der seit 2019 geltenden Kindergeld-Regeln für EU-Bürger vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Regeln seien diskriminierend und verstiessen somit gegen EU-Recht, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Donnerstag.
Die österreichische Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP) verteidigte in einer ersten Reaktion die Kindergeld-Regelung der Alpenrepublik, über die auch in Deutschland schon mehrfach diskutiert wurde.
In Österreich war 2018 beschlossen worden, die Zahlungen des Kindergelds an die Lebenshaltungskosten im Wohnsitzstaat des Kindes anzupassen. Die seit 2019 geltende Indexierung führt unter anderem dazu, dass Leistungen an in Österreich arbeitende Ungarn, Polen, Rumänen und Slowaken gekürzt werden, wenn deren Kinder in der Heimat leben. Damit bekommen Zehntausende Kinder weniger Geld als zuvor. Die Regierung in Wien rechnete früheren Angaben zufolge mit Einsparungen von rund 100 Millionen Euro.
Der Grundbetrag der Familienbeihilfe in Österreich liegt bei 114 Euro für das erste Kind ab der Geburt. Durch die Indexierung werden laut der Arbeiterkammer für in Bulgarien lebende Kinder nur 51,30 Euro ausgezahlt. Für Kinder in Deutschland gibt es 111,40 Euro. Deutsche in Österreich, deren Kinder weiter in der Heimat leben, erhalten durch die Indexierung laut der Arbeiterkammer 2,60 Euro weniger für das erste Kind.
Nach Ansicht der EU-Kommission stehen diese Regeln jedoch in Widerspruch mit EU-Recht. Deshalb startete die Behörde Ende Januar 2019 ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich. Die Bedenken der EU-Kommission konnten im Laufe des Verfahrens jedoch nicht ausgeräumt werden.
Der Mechanismus verstosse gegen «die geltenden Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherheit und ist diskriminierend, da einige mobile EU-Arbeitnehmerinnen und -Arbeitnehmer, die in Österreich in vollem Umfang zu Wirtschaft, Erwerbstätigkeit und Sozialversicherung beitragen, niedrigere Leistungen erhalten als solche, deren Kinder in Österreich leben», teilte die EU-Kommission am Donnerstag mit. Die Indexierung gelte nicht für Österreicher, die im Ausland für eine österreichische Behörde arbeiteten und deren Kinder mit ihnen dort leben – obwohl ihre Situation vergleichbar sei.
Die Alpenrepublik hält die Regelung derweil weiterhin für gerechtfertigt. «Für uns bleibt es aufgrund der unterschiedlichen Lebenserhaltungskosten in der EU weiterhin eine Frage der Gerechtigkeit», betonte Österreichs Familienministerin Aschbacher am Donnerstag. Es stehe der EU-Kommission aber natürlich frei, den Europäischen Gerichtshof mit der Frage zu befassen, «wenn diese Zweifel an der europarechtlichen Vereinbarkeit der Indexierung hat». Laufende Verfahren würden jedoch nicht weiter kommentiert.
In Deutschland wurde ein Vorgehen wie in Österreich ebenfalls bereits mehrfach diskutiert. Die deutschen Behörden zahlten im Jahr 2018 Kindergeld in Höhe von rund 402 Millionen Euro ins Ausland. 2012 lag dieser Betrag nach Angaben der Bundesregierung noch bei rund 75 Millionen Euro. Im Juni 2018 hatte die CSU im Bundesrat einen Antrag zur Anpassung der Höhe des Kindergeldes an die Lebenshaltungskosten in dem Land, in dem das Kind lebt, vorgestellt. Der Finanzausschuss entschied jedoch, seine Beratungen zu der Initiative auf unbestimmte Zeit zu vertagen.
Die österreichischen Europaabgeordneten Andreas Schieder und Evelyn Regner (beide SPÖ) bezeichneten die Entscheidung der EU-Kommission als «ein wichtiges Signal für mehr Gerechtigkeit». «In einem gerechten Europa sind alle Kinder gleich viel wert. Das wird auch Bundeskanzler Kurz erkennen müssen», betonte Regner. Die Kindergeld-Regelung sei unsozial und europarechtswidrig und letztlich nur noch ein Relikt aus der Zeit der rechtskonservativen ÖVP-FPÖ-Regierung in Österreich. Diese wurde inzwischen abgewählt.
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