Kälte als Waffe Putin bombt Ukraine in «schlimmsten Winter seit Weltkrieg»

Von Andreas Fischer

24.11.2022

Kiew zwischenzeitlich zu 80 Prozent ohne Strom und Wasser

Kiew zwischenzeitlich zu 80 Prozent ohne Strom und Wasser

Nach massiven russischen Raketentreffern sind in der ukrainischen Hauptstadt Kiew 80 Prozent der Haushalte ohne Wasser und Strom. Die Wiederherstellung läuft, wann die Haushalte wieder Elektrizität haben, ist unbekannt.

24.11.2022

Kein Strom, kein Wasser: Wladimir Putin lässt die zivile Infrastruktur in der Ukraine zerbomben und hofft, dass der Winter zu seiner mächtigsten Waffe im Angriffskrieg gegen die Ukraine wird.

Von Andreas Fischer

24.11.2022

Nicht nur Kiew steht vor dem «schlimmsten Winter seit dem Zweiten Weltkrieg», wie Bürgermeister Vitali Klitschko warnt. Die gesamte Ukraine muss sich auf kalte und dunkle Zeiten einstellen.

Nachdem Russland im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen das Nachbarland auf dem Schlachtfeld Niederlage um Niederlage einstecken musste, hat die Armee die Taktik geändert: Putin will «die Kälte des Winters zu einer Massenvernichtungswaffe machen», findet Wolodymyr Selenskyj klare Worte. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht das ähnlich: «Dieser Winter wird für Millionen von Menschen in der Ukraine lebensbedrohlich.»

Unterstützung für die Ukraine bröckelt in der Schweiz

Seit Wochen bringt Wladimir Putin den Krieg in die grossen Städte in allen Landesteilen. Mit massiven und gezielten Raketen- und Drohnenangriffen auf die Strom- und Wasserversorgung sollen sie unbewohnbar gemacht werden. Das Kalkül des Kremlherrschers: Die Menschen müssen aus der Ukraine fliehen, vorzugsweise nach Europa, das sich ob der Flüchtlingsfrage zerstreiten soll.

Klappt Putins perfider Plan? In der Schweiz jedenfalls sinkt die Unterstützung für die Ukraine bereits, wie eine repräsentative Umfrage des Schweizer Meinungsforschungsinstituts Link herausfand. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der befragten Personen befürworten ein klares Bekenntnis zur Ukraine und die vollumfängliche Umsetzung der EU-Sanktionen. Kurz nach Kriegsbeginn waren es noch 65 Prozent gewesen.

Auch die Hilfsbereitschaft gegenüber geflüchteten Menschen bröckelt, wenngleich auf hohem Niveau. Trotz eines bevorstehenden «historischen Fluchtwinters», den der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus vorhersagt, befürworten weniger Schweizer und Schweizerinnen die Aufnahme von Geflüchteten. Die Zustimmung sank von 82 Prozent im Juni auf aktuell 78 Prozent.

Nach Russlands gezielten Bombardements von ukrainischen Kraft- und Wasserwerken stehen die Menschen vor einem harten Winter.
Nach Russlands gezielten Bombardements von ukrainischen Kraft- und Wasserwerken stehen die Menschen vor einem harten Winter.
AP

«Punkte der Unbesiegbarkeit» gegen Putins Kälte

Moskaus Bestreben, die Ukraine in Dunkelheit und Kälte zu stürzen, ist erfolgreich. In weiten Teilen des Landes herrscht bereits Winterwetter mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und Schnee. Der nationale Stromversorger ist gezwungen, kontrollierte, aber ausgedehnte Stromabschaltungen durchzuführen, sodass jeder Mensch im Land zwischen vier und zwölf Stunden pro Tag ohne Strom ist. Betroffen ist auch das Nachbarland Moldawien.

Nach den zahlreichen Wellen russischer Angriffe auf die Energieinfrastruktur in den letzten Monaten ist nach Angaben der Energiebehörde Ukrenergo fast kein Wärme- und Wasserkraftwerk mehr unbeschädigt. Auch die Kernkraftwerke des Landes geraten unter Beschuss. Neben Saporischschja waren am Mittwoch zwei weitere Anlagen getroffen: in Chmelnyzkyi im Westen der Ukraine und in Pivdennoukrainsk im Süden.

Die Kraftwerke seien zwar nicht in unmittelbarer Gefahr, teilte die zuständige Behörde mit. Einige Blöcke mussten aber aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden, was den Strommangel weiter verschärft. Dem setzt die Ukraine sogenannte «Punkte der Unbesiegbarkeit» entgegen: Wärmestuben mit Strom- und Internetanschluss.

Mehr als 4000 solcher Stellen in Schulen und Verwaltungsgebäuden seien landesweit bereits vorbereitet, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj. Weitere sollten folgen. «Alle grundlegenden Dienstleistungen werden dort bereitgestellt: Dazu gehören Strom, mobile Kommunikation und Internet, Wärme, Wasser, Erste Hilfe. Völlig kostenlos und rund um die Uhr.»

Erstaunliche Funde in iranischen Drohnen

Russlands Bombardierungen der ukrainischen Infrastruktur wurden auch durch iranische Drohnen ermöglicht. Einige Exemplare wurden vom Londoner Forschungsinstitut «Conflict Armament Research»  auseinandergenommen. Man fand darin Komponenten aus 13 Ländern aus Asien, Europa und den USA.

«Die von den russischen Streitkräften in der Ukraine eingesetzten iranischen UAVs enthalten viele Komponenten, die kürzlich von hauptsächlich in den USA ansässigen Unternehmen hergestellt wurden», heisst es in dem Bericht. Mehr als die Hälfte der Komponenten wurde in den Jahren 2020 und 2021 produziert.

Russlands Vorräte an Raketen und Präzisionswaffen scheinen derweil zur Neige zu gehen, wie die Denkfabrik «Institute for the Study of War» im aktuellen Lagebericht schreibt. So verfüge Russland nur noch über 13 Prozent seines ursprünglichen Arsenals an ballistischen Iskander-Raketen, bei anderen Waffentypen hätten sich die Bestände halbiert oder seien auf ein Drittel zusammengeschrumpft.

Entwarnung für die Ukraine bedeuten diese Zahlen aber nicht. Russland habe immer noch genug Waffen, um drei bis vier grosse Angriffswellen auf die Energieinfrastruktur des Landes zu lancieren.

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24.11.2022