Parlamentswahl In Schweden droht ein massiver Rechtsruck

AP

7.9.2018

Schweden steht vor der wohl wichtigsten Wahl seit Jahren. Den Sozialdemokraten drohen riesige Verluste, profitieren könnten die Rechtspopulisten.

Die Parlamentswahl in Schweden am Sonntag ist die erste, seit das Land 2015 eine Rekordzahl an Zuwanderern aus dem Nahen Osten und aus Afrika aufgenommen hat. Hunderttausende weitere waren damals bereits im Land. Heute sind die Grenzen zwar weitgehend dicht, dennoch zeichnet sich ein Rückschlag für die frühere Politik der Öffnung ab. Er könnte den populistischen Schwedendemokraten, einer fremdenfeindlichen Partei mit Neonazi-Wurzeln, historische Gewinne verschaffen. Für die Mitte-links-Regierung werden gewaltige Verluste erwartet.

Die steigenden Chancen der rechtsextremen, euroskeptischen Partei machen diese Wahl zu einem der wichtigsten politischen Ereignisse in Schweden seit Jahren. Ein Überblick über die entscheidenden Themen und Akteure:

Einwanderung: Ein Schlüsselthema

Schweden, mit zehn Millionen Einwohnern das grösste skandinavische Land, verfolgte über Jahrzehnte eine grosszügige Willkommenspolitik gegenüber Migranten und Flüchtlingen. Viele Schweden haben humanitäre Werte lange als Herzstück der nationalen Identität gepflegt. Doch dann kam die Aufnahme von 163 000 Migranten und Flüchtlingen allein im Jahr 2015 - die höchste Zahl pro Kopf in ganz Europa.

Ministerpräsident Stefan Löfven räumte ein, dass Schweden mit der Zuwanderung überfordert sei. Die Grenzkontrollen wurden verschärft. Dennoch fühlen sich viele Schweden angesichts von Berichten über Vergewaltigungen, brennende Autos und Bandengewalt in speziellen Stadtvierteln zunehmend verunsichert. Einige fürchten auch um das kulturelle Erbe des Landes.

«Viele Leute sind unsere Einwanderungspolitik leid, weil es zu viele Menschen sind», sagt die 72-jährige Marianne Froberg, die die bürgerlich-konservative Partei der Moderaten unterstützt. «Aber sie wollen das nicht offen sagen, wenn sie nicht wissen, wer zuhört.»

Mittlerweile bröckelt das traditionelle Tabu. Internationale wird die Wahl aufmerksam beobachtet. Mit Blick auf das Erstarken populistischer Parteien in ganz Europa wird mit Spannung erwartet, wie gut die einst am Rand stehenden Schwedendemokraten abschneiden werden. In Deutschland, Österreich und Italien, die viele Migranten und Flüchtlinge aufnahmen, legten populistische, fremdenfeindliche Parteien seit 2015 stark zu.

Zu denjenigen, die Schweden als Symbol eines gescheiterten Multikulturalismus darstellen, gehört auch US-Präsident Donald Trump. Er bezeichnete das Land als Beispiel dafür, wie Massenzuwanderung Gewalt, Kriminalität und Unsicherheit nach sich ziehe. Die Schweden sind geteilter Meinung.

Andere Themen

Die schwedische Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist auf etwa sechs Prozent gesunken. Themen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Klimawandel spielen eine Rolle, werden aber teilweise auch durch den Filter Zuwanderung gesehen. Wähler klagen über längere Wartezeiten in Arztpraxen und Krankenhäusern, was einige auf die Zugewanderten zurückführen. Auch das liberale schwedische Abtreibungsrecht wurde zum Thema. Denn die Schwedendemokraten schlugen vor, die Frist für legale Schwangerschaftsabbrüche von derzeit 18 auf zwölf Wochen zu senken. Dies löste Befürchtungen aus, Frauenrechte könnten eingeschränkt werden.

Das Establishment

Die wichtigsten Kandidaten sind die links der Mitte angesiedelten Sozialdemokraten, die die schwedische Politik seit einem Jahrhundert dominieren. Ihnen wird der Aufbau des schwedischen Sozialstaats zugeschrieben. Die Partei wird von dem 61-jährigen Löfven geführt, der in einer Koalition mit den Grünen regiert. In der Vergangenheit kamen die Sozialdemokraten stets mühelos auf 40 Prozent der Stimmen. Doch diesmal sehen Umfragen die Partei bei etwa 25 Prozent. Das wäre ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten.

Die von dem 54-jährigen Ulf Kristersson geführten Moderaten waren lange die zweitstärkste Partei des Landes. Kristersson wurde im vergangenen Jahr Parteichef und sitzt seit 2014 im Parlament. In den vergangenen vier Jahren waren die Moderaten die stärkste Fraktion von vieren im Oppositionsblock, der Allianz.

Die Herausforderer

Vom Schwächeln der beiden traditionell dominanten Parteien dürfte vor allem der 39-jährige Jimmie Åkesson profitieren. Er ist seit 2005 Vorsitzender der Schwedendemokraten und hat zur Reformierung der einst rassistischen und rechtsextremistischen Partei beigetragen.

Er führte eine Null-Toleranz-Politik gegenüber rassistischen und fremdenfeindlichen Äusserungen von Parteimitgliedern ein, einige wurden deswegen aus der Partei ausgeschlossen. Åkesson änderte auch das alte Logo der Schwedendemokraten, eine brennende Fackel, in eine blau-gelbe Blume. Der frühere Chef der Jugendorganisation der Partei, wurde 2010 ins Parlament gewählt.

Die Umfragewerte der Schwedendemokraten stiegen von den 13 Prozent, die sie bei der Wahl im Jahr 2014 gewonnen haben, auf etwa 20 Prozent. Das wäre zwar nicht genug, um eine Regierung zu führen, würde der Partei aber mehr Macht geben, Druck auf die nächste Regierung auszuüben. Zu den weiteren Parteien im Rennen gehören die Grünen und die Liberalen.

Die Wahl

Die Schweden stimmen am Sonntag über die 349 Mitglieder des Parlaments für die kommenden vier Jahre sowie über kommunale Ämter ab. Die Wahllokale öffnen um acht Uhr und schliessen um 20 Uhr. Einige Schweden haben ihre Stimmen schon per Briefwahl abgegeben, die seit dem 22. August läuft. Rund 7,5 Millionen Stimmberechtigte wählen über landesweit fast 6300 Kandidaten aus. Für einen Einzug ins Parlament gilt eine Vier-Prozent-Hürde. Angesichts der Vielzahl der Parteien im Rennen ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine einzelne von ihnen die absolute Mehrheit von 175 Sitzen erhält. Zur Bildung einer Regierung könnten wochen- oder sogar monatelange Koalitionsverhandlungen notwendig sein.

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