Die Verbündeten der USA haben Biden bei seiner Auslandsreise geradezu gefeiert. Aber daheim ist längst nicht alles rosig. Da gibt es in den eigenen demokratischen Reihen Enttäuschung über das Tempo bei der Umsetzung von Wahlprogrammen. Hat Biden zu viel versprochen?
DPA, Von Steve Peoples, AP
18.06.2021, 23:30
Steve Peoples, AP
Eine Gruppe progressiver Aktivisten in Edwardsville hat im vergangenen Jahr für die Demokraten gekämpft, an Tausende Türen geklopft, ihre Abende mit Telefonanrufen und die Wochenenden mit Wählerwerbung auf Märkten und Strassen verbracht. Sie bekamen, was sie wollten: einen demokratischen Präsidenten, die Kontrolle der Demokraten im Repräsentantenhaus und eine – wenn auch äusserst schwache – Mehrheit im Senat.
Aber als sie neulich beim Pierogi Festival in ihrer Mittelschicht-Gemeinde im Nordosten des US-Staates Pennsylvania zusammenkamen, klang viel Frust durch, Enttäuschung über das Tempo des Wandels in Washington unter der Partei, zu deren Sieg sie beigetragen hatten. «Wir brauchen mehr», sagt Alicia Duque, eine 35-jährige Mutter von drei Kindern und freiwillige Organisatorin der progressiven Gruppe Action Together. «Es dauert zu lange.»
Auch Demokraten gehören zu den Blockierern
Biden war bei der Wahl mit dem Versprechen angetreten, das Leben der arbeitenden Bevölkerung zu verändern, mit einschneidenden Massnahmen etwa bei der Gesundheitsfürsorge, beim Klimawandel und im Kampf gegen wirtschaftliche Ungleichheit. Damit konnte er mehr Stimmen gewinnen als jeder andere Präsidentschaftskandidat in der US-Geschichte vor ihm.
Aber diese Ambitionen sind mit den knappen Mehrheitsverhältnissen im Kongress kollidiert. Dort haben sich die Republikaner praktisch verschworen, die Biden-Agenda zu blockieren. Und auch eine kleine Gruppe moderater Demokraten dem Präsidenten zunehmend in die Suppe spuckt.
Aber wenn Biden seine grösseren Programme nicht durchbekommt, könnte das Wähler wie Duque vor den Kopf stossen – Leute, deren Hilfe die Partei bei der Kongresswahl 2022 dringend benötigt, will sie die Mehrheit im Kongress halten oder gar ausbauen.
Das gilt insbesondere für Pennsylvania: Die Demokraten hoffen, dort den Republikanern einen Sitz im Washingtoner Senat abknöpfen zu können. Dort gibt es derzeit ein Patt von jeweils 50 Mandaten, Vizepräsidentin Kamala Harris ist als Senatspräsidentin das Zünglein an der Waage.
Nichts geht mehr
In den fünf Monaten seit Bidens Amtsantritt haben die Demokraten wichtige Gesetze durchgesetzt, allem voran ein 1,9 Billionen Dollar schweres Corona-Hilfspaket, das Millionen Amerikanern 1200-Dollar-Schecks beschert und die Wirtschaft und die Impfkampagne gestützt hat.
Aber zurzeit geht fast nichts voran, sind Verhandlungen mit den Republikanern über Bidens grosses Infrastrukturprogramm festgefahren. So ist es zunehmend unwahrscheinlich, dass das Paket umfassende Investitionen in «menschliche Infrastruktur» wie Kinderbetreuung, Bildung und grüne Energie enthalten wird, Massnahmen, die Progressive fordern.
Im Augenblick gibt es wenige Anzeichen für eine Revolte in der Parteibasis, einer gemischten Koalition unter anderem mit nicht-weissen Wählern, jungen Leuten, Gewerkschaftsmitgliedern und Frauen. Aber das Zeitfenster für grössere Gesetzeswerke wird sich mit dem Näherrücken einer neuen Wahlkampfsaison zunehmend verkleinern, und damit wachsen die Risiken von Untätigkeit.
Erfolgreiche Pandemie-Bekämpfung reicht nicht
Die Mitglieder der Graswurzelgruppe Action Together trafen sich mit ihren Familien an einem Wochenende zu einem Festival, um ein paar Stunden Spass zu haben. Aber davon war wenig zu spüren, als sie von täglichen Herausforderungen für arbeitende Familien sprachen – an denen sich unter Biden und den Demokraten bislang nicht genug geändert habe.
Die Pandemie möge unter Kontrolle sein, sagten sie, aber man mühe sich mit den Kosten für Kinderbetreuung, Schulden durch Studentendarlehen und der aufkeimenden Inflation ab. Und in ihrer Freizeit werde von ihnen erwartet, dass sie weiter in ihrer Gemeinde von Tür zu Tür gingen, um potenziellen Wählern die Vorteile durch die Biden-Präsidentschaft vor Augen zu halten.
«Wir können über die Schecks reden, über die Impfungen, das ist grossartig, aber die Demokraten sind (bei der Wahl) mit mehr als dem angetreten», sagt der 27-jährige Mark Shaffer, ein anderer freiwilliger Organisator. Biden habe gross verkauft, dass er selbst lange ein Senatsmitglied gewesen sei und daher wisse, wie man dort Gesetze durchbringe, so Shaffer. «Nun, wir kriegen nichts durch den Senat.»
Alles hängt am Filibuster
Eine Koalition von mehr als 60 nationalen progressiven Gruppen hat kürzlich in einem Brief gefordert, dass die Demokraten ihre Verhandlungen mit den Republikanern über das Infrastruktur-Programm aufgeben und das Paket eigenständig durchpeitschen.
Pennsylvanias Vizegouverneur Fetterman, der bei der Kongresswahl 2022 für einen freiwerdenden derzeit republikanischen Senatssitz kandidiert, hält es für überfällig, dass die Demokraten «jede Taktik, die nötig ist», anwendeten, um progressive Massnahmen etwa in Sachen Wahlrecht, Mindestlohn und Infrastruktur durchzusetzen.
Zu diesen nötigen Taktiken zählt er auch eine Abschaffung der Filibuster – Dauerreden, die es ermöglichen, Abstimmungen im Senat zu blockieren, wovon die Republikaner wiederholt Gebrauch gemacht haben. Um derartige Blockaden zu durchbrechen, sind 60 Stimmen nötig – und die haben die Demokraten nicht. Es gibt auch einige in den eigenen Senatsreihen, die an den Filibuster-Regeln festhalten wollen.
«Ich würde es nicht als Frustration bezeichnen, sondern als Enttäuschung», sagte Fetterman der Nachrichtenagentur AP. «Dies sind keine normalen Zeiten. Wenn du eine Gelegenheit hast, transformative Massnahmen zu beschliessen, musst du es tun, selbst wenn es dich deine politische Karriere kosten könnte.»
Meinen manche Liberale, dass die Demokraten ihre Macht nicht genügend genutzt hätten, sagen Republikaner, dass die Demokraten zu stark eine weit links gerichtete Agenda verfolgten. Dieser Angriff könnte Wirkung zeigen. Laut einer Ende Mai veröffentlichten Fox-News-Umfrage halten 46 Prozent der registrierten Wähler Bidens Positionen für zu liberal – 10 Prozent mehr als im Dezember.