Holpriger Start Hat die EU-Kommission die Corona-Impfkampagne verbockt?

dpa/twei

2.2.2021

Wegen des schleppenden Starts der Corona-Impfkampagne in der EU steht Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, zunehmend in der Kritik. 
Wegen des schleppenden Starts der Corona-Impfkampagne in der EU steht Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, zunehmend in der Kritik. 
Bild: Etienne Ansotte/European Commission/dpa

Je schlechter es mit der Corona-Impfkampagne läuft, desto mehr Finger zeigen auf Brüssel. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen muss sich Kritik anhören. Doch ihr Sprecher weiss: Sie ist nicht der Papst.

Zu wenig Impfstoff, zu spät bestellt, zu schlecht verhandelt, zu sehr geknausert – Kritik am Vorgehen der EU in der Corona-Impfkampagne wird immer lauter. Vor allem Kommissionschefin Ursula von der Leyen steht unter Druck, seit die EU beim Impfen Staaten wie Israel, den USA und Grossbritannien mühsam hinterherhumpelt. Und jetzt leistete sich die Kommission auch noch eine schwere Panne bei der hektisch aufgelegten Impfstoff-Exportbremse. Läuft also etwas grundsätzlich schief bei der Pandemiebekämpfung in der EU?

Noch am Sonntagabend wirkte die Kommissionschefin fahrig, als sie im deutschen TV-Sender ZDF ihre Linie verteidigen sollte. Auf Fragen, warum andere Staaten beim Impfen so viel weiter seien, ging sie nicht wirklich ein und verwies auf eine angeblich «stattliche Zahl» von Geimpften in der EU. Das waren allerdings gerade einmal 12 Millionen der 450 Millionen EU-Bürger. In Deutschland waren nach einer ZDF-Übersicht vom Dienstag 31 von 1000 Menschen geimpft, in Grossbritannien 144, in Israel 577.



Am Dienstag stieg von der Leyen erneut in den Ring. Mit den grossen Fraktionen im Europaparlament verabredete sie sich zum Gespräch. Zudem erschien ein Interview in grossen europäischen Zeitungen, in dem erstmals so etwas wie Selbstkritik mitschwang. «Im Alltag werden immer Fehler gemacht», sagte von der Leyen unter anderen der italienischen «Repubblica». «Aber die Umstände zeigen, dass wir es als EU besser machen können als einzelne Regierungen.» An dem Ziel, bis Ende des Sommers 70 Prozent der Erwachsenen in der EU gegen Corona zu impfen, hielt sie ausdrücklich fest.

Zwei neue Impfstoffe in der Pipeline

Tatsächlich ist dieses Ziel gar nicht so abwegig, wie es derzeit klingt. Zumindest der Impfstoff dürfte irgendwann reichen. Es gibt 380 Millionen Erwachsene in den 27 EU-Staaten, 70 Prozent wären 266 Millionen. Bei zwei Impfdosen pro Person bräuchte man dafür 532 Millionen Einheiten. Allein im ersten und zweiten Quartal erwartet die Kommission zusammen mehr als 400 Millionen Dosen. Und das nur von den bereits zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca.

Zwei weitere Hersteller – Johnson&Johnson und Novavax – stehen in den Startlöchern und könnten eine EU-Zulassung bekommen. Dem in Deutschland gerne wiederholten Argument, man hätte mehr von Biontech/Pfizer und Moderna bestellen sollen, hält die EU-Kommission entgegen: Damit wäre die Produktion jetzt auch nicht grösser. Man hätte nur später mehr, wenn ohnehin kein Mangel mehr herrsche.

Bislang sind in der EU die Corona-Impfstoffe von, Pfizer und Biontech, Moderna und AstraZeneca zugelassen. Weitere Vakzine sollen alsbald hinzukommen.
Bislang sind in der EU die Corona-Impfstoffe von, Pfizer und Biontech, Moderna und AstraZeneca zugelassen. Weitere Vakzine sollen alsbald hinzukommen.
Bild: Jessica Hill;Liam Mcburney/AP/PA Wire/dpa

Der deutsche Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD) sieht das nicht ganz so. Er wies im WDR darauf hin, dass Impfweltmeister Israel sich bewusst anders entschieden habe: Das Land habe voll auf Biontech/Pfizer gesetzt und auch tiefer in die Tasche gegriffen. Statt zwölf Euro pro Dosis habe Israel 20 Euro bezahlt. Beides habe sich «inzwischen als die bessere Strategie erwiesen», meinte Lange. Im Zweifel hätte man von jedem Impfstoff ausreichende Mengen bestellen können. Zusätzliche Milliardenkosten wären billiger als der Lockdown, rechnet auch das Münchner Ifo-Institut vor.

Gründliche Überprüfung statt vorschnelle Zulassung

Noch einen Kritikpunkt muss sich die EU-Kommission anhören: Die Impfstoffverträge seien zu spät abgeschlossen worden. So begründete der Pharmakonzern Astrazeneca eine Lieferkürzung für die EU im ersten Quartal zum Teil damit, dass Großbritannien mit dem Vertrag früher dran war. Doch unterschrieb auch die EU immerhin schon im August, lange vor der Zulassung. Und das Unternehmen war offenbar sicher, die Vertragspflichten erfüllen zu können.

Später dran war die EU tatsächlich mit der Zulassung der Vakzine. Zuerst Biontech/Pfizer am 21. Dezember – drei Wochen nach Grossbritannien. Bei Astrazeneca liess sich die EU sogar vier Wochen mehr Zeit. Die EU-Strategie lautet: Marktzulassung statt Notfallzulassung, um so die Herstellerhaftung zu klären und mit gründlicher Prüfung auch Impfskeptiker von der Sicherheit und Wirksamkeit zu überzeugen.



Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel sieht dafür gute Gründe. «Es geht hier nämlich auch um Vertrauen», sagte die CDU-Politikerin am Montagabend. Auch von der Leyen meint: «Diese drei, vier Wochen muss man sich dann Zeit nehmen.» Nur bedeutet der späte Impfstart jetzt eben nicht nur viel Konkurrenz um wenig Impfstoff, sondern auch ein Wettrennen gegen die Zeit wegen der Ausbreitung neuer Virusvarianten.

Harte Woche für von der Leyen

Vorige Woche kam für von der Leyen und ihre Kommission alles zusammen – Hiobsbotschaften der Hersteller, Frust der pandemiemüden Bürger, Kritik der Mitgliedsstaaten. Und dann auch noch die Aufregung über die von der EU-Kommission eingeführten Auflagen für Impfstoffexporte. Kurz sah es so aus, als könnte diese Exportbremse zu Kontrollen an der Grenze zwischen Irland und Nordirland führen – eine Horrorvision nach dem britischen EU-Austritt. Nach wütendem Protest aus Irland und Grossbritannien musste von der Leyen diese Klausel korrigieren – und nochmals verbale Prügel einstecken.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen musste viel Kritik einstecken.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen musste viel Kritik einstecken.
Bild  John Thys/AFP Pool/AP/dpa

Ob das die schlimmste Woche der Präsidentin gewesen sei, wurde die Kommission gefragt. «Wir glauben, dass wir seit Beginn der Pandemie genau auf der richtigen Linie waren, um eine so stringente und wirksame europäische Antwort wie möglich zu geben», behauptete Sprecher Eric Mamer tapfer. Man arbeite unter Volldampf, da könnten Fehler passieren. Wichtig sei, sie rasch zu entdecken und zu korrigieren. Unfehlbar sei nur der Papst.

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