Erzwungene Landung Vater des verhafteten Journalisten: «Das ist totaler Irrsinn»

dpa

25.5.2021 - 04:38

Die erzwungene Kursänderung der Maschine mit Roman Protassewitsch an Bord sorgt im Westen weiter für Entrüstung. Auf Belarus kommen jetzt neue Sanktionen zu. Der inhaftierte Journalist könnte mit Gewalt zu einem Schuldeingeständnis gezwungen worden sein, befürchtet derweil sein Vater.

25.5.2021 - 04:38

Als Antwort auf die erzwungene Landung einer Passagiermaschine in Minsk verhängt die Europäische Union ein Flug- und Landeverbot gegen belarussische Airlines. Dies ist Teil eines Sanktionspakets gegen Belarus, auf das sich die 27 Staaten beim EU-Sondergipfel in Brüssel einigten. «Das Urteil war einstimmig, dies ist ein Angriff auf die Demokratie, dies ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und dies ist ein Angriff auf die europäische Souveränität», sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. «Dieses ungeheuerliche Verhalten bedarf einer starken Antwort.»

Die belarussischen Behörden hatten am Sonntag ein Ryanair-Flugzeug auf dem Weg von Griechenland nach Litauen mithilfe eines Kampfjets zur Landung in Minsk gebracht – angeblich wegen einer Bombendrohung. An Bord war der belarussische Journalist und Dissident Roman Protassewitsch, der in Minsk festgenommen wurde. Die Maschine flog später weiter nach Vilnius.

Das Schicksal des festgenommenen Dissidenten war mehr als 24 Stunden unklar. Schliesslich tauchte am Montagabend ein Video des jungen Mannes in einem regierungsnahen Nachrichtenkanal bei Telegram auf. Darin bestätigte er, dass er im «Untersuchungsgefängnis Nr. 1» in Minsk sei. Er werde gesetzeskonform behandelt, arbeite mit den Ermittlern zusammen und wolle weitere Geständnisse ablegen. Die belarussische Opposition vermutet Zwang hinter der Videobotschaft. Von der Leyen mahnte, Belarus sei für die Gesundheit des Mannes verantwortlich.

Roman Protassewitsch wurde am 26. März 2017 in Minsk von der Polizei festgenommen, als er über Proteste gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko berichtete. (Archivbild)
Roman Protassewitsch wurde am 26. März 2017 in Minsk von der Polizei festgenommen, als er über Proteste gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko berichtete. (Archivbild)
Bild: Keystone/EPA/Stringer

Dsmitri Protassewitsch: «Totaler Irrsinn»

Der Vater des inhaftierten Oppositionellen äussert sich am späten Montag erstmals zur Inhaftierung seines Sohnes. Er glaube, dass sein Sohn in dem Video zu einem Schuldeingeständnis durch Anwendung von Gewalt gezwungen worden sei, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. «Es ist möglich, dass seine Nase gebrochen ist, denn ihre Form ist anders, und es ist eine Menge Puder darauf. Die ganze linke Seite seines Gesichts ist abgepudert», sagte Dsmitri Protassewitsch in dem Interview.

«Es sind nicht seine Worte, es ist nicht sein Tonfall. Er verhält sich sehr reserviert und man sieht, dass er nervös ist.» Und es sei nicht seine Zigarettenschachtel auf dem Tisch – «die raucht er nicht», sagt der Vater weiter. Er denke deshalb, dass sein Sohn zu der Aussage, er habe die Proteste in Belarus angestachelt, gezwungen wurde. 

Die Inhaftierung seines Sohnes sei ein Akt der Vergeltung und solle Regierungskritikern zeigen: «Schaut, wozu wir in der Lage sind.» Was hier passiere sein «totaler Irrsinn», sagte Protassewitschs Vater.



Erzwungene Landung Hauptthema am Sondergipfel

Der Vorfall kam kurzfristig auf die Tagesordnung des Sondergipfels in Brüssel. Daneben ging es zum Auftakt des zweitägigen Treffens um den Konflikt mit Russland, dem die EU «illegale und provozierende» Aktivitäten vorwirft. Die EU-Kommission und der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell sollen bis Ende Juni einen Bericht zum Stand der Beziehungen mit Moskau vorlegen.

Grösster Aufreger beim Gipfel war jedoch zum Auftakt der Vorfall von Minsk und die Festnahme des im Ausland lebenden belarussischen Regierungskritikers Protassewitsch. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem «beispiellosen Vorgehen der belarussischen Autoritäten» und forderte die sofortige Freilassung des Bloggers und seiner Partnerin, die ebenfalls im umgelenkten Flug sass.

Belarussische Behörden hatten die Ryanair-Maschine zur Landung gebracht.
Belarussische Behörden hatten die Ryanair-Maschine zur Landung gebracht.
Bild: dpa

Diese Forderung wurde dann auch in den offiziellen EU-Beschluss für Strafmassnahmen aufgenommen. Demnach sollen belarussische Fluggesellschaften nicht mehr den Luftraum und die Flughäfen der EU nutzen dürfen. Fluggesellschaften mit Sitz in der EU werden aufgefordert, den Luftraum über Belarus zu meiden. Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation soll eine Untersuchung einleiten.

Die EU erweitert zudem die bestehende Liste mit Personen und Unternehmen, gegen die Vermögenssperren und Einreiseverbote gelten. Wegen der gewaltsamen Unterdrückung von Protesten hatte die EU bereits vor Monaten Sanktionen gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und dessen Unterstützer verhängt.



Auch USA verurteilen «skandalösen» Vorfall

US-Präsident Joe Biden hat die erzwungene Landung einer Passagiermaschine in der belarussischen Hauptstadt Minsk und die Festnahme eines von der Führung des Landes international gesuchten Bloggers auf das Schärfste verurteilt. 

Mit Blick auf mögliche Sanktionen gegen Belarus erklärte Biden, er habe sein Team angewiesen, «angemessene Optionen» zu entwickeln, «um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen». Dies solle in enger Abstimmung mit Partnern wie der Europäischen Union geschehen. Der Vorfall sei «skandalös», sagte Biden am Montagabend (Ortszeit).

Er forderte wie schon die EU eine internationale Untersuchung sowie die Freilassung Pratassewitschs und Hunderter weiterer politischer Gefangener. Sein nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan versicherte Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die USA würden mit ihren Partnern die belarussische Regierung zur Verantwortung ziehen.

Zwei wichtige US-Senatoren haben die Regierung zudem zu einem Flugverbot für US-Fluggesellschaften über Belarus aufgefordert. Unschuldige Passagiere müssten  vor despotischen Regierungen geschützt werden, erklärten der Demokrat Dick Durbin und der Republikaner Marco Rubio. Die USA müssten sich zudem mit Dissidenten solidarisieren, die auf diese Weise angegriffen würden.

dpa