Alltägliche Übergriffe Frauen in Nordkorea werden Opfer sexuellen Missbrauchs durch Beamte

AP

1.11.2018

Polizisten, Staatsanwälten und Soldaten missbrauchen in Nordkorea ihre Macht: Laut einem Bericht von Human Rights Watch sind Frauen im abgeschotteten Land häufig sexuellen Übergriffen ausgesetzt.

Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in Nordkorea gehört nach Aussage von Geflüchteten zum Alltag. Ein am Donnerstag veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch legt nahe, dass sich für misshandelte Frauen dort auf absehbare Zeit nichts ändern dürfte – für eine «MeToo»-Bewegung wie in anderen Ländern fehlen die Voraussetzungen.

Viele Frauen fühlen sich laut dem Bericht der Menschenrechtsorganisation in der extrem patriarchalischen nordkoreanischen Gesellschaft zu machtlos, um zu fordern, dass übergriffige Männer zur Rechenschaft gezogen werden. Viele schämten sich dafür, sexuell misshandelt zu werden, manche schwiegen wegen ungenügender Strafverfolgungsbehörden und mangelnder institutioneller Unterstützung. Human Rights Watch mit Sitz in New York stützte ihren Bericht auf Befragungen von 106 Nordkoreanerinnen, die das Land verlassen haben, mehr als die Hälfte von ihnen nach 2011.

Drei ehemals in Nordkorea lebende Frauen und drei südkoreanische Experten, die von der Nachrichtenagentur AP separat befragt wurden, stimmten darin überein, dass sexuelle Gewalt in Nordkorea ein ernstes Problem sei, auch wenn der Einfluss und das wirtschaftliche Gewicht von Frauen in den vergangenen Jahren zugenommen hätten. Einige sagten, Nordkoreanerinnen sei vielfach nicht einmal bewusst, dass die weitverbreitete Nötigung und Belästigung von Frauen Missbrauch seien.

Sexuelle Gewalt ist ein toleriertes Geheimnis

«Sexuelle Gewalt in Nordkorea ist ein offenes, unausgesprochenes und weithin toleriertes Geheimnis», erklärte HRW-Direktor Kenneth Roth. «Nordkoreanerinnen würden wahrscheinlich ‹MeToo› sagen, wenn sie dächten, dass es eine Möglichkeit gebe, Gerechtigkeit zu erfahren, aber ihre Stimmen werden in (Staatschef) Kim Jong Uns Diktatur zum Schweigen gebracht.»

Eine Frau in einem nordkoreanischen Betrieb.
Eine Frau in einem nordkoreanischen Betrieb.
Bild: Keystone/Symbolbild

Die internationalen Bemühungen um eine atomare Abrüstung des Landes haben in den vergangenen Monaten neuen Schwung erhalten – die Menschenrechtslage war dabei aber kaum ein Thema. Der HRW-Bericht dürfte in Pjöngjang auf Missfallen stossen: Die nordkoreanische Regierung stellt das Land als «sozialistisches Paradies» dar und sieht in Kritik von aussen einen Versuch unter Führung der USA, einen Regimewechsel zu erzwingen. In einer Mitteilung von 2016 hiess es, jede Frau im Norden sei «hoch geachtet und respektiert», sie alle könnten ein Leben «als eine Heldin der Zeit» führen. Die frühere südkoreanische Präsidentin Park Geun Hye wurde dagegen schon einmal als Prostituierte bezeichnet.

Laut dem Bericht mit dem Titel «You Cry at Night but Don't Know Why» (Du weinst nachts aber weisst nicht warum) und den sechs von AP kontaktierten Personen ist sexuelle Gewalt gegen Frauen in Nordkorea weit verbreitet. Sie geschehe in Haftanstalten, auf Märkten, an Kontrollposten, in Zügen, auf Strassen und auf Militärstützpunkten. Begangen werde sie von Männern in Machtpositionen wie Gefängnisaufsehern, Polizisten, Staatsanwälten, Soldaten und Marktvorstehern.

Frauen werden von Polizisten «ausgewählt»

Befragte hätten ausgesagt, wenn ein Aufseher oder Polizist eine Frau «auswähle», habe diese keine andere Wahl als auf seine Forderungen einzugehen, «ob nach Sex, Geld oder anderen Gefälligkeiten», heisst es in dem Bericht. Wenn eine Frau in Gewahrsam sich weigere oder nachträglich beschwere, riskiere sie sexuelle Gewalt, eine längere Inhaftierung, Schläge oder Zwangsarbeit.

Eine für den Bericht interviewte Frau sagte, ein Polizist habe sie mehrfach mit den Fingern penetriert, während er sie wegen eines illegalen Aufenthalts in China vernahm. Eine andere berichtete von Frauen in einem Internierungslager, die jede Nacht von einem Aufseher vergewaltigt worden seien. Mehrere Händlerinnen beschrieben, wie Mitarbeiter von Kontrollposten Leibesvisitationen an jungen Frauen durchführten und deren Brüste und Hüften besonders eingehend untersuchten, manchmal unter der Unterwäsche.

Andere Frauen in dem Bericht sagten, die Polizei betrachte sexuelle Gewalt nicht als schweres Verbrechen. Es sei aus Furcht vor möglichen Nachwirkungen praktisch unvorstellbar, auch nur daran zu denken, sich deshalb an die Polizei zu wenden. Opfer schwiegen, weil sie stigmatisiert würden, heisst es in dem Bericht. Alle Interviewten hätten von verbreiteter Straflosigkeit für die Täter und fehlender Gerechtigkeit für die Opfer berichtet.

Zustände werden sich nicht schnell ändern

Frauen sagten der AP, sie hätten nicht einmal gewusst, was sexuelle Misshandlung genau sei, als sie noch in Nordkorea lebten. «Höherrangige Offiziere klopften Soldatinnen oft auf deren Hüften und Brüste oder steckten ihre Hand am Hals unter deren Uniform, wenn sie vorbeigingen. Wir haben solche Dinge oft gesehen, aber wir dachten einfach, sie würden von unseren Chefs besonders bevorzugt», sagt Lee So Yeon, die vor ihrer Flucht 2008 im nordkoreanischen Militär diente.

Eine zweite Frau sagte, ein Aufseher in einem Internierungslager habe versucht, sie zu vergewaltigen. Er habe von ihr abgelassen, als sie ihm gesagt habe, dass sie völlig verlaust sei. Eine Dritte sagte, sexuelle Misshandlung habe als Schande für die Frau gegolten, da die Menschen dächten, sie sei selbst daran Schuld gewesen.

Dass sich an der Lage in absehbarer Zeit etwas ändert und die nordkoreanischen Behörden aktiv werden, ist unwahrscheinlich: Das Thema steht bei den Atomverhandlungen nicht auf der Agenda der USA oder Südkoreas. Angesichts der Menschenrechtslage «sollten wir diese Frage sofort angehen», sagt der Beobachter Cho Han Bum vom Korea-Institut für nationale Vereinigung in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. «Aber es ist auch etwas, das wir nicht über Nacht lösen können.»

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