USAFBI vermutet organisierte Extremisten bei Kapitol-Erstürmung
AP/toko
11.3.2021
War der Sturm aufs US-Kapitol am 6. Januar von langer Hand geplant? Ermittler gehen von einem organisierten Vorgehen extremistischer Gruppen aus.
11.03.2021, 19:13
AP/toko
Als Mitglieder der paramilitärischen Gruppe Oath Keepers am 6. Januar mit dem Mob die Stufen zum US-Kapitol hinaufstürmten, hatten sie nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden einen Plan: «Nehmt diese Versammlung fest, es besteht hinreichender Verdacht auf Verrat und Wahlbetrug», lautete die Anweisung auf einer verschlüsselten Messenger-App, mit der manche Extremisten während der Belagerung kommunizierten.
Kurz zuvor hatten sich Mitglieder der rechtsextremen Proud Boys mit Funkgeräten und Ohrhörern unter den Mob gemischt, laut Staatsanwaltschaft angeführt von einem Mann, der für den Angriff mit «Kriegsvollmachten» ausgestattet war. Diese beiden extremistischen Gruppen, deren Mitglieder mit Tausenden anderen Anhängern des scheidenden Präsidenten Donald Trump nach Washington gereist waren, wurden an diesem Tag nach Einschätzung der Behörden nicht spontan von Trump aufgestachelt - sie hatten den Angriff auf den Sitz des US-Kongresses demnach geplant.
«Das war nicht einfach nur ein Marsch»
Mithilfe der sichergestellten internen Kommunikation und anderem Beweismaterial aus Gerichtsunterlagen und Anhörungen wollen die Ermittler nachweisen, dass kleine Zellen der extremistischen Gruppen sich in der Menge versteckten und einen militärähnlich organisierten Angriff auf das Herz der US-Demokratie geplant hatten. «Das war nicht einfach nur ein Marsch. Das war ein unglaublicher Angriff auf unsere Regierungsinstitutionen», betonte der stellvertretende US-Staatsanwalt Jason McCullough kürzlich bei einer Anhörung.
Zwar machen die Proud Boys und die Oath Keepers nur einen Bruchteil der mehr als 300 Trump-Unterstützer aus, die wegen der Belagerung des Kapitols bisher angeklagt wurden. Doch einige ihrer Anführer, Mitglieder und Verbündeten wurden zum Mittelpunkt der umfangreichen Ermittlungen des Justizministeriums. Für einige der Aufrührer bedeutet dies möglicherweise schwerwiegendere strafrechtliche Anklagen. Gleichzeitig könnten Hinweise auf die Planung des Angriffs auch die Beteuerungen Trumps und seiner Unterstützer untermauern, wonach der damalige Präsident die Ausschreitungen nicht angezettelt habe und dafür nicht belangt werden könne.
Einige Anwälte der Angeklagten beschuldigten unterdessen die Staatsanwaltschaft, Aussagen und Handlungen ihrer Mandanten zu verzerren, um den Angriff als vorsätzlichen, orchestrierten Aufstand darzustellen. Sie selbst wollen die Ausschreitungen eher als spontanen Wutausbruch nach den Wahlen verstanden wissen, der das Ziel gehabt habe, die Bestätigung des Wahlsieges des Demokraten Joe Biden durch den Kongress stoppen.
Im Fall eines mutmasslichen Anführers beim Angriff der Proud Boys aufs Kapitol musste die Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche eine Niederlage einstecken, als ein Richter dessen Freilassung aus der Untersuchungshaft anordnete. Begründung: Die Beweislage gegen ihn sei «mehr als dünn».
«Zwei Tage Kriegsspiele»
Die Oath Keepers begannen nach Ansicht der Behörden bereits im November mit den Vorbereitungen für Gewalttaten. Laut sichergestellten Auszügen aus interner Kommunikation diskutierte die Gruppe Logistik, Waffen und Training, darunter «zwei Tage Kriegsspiele».
