George Floyd Im Chauvin-Prozess sind die Geschworenen am Zug

dpa

20.4.2021 - 05:15

Demonstranten gehen am Montag in Minneapolis mit Plakaten auf die Strasse und fordern Gerechtigkeit.
Demonstranten gehen am Montag in Minneapolis mit Plakaten auf die Strasse und fordern Gerechtigkeit.
Bild: Keystone/AP Photo/John Minchillo

Fast ein Jahr nach der Tötung des Schwarzen George Floyd steht der Prozess gegen den verantwortlichen weissen Polizisten vor dem Abschluss. Das Urteil könnte in den USA neue Proteste auslösen.

DPA

Einer der meist beachteten Kriminalfälle der jüngeren US-Geschichte liegt nun in der Hand der Geschworenen: Sie müssen entscheiden, ob der weisse Ex-Polizist Derek Chauvin die Schuld für die Tötung des Schwarzen George Floyd trägt.

Chauvin droht im Fall einer Verurteilung eine lange Haftstrafe. Die Erwartungen an das Verfahren sind in den USA immens: Viele Menschen, darunter sicherlich auch die meisten Schwarzen, hoffen auf ein Urteil, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzen wird.

Sollte Chauvin aber freigesprochen werden oder eine kurze Haftstrafe bekommen, dürfte es zu massiven Protesten kommen. Der Gouverneur des Bundesstaats Minnesota, Tim Walz, hat die Nationalgarde mobilisiert und mehr Hilfe angefordert. Er und der Bürgermeister von Minneapolis, Jacob Frey, forderten die Menschen auf, nach der Bekanntgabe des Urteils friedlich zu demonstrieren und kein «Chaos» zu erlauben.

Auch Facebook befürchtet Gewaltausbrüche – und trifft Vorkehrungen. So seien Teile von Minneapolis intern zu einem Hochrisikogebiet erklärt worden, teilte das Online-Netzwerk mit. Deshalb werde Facebook alle Aufrufe löschen, dorthin Waffen mitzubringen. Auch werde man zusätzliche Massnahmen unternehmen, um die Verbreitung falscher Informationen zu stoppen.



«Das war kein Polizeieinsatz, das war Mord»

Das Hauptverfahren gegen Chauvin ging am Montagnachmittag (Ortszeit) mit den Abschlussplädoyers von Anklage und Verteidigung zu Ende. Staatsanwalt Steve Schleicher argumentierte, Chauvins exzessive und erbarmungslose Gewaltanwendung habe Floyd umgebracht. Floyd habe Chauvin bis zu seinem letzten Atemzug gebeten, ihn atmen zu lassen, während dieser neun Minuten und 29 Sekunden auf ihm gekniet habe, sagte Schleicher an die Geschworenen gerichtet. Chauvin habe auf «schockierende» Weise gegen Polizeirichtlinien zur zulässigen Gewaltanwendung verstossen und müsse verurteilt werden, forderte er. «Das war kein Polizeieinsatz, das war Mord», sagte Schleicher.

Der Staatsanwalt betonte den Geschworenen gegenüber immer wieder, dass Floyds Überlebenskampf unter Chauvins Knie 9 Minuten und 29 Sekunden gedauert habe – und das obwohl Floyd nur wegen des Verdachts festgenommen worden sei, mit einem falschen 20-Dollar-Schein gezahlt zu haben. Schleicher erklärte, Floyd habe Chauvin in den ersten fünf Minuten 27 Mal gebeten, ihn atmen zu lassen, bevor er verstummte.

Chauvins Verteidiger Eric Nelson betonte hingegen die Unschuld seines Mandanten. Dessen Handeln bei Chauvins Festnahme sei berechtigte Gewaltanwendung im Rahmen eines «dynamischen» Polizeieinsatzes gewesen, weil Floyd sich der Festnahme widersetzt habe, argumentierte er. Zudem gebe es berechtigte Zweifel bezüglich Floyds Todesursache. Die Anklage habe die Schuld seines Mandanten nicht zweifelsfrei bewiesen, weswegen es einen Freispruch geben müsse, sagte Nelson.

Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor der Autopsie zufolge das Bewusstsein und starb wenig später.



Jury in Hotel untergebracht

Die Entscheidung über Schuld oder Unschuld fällt im US-Rechtssystem den Geschworenen zu. Für die Beratung der zwölf Jury-Mitglieder gibt es keine Zeitvorgabe – sie könnten innerhalb einer Stunde entscheiden oder nach einer Woche, wie Richter Peter Cahill vergangene Woche erklärt hatte. Das Gericht gab ihnen für die Beratungen ein 14 Seiten langes Dokument mit Richtlinien als Entscheidungshilfe an die Hand. Die Geschworenen dürfen während der Unterredungen nicht mehr nach Hause gehen, sondern werden in einem Hotel untergebracht. Die Jury bleibt aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres anonym.

Die Auswahl der Geschworenen hatte sich in diesem Fall lange hingezogen. Verteidiger, Staatsanwälte und das Gericht befragten zweieinhalb Wochen lang dutzende Kandidaten, um trotz der Bekanntheit des Falls möglichst faire und unvoreingenommene Jury-Mitglieder zu finden. Zudem wollte die Anklage auch sicherstellen, dass Schwarze und andere Minderheiten ausreichend in der Jury vertreten sind.

Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen Chauvin lautet Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Darauf stehen im US-Bundesstaat Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Nach deutschem Recht entspräche dies eher dem Totschlag. Zudem wird Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Auch muss er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen. Dieser Anklagepunkt entspräche nach deutschem Recht der der fahrlässigen Tötung. Chauvin hat auf nicht schuldig plädiert.

Floyds Schicksal hatte in den USA mitten in der Pandemie eine Welle der Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst – und wurde zur grössten Protestbewegung seit Jahrzehnten.

Polizei und Nationalgarde verstärken Präsenz

Der Prozess in Minneapolis findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Polizei und Nationalgarde haben ihre Präsenz in der Stadt bereits deutlich verstärkt, viele Geschäfte haben aus Furcht vor Ausschreitungen bereits ihre Vitrinen verrammelt. Nach Floyds Tod war es in Minneapolis bei Protesten zu Ausschreitungen gekommen; mehrere Gebäude gingen in Flammen auf.

Chauvin war nach dem Vorfall entlassen worden. Er befindet sich gegen Kaution auf freiem Fuss und war während des ganzen Prozesses anwesend. Neben Chauvin sind drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt, die in einem separaten Verfahren ab dem 23. August vor Gericht stehen werden. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten langjährige Haftstrafen drohen.