Der Trend hat sich abgezeichnet: Spanien hat Italien als Hauptziel für Flüchtlinge abgelöst. Die Populisten-Regierung in Rom hat wenig Grund, von ihrem Anti-Migrationskurs abzurücken.
Erstmals haben die meisten Flüchtlinge und Migranten die westliche Mittelmeerroute über Spanien bei der Einreise in die EU genutzt. Die Zahl der Zuwanderer auf der bisher favorisierten zentralen Mittelmeer-Route nach Italien ging dagegen gerade in jüngster Zeit deutlich zurück, wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Dienstag in Warschau mitteilte.
Bis Mitte Juli sind in Spanien laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) etwa 18 000 Männer, Frauen und Kinder angekommen. Zusätzlich hätten fast 3000 Migranten versucht, über die in Nordafrika gelegenen spanischen Gebiete Melilla und Ceuta einzureisen, teilte die IOM am Dienstag in Genf mit. Speziell in den vergangenen Wochen schnellte die Zahl der Flüchtlinge von rund 50 auf fast 220 am Tag hoch. Damit kamen auf der westlichen Mittelmeer-Route im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast drei Mal mehr Migranten an.
Die meisten von ihnen stammen den Angaben zufolge aus Marokko, Guinea und Mali. Frontex-Chef Fabrice Leggeri warnt seit Monaten davor, der Weg über Spanien könne die neue Hauptroute für Flüchtlinge werden.
Harter Anti-Migrationskurs in Italien
Die Entwicklung fällt zusammen mit dem Antritt der Populisten-Regierung in Rom im Juni. Sie fährt einen harten Anti-Migrationskurs. Zuletzt hat Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega Hilfsorganisationen die Einfahrt in einen Hafen verwehrt, mehrere Schiffe mit geretteten Migranten an Bord wurden tagelang blockiert. Nach Ansicht von Salvini kann die Migrationskrise nur gelöst werden, wenn alle aus Seenot geretteten nach Libyen zurückgeschickt werden. Das Bürgerkriegsland sollte als sicherer Hafen anerkannt werden, forderte er zuletzt.
In Italien seien etwa 80 Prozent weniger Flüchtlinge angekommen als in den ersten sieben Monaten 2017, hiess es bei der IOM. Konkret zählten die Behörden noch 17'800 Ankünfte. Der drastische Rückgang ist auch darauf zurückzuführen, dass die Libyer seit vergangenem Jahr mit Unterstützung Italiens mehr Migranten in nationalen Gewässern abfangen und zurück in das Land bringen.
Die spanische Hilfsorganisation Proactiva Open Arms warf der libyschen Küstenwache am Dienstag unterlassene Hilfeleistung vor. Auf dem offenen Meer hatten sie eine einzige Überlebende entdeckt, die sich an die Überreste eines Schlauchbootes klammerte. Ausserdem wurden zwei Leichen gefunden. Die NGO geht davon aus, dass die Libyer die drei nach einer Rettung im Meer zurückgelassen haben. Ein Sprecher der libyschen Küstenwache erklärte, es seien 158 Menschen gerettet und keiner zurückgelassen worden. Salvini warf den Seenotrettern Lügen und Pöbelei vor und sagte: «Die Abfahrten und Ankünfte zu reduzieren, bedeuten weniger Tote. (...) Ich bleibe hart.»
In Griechenland steigt nach IOM-Angaben die Zahl der Migranten wieder und liegt nun bei 14'700. Insgesamt sind den Angaben zufolge bis Mitte Juli knapp 51'000 Menschen übers Mittelmeer nach Europa gekommen. 2017 waren es noch 110'000, 2016 gar 241'000. Die IOM schätzt die Zahl der in diesem Jahr bei der Überfahrt ertrunkenen Menschen auf knapp 1500.
Halb so viele illegale Grenzübertritte
Insgesamt zählte Frontex in der ersten Jahreshälfte 2018 mit rund 60'430 gerade mal halb so viele illegale Grenzübertritte in die EU wie im Vorjahreszeitraum – «hauptsächlich wegen des gesunkenen Migrationsdrucks auf der zentralen Mittelmeerroute», wie es hiess.
Unterdessen ist die genaue Verteilung von rund 450 geretteten Bootsflüchtlingen noch unklar. Italien hatte die Migranten, die es mit einem Holzboot von Libyen bis kurz vor die Küsten italienischer Inseln geschafft hatten, erst an Land gehen lassen, nachdem Länder wie Deutschland, Frankreich und Spanien die Aufnahme von jeweils 50 Flüchtlingen zugesagt hatten. Andere EU-Länder wie Österreich und Tschechien sehen dagegen keinen Anlass zur Hilfe.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hat seinem italienischen Amtskollegen Giuseppe Conte in einem der österreichischen Nachrichtenagentur APA vorliegenden Brief mitgeteilt, dass die Alpenrepublik seit 2015 gemessen an der Bevölkerungszahl einen der höchsten Solidarbeiträge zur Migrationspolitik in der EU leiste. «An einer zusätzlichen Umverteilung wird sich Österreich daher nicht beteiligen.»
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