Angst vor inszenierter FlüchtlingskriseFinnland baut Grenzzaun gegen Putins «hybride Bedrohung»
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Von Philipp Dahm
08.07.2022, 17:59
Philipp Dahm
Finnlands Grenze zu Russland ist 1'340 Kilometer lang – und für Helsinki ein Problem. Nicht wegen des geplanten NATO-Beitritts, der immer näher rückt, nachdem heute der der deutsche Bundestag als sechstes von 30 Mitgliedsländern die Aufnahme genehmigt hat, sondern aus Angst vor einem asymmetrischen Angriff.
Um so eine Attacke abzuwenden, soll die Grenze mit einem Zaun gesichert werden. Noch in diesem Sommer könnte im Südosten des Landes ein erstes Teilstück entstehen, das 100 bis 250 Kilometer lang sein könnte, berichtet das finnische Newsportal «Yle».
Mit dem Zaun wird auch ein technisches Überwachungssystem aufgebaut. Durch den baldigen Baubeginn könnte der Grenzschutz testen, ob die Funktionalität auch unter Herbst- und Winterbedingungen funktioniert.
Das Szenario, vor dem das Bauwerk schützen soll, hat Europa vor einem Jahr an der Grenze zwischen Belarus und Polen erlebt: Im Juli 2021 droht Alexander Lukaschenko, er werde massenhaft Migranten nach Westen schicken. Der weissrussische Präsident reagiert mit dem hybriden Angriff auf Sanktionen, die die EU wegen der geschobenen Wahl 2020 verhängt hat.
Migration als Waffe
Seit Mai 2021 hat der staatliche Reiseveranstalter Zentrkurort massenhaft Visa für die Einreise nach Belarus im Irak ausgestellt. Im Juli lässt er dann Migrant*innen von dort, aus dem Libanon und auch Jordanien und Syrien nach Weissrussland fliegen. Von Minsk aus werden die Menschen mit Bussen an die polnische, lettische und litauische Grenze gebracht und ermutigt, sie zu überqueren.
Die Zahl illegaler Grenzübertritte schwillt in Litauen von 46 im Jahr 2019 auf über 4'200 im Jahr 2021 an. Polen verzeichnet bis November über 32'000 Versuche, illegal einzureisen: Es kommt zu regelrechten Schlachten zwischen Migrant*innen und Sicherheitskräften. Erst zum Ende des Jahres beruhigt sich die Lage an der Grenze wieder.
Solche Szenen will Finnland vermeiden: Am 7. Juli winkt das Parlament mit grosser Mehrheit ein neues Gesetz durch, das den Bau des Zauns festlegt. Weil das Grenzgebiet nicht dem Staat gehört, legt es die Grundlage, um private Besitzer gegen Entschädigung zu enteignen. Ausserdem kann die Regierung nun Notstände an der Grenze ausrufen.
Die Massnahmen sollen «die operativen Kapazitäten der Grenzwacht mit Blick auf hybride Bedrohungen verbessern», erklärt Anne Ihanus, Beraterin im Innenministerium, dem «Guardian». Profitieren kann Finnland dabei von Erfahrungen in Polen, wo gerade eine 186 Kilometer lange, 5,5 Meter hohe Stahlwand an der Grenze zu Belarus fertiggestellt worden ist.
«Russische Desinformationsmaschine auf vollen Touren»
Keine Grenzen kennt dagegen das Internet: Dort gehören Desinformationskampagnen zur hybriden Kriegsführung. Der Vorwurf: Russland nehme gezielt Migranten ins Visier, die des Finnischen nicht mächtig sind und auf Fake News hereinfielen. «Es ist verrückt», erklärt Suldaan Said Ahmet, ein somalisch-stämmiger Abgeordneter, gegenüber «Yle»: «Russland ist auf dem arabischen TikTok unglaublich aktiv.»
Der Tenor der Trolle: Die USA zwängen Finnland in die NATO und ein Krieg stehe kurz bevor. So werde ein Klima der «Unsicherheit und Angst» geschaffen. «Die russische Desinformationsmaschine läuft auf vollen Touren», bestätigt Gwenaëlle Bauvois von der Universität Helsinki.
Ausländer seien ein leichteres Ziel für Propaganda, führt sie aus: «Wenn du ein Fremder in Finnland bist, fühlst du dich eh schon als Aussenstehender und traust den Mainstream-Medien vielleicht nicht. Viele leben in isolierten Informationsblasen, in denen das Gefühl von Gemeinschaft wichtiger ist als Fakten.»