Zerrissene USA «Frauen, die für Trump sind – das geht doch nicht zusammen»

Von Gil Bieler

7.9.2020

Die Vereinigten Staaten von Amerika? Unter Präsident Donald Trump sind sie eher zerrissen. Die Schweizer Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer haben Gesichter und Stimmen einer geteilten Nation eingefangen.

Schockierende Fälle von Polizeigewalt. Massenproteste und Plünderungen. Bewaffnete Bürger, die auf andere Bürger schiessen: Welche Gräben sich durch die amerikanische Gesellschaft ziehen, zeigt sich gerade drastisch. 

Dieser Spaltung ging auch das Fotografenpaar Mathias Braschler und Monika Fischer nach. In einem Van, den sie zu einem Wohnmobil mitsamt Fotostudio ausgebaut hatten, fuhren sie von April bis August 2019 durch die USA. Das Paar, das abwechselnd in Wildegg bei Lenzburg und in New York lebt und arbeitet, legte so fast 25'000 Kilometer durch 40 der 50 US-Bundesstaaten zurück.

Sie porträtierten «Amerikaner aus allen Bevölkerungsschichten mit sehr unterschiedlichen Meinungen über ihr Leben, Politik und ihr Land» – so heisst es im letzte Woche erschienenen Bildband «Divided We Stand», der auf diesem Roadtrip entstand. Im Interview berichten sie über die Entstehung und ihren Eindruck, wie es derzeit um die USA bestellt ist.

Mathias Braschler und Monika Fischer, Sie haben die Spaltung der USA dokumentiert. Das war im letzten Jahr. Kam das Ausmass der Gewalt, die wir jetzt gerade sehen, auch für Sie überraschend?

Braschler: In keinster Art und Weise, nein. Die Spaltung geht unglaublich tief, das spürt man überall. Auch dass eine akute Gefahr besteht, dass sich dies in Gewalt entladen kann, war für mich völlig klar. Das Land ist hochgradig bewaffnet und Trump treibt die Spaltung immer weiter – bis ins Extreme. Sich danach als ‹Law and Order›-Präsident darzustellen, ist das Einzige, was ihm den Kopf retten kann. Ein Amischer, den wir porträtiert haben, hat etwas gesagt, das mir in diesen Tagen immer wieder in den Sinn kommt: ‹Seit der Zeit von Abraham Lincoln war die Gefahr eines Bürgerkriegs in den USA nie mehr so gross.› Ich musste ihm schon damals recht geben.

Fischer: Wir leben seit 1998 abwechselnd in den USA und der Schweiz, doch eine Spaltung wie unter Trump haben wir noch nie erlebt. Nach Beginn der Coronapandemie hatte ich noch geglaubt, das könnte die Gesellschaft einen, weil es alle betrifft. Doch sogar da hat Trump einen Weg gefunden, um Zwietracht zu säen.

Könnte ihm die Wiederwahl gelingen?

Braschler: Bis vor wenigen Wochen dachte ich tatsächlich, es wäre für ihn gelaufen. Aber nun hat er eine Hintertür gefunden, wie er doch noch im Weissen Haus bleiben könnte.

Fischer: Als wir von unserem Roadtrip zurückkamen, war ich zu 100 Prozent überzeugt, dass er wiedergewählt würde. Wir haben im Landesinneren viele Anhänger des Präsidenten getroffen. Die finden ihn als Person zwar – um es höflich zu sagen – schrecklich, aber dennoch stehen sie hinter seiner Politik. Oft nur, weil ein einziger seiner politischen Standpunkte zu ihren Überzeugungen passt.

Wie viel Zeit im Jahr verbringen Sie in den USA?

Fischer: Rund ein Drittel des Jahres. Witzigerweise haben wir unsere Wohnung in New York gerade jetzt abgegeben – wobei unsere Sachen alle eingelagert sind. Wir können also jederzeit wieder zurück.

Leben Sie in New York in einer Bubble?

Braschler: Zu einem gewissen Grad schon. Aber ich glaube, das ist in der Schweiz nicht viel anders und ein Phänomen unserer Zeit. Am Wahltag 2016 waren wir in New York mit Freunden zusammen und konnten es alle nicht fassen. Das ging allen in New York so. Von daher: Ja, wir waren in einer Bubble und kamen brutal auf die Welt, als Trump gewählt wurde.

«Viele finden Trump als Person schrecklich, stehen aber dennoch hinter seiner Politik.»

Und dann gingen Sie hinaus ins Land. Sie haben Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen porträtiert. Wie fanden Sie Ihre Protagonisten?

Fischer: Häufig sind wir mit unserem Van an einer spannenden Ortschaft oder Stelle vorbeigekommen, haben dann angehalten und unser Equipment aufgebaut. Dann haben wir die Leute angesprochen, ob sie mitmachen und sich porträtieren und interviewen lassen würden. Also ganz spontan. Die meisten Leute haben wir so gefunden, unterwegs.

