Halbzeit im Weissen Haus Politik mit der Abrissbirne – Wie Trump Washington verändert hat

von Jonathan Lemire, AP

28.12.2018

Unter Donald Trump hat sich die US-Politik nicht nur im Stil extrem verändert. (Archiv)
Unter Donald Trump hat sich die US-Politik nicht nur im Stil extrem verändert. (Archiv)
Bild: Keystone

Unter diesem US-Präsidenten blieb kein Stein auf dem anderen: In seinen ersten beiden Jahren im Amt hat Donald Trump das politische Washington auf den Kopf gestellt. Vom Umgangston über die Wahrheitstreue bis zum Verhalten auf der Weltbühne.

Donald Trump ist nach Washington gezogen. Und er hat die Stadt verändert. In seinen ersten beiden Jahren im Amt schrieb er die Regeln des Präsidentenamtes und die Massstäbe der US-Hauptstadt um. Der Präsident schob Verhaltensnormen und Traditionen beiseite, die seit Generationen Gültigkeit hatten.



In Trumps Washington sind Fakten wenig relevant. Beleidigungen und persönliche Attacken werden unter Vertretern beider Parteien immer salonfähiger. Die Pressekonferenzen im Weissen Haus sind praktisch tot, internationale Gipfeltreffen optional, Kunst und Kultur nur noch Anhängsel. Plötzlich ist alles politisch, darunter neutrale Einrichtungen und Untersuchungen.

Die Institution des Präsidentenamtes gesprengt

Trump ging mit der Abrissbirne auf Etikette und Institutionen los. So veränderte er auf sowohl subtile als auch tiefgreifende Weise die Abläufe in Washington sowie das Image der Hauptstadt im Rest des Landes und weltweit.

«Er hat die Institution des Präsidentenamtes gesprengt», sagt der Historiker Douglas Brinkley von der Rice University im texanischen Houston. «Er sieht sich nicht als Teil einer langen Reihe von Präsidenten, die den Staffelstab an einen Nachfolger übergeben. Stattdessen nutzt er die Präsidentschaft als Verlängerung seiner eigenen Persönlichkeit.»

Handelt es sich dabei um eine einmalige Abweichung, oder hat sich das Weisse Haus für immer gewandelt? Ob die Entwicklungen Trumps Amtszeit überdauern werden, wird sich erst beantworten lassen, wenn ein Nachfolger im Oval Office sitzt. Doch Brinkley prophezeit, dass «sich kein künftiger Präsident ihn (Trump) zum Vorbild nehmen wird».

Vor Trumps Wahlsieg hatte es – von dem Kandidaten selbst geschürte – Spekulationen gegeben, das er nach seinem Amtsantritt das Getöse des Wahlkampfs hinter sich lassen und «präsidialer» werden könnte. Das sagt heute niemand mehr. Der Präsident selbst geht davon aus, dass seine Unberechenbarkeit ihm die Aufmerksamkeit der Amerikaner sichert und seinen Erfolg befeuert.

«Ich habe diese dummen Teleprompter», sagte er im Juni bei einer Kundgebung im US-Staat South Carolina. «Es stört Euch nicht, dass ich sie den ganzen Abend nicht benutzt habe, oder? Manchmal schaue ich drauf, ich finde das so langweilig, das wollen wir nicht. Amerika ist zurück, grösser und besser und stärker als je zuvor.»

Trump bleibt sich treu

Tatsächlich hat Trump genau jenen Stil, der ihm die Wahl sicherte, mit ins Weisse Haus gebracht: Fakten in Zweifel zu ziehen und sich über Konventionen hinwegzusetzen. Von seinen ersten Tagen im Amt an verbreitete er Unwahrheiten über die Zahl der Besucher bei seiner Vereidigung und Behauptungen über eine Millionen illegaler Wähler. Seitdem liess er nicht nach.



Die Ungenauigkeiten reichen von klein bis gross. Trump erklärte 2018 mehrfach, er habe die grössten Steuererleichterungen in der Geschichte beschlossen (falsch), die US-Wirtschaft sei so stark wie noch nie (falsch) und sein Kandidat für den Supreme Court, Brett Kavanaugh, habe sein Jurastudium an der Yale-Universität als einer der besten abgeschlossen (die Hochschule führt dazu kein Ranking).

Gerade erst in der vergangenen Woche twitterte Trump, Russland sei «nicht glücklich» über den abrupt und unilateral beschlossenen Abzug der US-Truppen aus Syrien. Wenige Stunden zuvor hatte der russische Präsident Wladimir Putin den Schritt bejubelt.

Zusammengenommen haben Trumps Äusserungen die Autorität geschmälert, mit der Erklärungen des Weissen Hauses aufgenommen werden. Als im vergangenen Monat ein Bericht der Regierung über den Klimawandel veröffentlicht wurde, äusserte sich das Weisse Haus skeptisch über die Ergebnisse – und deutete fälschlicherweise an, dass zahlreiche Forscher das Phänomen anzweifelten. Weite Teile der Wissenschaftswelt reagierten mit Hohn und Spott.

Auch der Streit mit einem CNN-Reporter beschädigte das Image der Regierung. Das Weisse Haus veröffentlichte ein manipuliertes Video über eine Interaktion des Journalisten mit einer Praktikantin, in der der Mann als übergriffig dargestellt wurde. Und als Trump damit drohte, die Südgrenze der USA zu schliessen, nahm das in Washington kaum noch jemand ernst.

Twitter statt Pressekonferenz

Die Pressekonferenzen im Weissen Haus – einst eine tägliche Gelegenheit, die Ansichten des Präsidenten kritisch zu hinterfragen – sind so gut wie verschwunden. Im Dezember hielt Pressesprecherin Sarah Huckabee Sanders nur ein einziges Briefing ab, das nach 15 knappen Minuten beendet wurde.

Stattdessen besteht heute die gängigste Kommunikationsform aus dem Weissen Haus aus 280 Zeichen. Von Trumps Twitter-Nachrichten werden selbst Bundesbehörden und Verbündete im Kongress manchmal überrascht. Nach seiner Entscheidung für den Truppenabzug aus Syrien beklagten sich republikanische Abgeordnete bitter darüber, weder zu Rate gezogen noch vorab informiert worden zu sein.

Öffentliche, teils grobe und vulgäre Beleidigungen politischer Gegner, der Medien und sogar ehemaliger Verbündeter sind in Trumps Tweets an der Tagesordnung. In der Folge ist der gesamte Ton im politischen Washington rauer geworden.

Auch auf der Weltbühne hat Trump mit präsidialen Umgangsformen gebrochen. Er stiess langjährige Verbündete wie Kanada vor den Kopf und freundete sich mit Diktatoren an. Er schwänzte Gipfeltreffen, die bisher feste Bestandteile der Reisepläne von US-Präsidenten waren.

«Er ist ein Präsident seiner eigenen Art», sagt Brinkley. «Trump kennt sich mit Geschichte nicht aus und nimmt sich keinen anderen Präsidenten zum Vorbild.»

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