Russland Hoffnung auf Evakuierung in Mariupol – Beschuss bei Guterres-Besuch

SDA

29.4.2022 - 17:05

Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, und Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, reichen sich bei einer Pressekonferenz symbolisch die Hände. Foto: -/Ukrinform/dpa
Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, und Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, reichen sich bei einer Pressekonferenz symbolisch die Hände. Foto: -/Ukrinform/dpa
Keystone

Für Zivilisten in der zerstörten ukrainischen Hafenstadt Mariupol gibt es Hoffnung: Es sei eine «Operation» geplant, um die Menschen aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal zu retten, hiess es am Freitag in einem ukrainischen Pressebericht unter Berufung auf das Präsidialamt. Zuletzt hatte sich UN-Generalsekretär António Guterres in Moskau und Kiew dafür eingesetzt, für die Zivilisten einen humanitären Korridor zu öffnen.

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Während seines Besuchs in der ukrainischen Hauptstadt feuerten die Russen wie schon angedroht Raketen auf Ziele nahe des Stadtzentrums. Guterres sagte: «Ich war geschockt zu hören, dass in der Stadt, in der ich mich aufhalte, zwei Raketen explodiert sind.» Die ukrainische Regierung sprach von einem «Gruss aus Moskau». Die Bundesregierung nannte das Vorgehen Moskaus «menschenverachtend».

Lazarett in Mariupol beschossen

Ein erster Evakuierungsversuch in Mariupol sei am Donnerstag gescheitert, weil russische Truppen gezielt ein Lazarett auf dem Werksgelände beschossen hätten, berichtete die ukrainische Zeitung «Ukrajinska Prawda» unter Berufung auf eine Quelle im Präsidialamt. Mariupols Bürgermeister Wadym Bojtschenko äusserte die Hoffnung, dass es eine Übereinkunft zur Evakuierung von Zivilisten aus Mariupol geben könnte. In dem belagerten Stahlwerk gebe es fast keine Lebensmittel, Wasser und Medikamente mehr, sagte er nach Angaben der ukrainischen Agentur Unian. «Hier geht es schon nicht mehr um Tage, sondern um Stunden.»

Bei dem Angriff auf das Lazarett sei mindestens ein Soldat ums Leben gekommen, rund 100 Patienten erlitten weitere Verletzungen, berichtete die Zeitung. Im Werk Azovstal haben sich die letzten Verteidiger der Hafenstadt Mariupol sowie zahlreiche Zivilisten verschanzt. Trotz wiederholter Aufforderung von russischer Seite lehnen sie eine Kapitulation ab. Nach ukrainischen Angaben sollen in den für einen Atomkrieg gebauten Bunkeranlagen des Stahlwerks noch 1000 Zivilisten sein, darunter Frauen und Kinder. Nach russischen Angaben halten sich dort 2500 ukrainische Kämpfer und ausländische Söldner verschanzt.

Mariupol am Asowschen Meer war kurz nach Beginn des Kriegs Ende Februar von russischen Truppen belagert und später weitgehend eingenommen worden. Von zuvor 440 000 Einwohnern sind Schätzungen zufolge noch 100 000 in der Stadt. Russland hatte zuletzt einen Fluchtkorridor für alle Eingeschlossenen abgelehnt. Die Zivilisten dürften gehen, doch den Militärs werde kein freier Abzug gewährt. Guterres hatte eigener Darstellung zufolge am Dienstag von Kremlchef Wladimir Putin eine prinzipielle Zusage für die Beteiligung der Vereinten Nationen am Aufbau eines Fluchtkorridors erhalten. Nun liefen die Gespräche.

Deutschland prüft Lieferung von Panzerhaubitzen an Kiew

Nach dem grundsätzlichen Ja für die Lieferung schwerer Waffen prüft die Bundesregierung auch eine Abgabe der Panzerhaubitze 2000 aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine. Dabei gehe es um ein Materialpaket, zu dem neben den Niederlanden auch Deutschland und Italien beitragen könnten, berichtete die «Welt am Sonntag». Nach dpa-Informationen handelt es sich um einen möglichen Beitrag Deutschlands in mittlerer einstelliger Zahl.

Selenskyj dankt Biden für neue Milliardenhilfen

Die Ukraine erhält weiterhin massive Unterstützung aus den USA. Nachdem US-Präsident Joe Biden angekündigt hatte, er wolle weitere 33 Milliarden US-Dollar für Kiew beantragen, verabschiedete der US-Kongress eine neue Version des Lend-Lease- Gesetzes, mit dem neben der Ukraine auch weitere osteuropäische Staaten unproblematisch und unbürokratisch militärische Hilfe erhalten können. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte Washington und sprach von einem «wichtigen Schritt».

Historische Regelung in USA für Rüstungslieferungen an Ukraine

In Anlehnung an eine Regelung aus dem Zweiten Weltkrieg wollen die USA die Lieferung von Rüstungsgütern an die Ukraine und andere osteuropäische Staaten erleichtern. Nach dem Senat beschloss am Donnerstag (Ortszeit) auch das Repräsentantenhaus einen entsprechenden Gesetzentwurf. Ein ähnliches Leih- und Pachtgesetz hatte der US-Kongress 1941 während des Zweiten Weltkrieges verabschiedet: Dies erlaubte es Amerika, zügig und in grossem Umgang Rüstungsgüter an Alliierte im Kampf gegen die Nationalsozialisten zu liefern. Davon profitierten damals vor allem Grossbritannien und die Sowjetunion.

Russen machen Drohung wahr: Raketen auf Kiew bei Guterres-Besuch

Russlands Militär bestätigte, dass es wie angedroht Angriffe auf Kiew gegeben habe. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte am Freitag in Moskau, Hochpräzisionsraketen mit grosser Reichweite hätten Fabrikgebäude des ukrainischen Raketenherstellers «Artem» getroffen. Ukrainischen Angaben zufolge ereigneten sich die Angriffe am Donnerstagabend, als Guterres noch in der Stadt war. Dabei sei auch ein Wohnhaus getroffen worden. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagte, dass aus den Trümmern eine Leiche geborgen worden sei. Zudem seien zehn Menschen verletzt worden.

Wehrbeauftragte: Für deutsche Soldaten kann es schnell ernst werden

In Berlin begrüsste die Wehrbeauftragte Eva Högl verstärkte Bemühungen um die Einsatzbereitschaft der deutschen Streitkräfte. «Der entsetzliche Krieg in der Ukraine verändert alles. Für die Soldatinnen und Soldaten bedeutet es, dass es ernst werden kann, dass es schnell gehen muss, und dass sie immer einsatzbereit sein müssen», sagte sie. Die Bündnis- und Landesverteidigung werde jetzt konkret», sagte Högl. Für die schnelle Modernisierung der Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen müssen die gesamten Verwaltungsverfahren gestrafft werden. «Priorität sollte vor allem die persönliche Ausstattung sein. Helme, Schutzwesten, Bekleidung, Rucksäcke», sagte Högl im Bundestag.