Braschler: Wir sind auch fast nur über Landstrassen gefahren. Da kommt man an Käffern vorbei, hält an und sucht sich eine gute Stelle. Man muss einfach offen sein. Und wir haben sehr selten ein Nein als Antwort erhalten. Das wäre in der Schweiz schwieriger. Die grosse Spontanität der Amerikaner hat uns also geholfen.

Auf dem Buchumschlag ist ein bärtiger Mann im Overall abgebildet. Was ist seine Geschichte?

Braschler: Den trafen wir in Youngstown, Ohio. Das war früher eine der grossen Stahlindustrie-Städte des Landes. Auch Bruce Springsteen hat der Stadt einen Song gewidmet. Doch wirtschaftlich ging alles bachab, es gibt fast keine Industriejobs mehr. Für uns war daher klar: Wir wollten dort einen Stahlarbeiter porträtieren. Er ist einer davon – und weiss noch, wie es früher war. Er meinte, den Arbeitern sei versprochen worden, dass ihre Jobs wieder zurückkämen, doch nichts sei geschehen.

Der Buchumschlag von «Divided We Stand». 
Der Buchumschlag von «Divided We Stand». 
zVg

Ist Ihnen bei den Recherchen auch rassistisches Gedankengut begegnet?

Braschler: Nicht explizit. Aber unterschwellig. Wir haben etwa ein Paar fotografiert, das mit Konföderierten-Flagge und einem Gewehr aus dem Bürgerkrieg posiert hat. Beide sind in Organisationen aktiv, die politisch ganz rechts stehen. Die waren aber gut geschult, um ja nichts zu sagen, das klar rassistisch wäre …

Fischer: … ja nichts gegen Schwarze sagen, da haben sie sich auffällig Mühe gegeben.

Braschler: Wenn du aber das Bild anschaust, ist eigentlich alles klar. Dieser unterschwellige Rassismus ist in den USA weitverbreitet, das gehört also zu so einem Projekt dazu.

Fischer: Explizit über Rassismus sprachen vor allem Schwarze, die von ihren tagtäglichen Erfahrungen berichtet haben. Zum Beispiel zwei Teenager, die erzählten, wie oft sie aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei angehalten werden. Aber auch Weisse, die sich an dieser Ungleichheit stören, haben sich geäussert.

Braschler: Eine Angehörige der Crow-Indianer meinte: Solange es Menschen verschiedener Hautfarbe gebe, solange werde es auch Rassismus geben. Als Angehörige der Native Americans sei das Bild, das die Leute von ihr hätten, extrem negativ besetzt – entsprechend schwer sei es für sie oder ihren Bruder, eine faire Chance zu erhalten.

«Joe Biden ist ein Langweiler, aber kein rotes Tuch für die Mittewähler.»

Nochmals zu den Trump-Anhängern: Welche Haltung hat Sie besonders überrascht?

Braschler: Dass ihn so viele aus der Arbeiterklasse unterstützen, obwohl seine Politik ihnen ja gar nichts nützt. Wenn man Trumps Wirtschaftspolitik anschaut, ist offensichtlich, dass die jenen nützt, die Geld haben. Und trotzdem halten die Arbeiter zu ihm, das war schon sehr überraschend.

Fischer: Frauen, die für Trump sind. Das geht doch nicht zusammen, so, wie er Frauen behandelt und über sie spricht. Das war für uns nicht nachvollziehbar, dennoch haben wir es immer wieder angetroffen. Wir haben zum Beispiel Brenda fotografiert, die Hand an der Knarre. Sie sagt, sie stehe morgens um 4 Uhr auf und schaue bis 9 Uhr Fox News. Sie glaubt, dass wir einen Kampf zwischen Teufel und Gott erleben – und Trump sei von Gott gesandt.

Kann Biden die Leute in ähnlichem Mass elektrisieren wie Trump?

Braschler: Das kann er auf keinen Fall, aber das ist aus meiner Sicht auch seine grosse Stärke. Die Wahl wird von jenen Wählern in der Mitte entschieden – einer kleinen Gruppe in ganz wenigen entscheidenden Swing States. Das sind Wähler, die recht pragmatisch sind. Denn diese Leute haben die Nase voll vom Extremismus in der Politik. Die wollen, dass jetzt endlich einmal Ruhe einkehrt. Biden ist ein Langweiler, aber kein rotes Tuch für die Mittewähler. Deshalb, glaube ich, wird Trump am Ende auch verlieren.

Bibliografische Angaben: Mathias Braschler/Monika Fischer: Divided We Stand. Hartmann Books, 160 Seiten, ca. 53 Franken , ISBN 978-3-96070-048-7.

Eine Ausstellung der Bilder ist noch bis zum 25. Oktober im Stapferhaus, Lenzburg, im Rahmen des Fotofestivals Lenzburg zu sehen. Vom 17. Oktober bis zum 22. November wird eine Auswahl der Porträts zudem am Museo d'arte della Svizzera italiana in Lugano gezeigt. 

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