«Ich brauche dich kampffähig» bis zur Amtseinführung, schrieb das Mitglied Jessica Watkins aus Ohio einem Rekruten im November laut Gerichtsunterlagen. «Wenn Biden Präsident wird, dann ist unser Lebensstil, wie wir ihn kennen, Geschichte. Unsere Republik wäre Geschichte. Dann ist es unsere Pflicht als Amerikaner zu kämpfen, zu töten und zu sterben für unsere Rechte», heisst es in einer weiteren Nachricht von ihr, ebenfalls im November.
Als der Mob das Kapitol stürmte, kommunizierte Oath-Keepers-Anführer Stewart Rhodes auf dem Messenger-Dienst Signal mit einigen der mutmasslichen Aufrührer: «Alles, was ich bei Trump sehe ist, dass er sich beschwert. Ich erkenne keine Absicht bei ihm, irgendwas zu tun. Die Patrioten nehmen es also selbst in die Hand. Sie haben genug», schreibt Rhodes, der bislang nicht angeklagt wurde, nach Angaben der Ermittler gegen 13.40 Uhr. Kurze Zeit später wies er die Gruppe an, «zur Südseite des Kapitols auf die Stufen zu kommen».
Nach Erkenntnissen der Ermittler erklommen Mitglieder einer militärähnlichen Formation die Stufen des Kapitols und betraten das Gebäude gegen 14.40 Uhr durch eine Tür an der Ostseite. Nur 20 Minuten vorher waren die Abgeordneten und Vizepräsident Mike Pence aus Repräsentantenhaus und Senat in Sicherheit gebracht worden.
Erschreckende Chat-Nachrichten
«Wir sind im Zwischengeschoss, gerade in der Hauptkuppel. Wir lassen es krachen. Sie werfen Granaten, sie beschiessen Leute mit Paintballs, aber wir sind hier drin», erklärte Oath-Keepers-Mitglied Watkins nach Angaben der Staatsanwaltschaft in einem Kanal namens Stop the Steal J6 auf der Walkie-Talkie-App Zello.
Die Proud Boys trafen sich am Washington Monument und waren schon am Kapitol, bevor Trump seine Rede vor Tausenden Anhängern nahe dem Weissen Haus beendet hatte. Die Rede des Präsidenten anzuhören war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft also nicht Teil ihres Plans. Angeführt hat die Gruppe, die Kopfbedeckungen mit orangefarbener Markierung trug, Ethan Nordean mit einem Megafon. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft hatten die Proud Boys in ihrer Planung für den 6. Januar diskutiert, auf Nicht-Mitglieder oder Normalos zurückzugreifen, um «diese Stadt niederzubrennen» und «einige Schweine in Grund und Boden zu prügeln».
Bisher wurden neun Personen aus dem Umfeld der Oath Keepers angeklagt, den Sturm aufs Kapitol geplant und koordiniert zu haben. Mindestens elf Anführern, Mitgliedern oder Verbündeten der Oath Keepers wird vom Justizministerium die Teilnahme an einem koordinierten Angriff vorgeworfen.
Die Anwälte der Verteidigung betonen, die Staatsanwaltschaft stelle die Ereignisse des 6. Januar irreführend und mit wackligen Beweisen dar. Einige Verteidiger versuchten auch, für den Sturm aufs Kapitol Trump verantwortlich zu machen, der die Gewalttäter aufgehetzt habe.
Die Anwälte von Nordean betonen ihrerseits, die Anklage habe keine Beweise dafür vorgelegt, dass er verschlüsselte Kommunikation genutzt habe, um einen Angriff der Gruppe auf das Kapitol anzuführen. Nicholas Smith, einer seiner Anwälte, betont: «Die Regierung hat wiederholt Behauptungen über Ethans Aktivitäten gemacht und sie dann wieder zurückgezogen, ohne sie zu untermauern.»