Experten analysieren GrenzkontrollenJetzt muss Merz' Migrationsplan fruchten – AfD sitzt im Nacken
Dominik Müller
2.5.2025
Wird am 6. Mai voraussichtlich ins Kanzleramt gewählt: CDU-Chef Friedrich Merz.
Boris Roessler/dpa
Migration war das bestimmende Thema im Bundestagswahlkampf. Nun müssen Union und SPD liefern. Gleichzeitig ist die AfD im Umfragehoch. Deutsche Experten ordnen für blue News die Situation ein.
Nach der CDU am Montag und der CSU vor knapp drei Wochen stimmten am Mittwoch auch die Mitglieder der SPD dem Koalitionsvertrag zu. Damit ist der Weg endgültig frei für die Bildung einer schwarz-roten Regierung. CDU-Chef Friedrich Merz dürfte am Dienstag zum Bundeskanzler gewählt werden.
Bereits jetzt ist klar: Die neue Regierung will beim Thema Migration nach eigenen Angaben «liefern». Der designierte Kanzleramtsminister Thorsten Frei hat eine schärfere Migrationspolitik ab dem ersten Tag angekündigt. «Jeder, der illegal nach Deutschland einzureisen versucht, muss vom 6. Mai an damit rechnen, dass an der deutschen Grenze Schluss ist», sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Auch Friedrich Merz liess kürzlich keine Zweifel daran offen, dass eine schnelle Wende in der Migrationspolitik weit oben auf seiner Agenda stehe: «Wir werden ab dem Tag eins unsere Staatsgrenzen noch besser kontrollieren. Es wird zu Rückweisungen in grösserem Umfang an unseren Staatsgrenzen, kommen», sagte er auf dem kleinen CDU-Parteitag am Montag. Auch das Schlagwort «Rückführungsoffensive» nahm er in den Mund.
«Die neue Regierung steht in der Pflicht»
Klare Akzente oder Symbolpolitik nach den Wahlversprechen? «Die neue Regierung steht in der Pflicht, nun ihre zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags umzusetzen», sagt Victoria Rietig, Leiterin Zentrum für Migration bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik auf Anfrage von blue News.
Einfach werde dies beispielsweise bei der Pausierung humanitärer Aufnahmeprogramme, da eine Anordnung genüge, um direkte Effekte zu erhalten. «Schwerer wird es etwa bei den Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen Grenzen. Hier ist noch unklar, wie die neue Regierung dies bewerkstelligen will», sagt Rietig.
Rechtlich ist ein solches Vorgehen umstritten, weil etwa nach dem Europarecht jeder Mitgliedsstaat verpflichtet ist, ein Asylbegehren zumindest auf die Frage hin zu prüfen, welches Land zuständig ist.
Für Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin geht das nur über Diplomatie: «Entscheidend dürften bilaterale Abkommen sein, die die neue Regierung möglicherweise weiterentwickelt.» Eine funktionierende Umsetzung ohne Zusammenarbeit mit Anrainerstaaten wie Polen oder Tschechien sei nicht realistisch.
Matthias Miersch, kommissarischer Generalsekretär der SPD, verkündet am Mittwoch die Zustimmung seiner Partei zum Koalitionsvertrag.
Carsten Koall/dpa
Mangelhafte Datenlage
Auch für Victoria Rietig ist die internationale Zusammenarbeit zentral: «Rechtlich haltbar und funktionierend kann es sein, die ‹Zurückweisung› umzudefinieren, sodass sie nicht einseitig von deutschen Beamten an der Grenze vollzogen wird, sondern stattdessen gemeinsam mit den Grenzbeamten der Nachbarländer bereits vor Erreichen der deutschen Grenze.» Dies geschehe etwa mit der Schweiz ohnehin bereits.
Rechtlich haltbar sei es grundsätzlich auch, wenn die Bundespolizei einseitig Zurückweisungen durchführt – allerdings dürfen sie dies laut EU-Recht nicht bei Asylsuchenden. «Die wenigen verfügbaren Statistiken zeigen auch, dass die Zahl der Zurückweisungen in den letzten Jahren bereits stark gestiegen ist», sagt Rietig.
Darunter seien auch Menschen aus Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden wie Afghanistan oder Syrien. «Ob diese Menschen tatsächlich kein Asylgesuch vorgebracht haben oder dieses Asylgesuch nicht als solches angesehen wurde, wissen wir nicht.»
Symbolpolitik gegen den AfD-Aufstieg?
Strengere Kontrollen an den Grenzen und Zurückweisung von Asylsuchenden – reicht das für die von Friedrich Merz im Wahlkampf versprochene Migrationswende? Zumindest nicht kurzfristig, sagt Raphael Bossong: «Bis die Massnahmen Wirkung zeigen, wird es wohl mindestens zwei Jahre dauern.»
Migration war das bestimmende Thema im Bundestagswahlkampf. Profitiert hat davon insbesondere die AfD, die ihren Wähleranteil auf rund 20 Prozent verdoppeln konnte und zweitstärkste Partei wurde.
Und die rechtspopulistische Partei wird das Thema mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiterhin beackern: «Die AfD wird voraussichtlich jede Gelegenheit nutzen, um der Regierung Wortbruch und Schwäche vorzuwerfen», sagt Bossong. Zuletzt lag die AfD in Umfragen gar vor der Union.
Friedrich Merz wird deshalb bestrebt sein, möglichst rasch Resultate zu liefern. Laut Victoria Rietig ein Vorhaben mit ungewissem Ausgang: «Auf dem Papier hat Deutschland eine grosse Migrationswende. Ob die Regierung es schafft, diese auch in die Praxis zu übertragen, ist aber noch unklar.»
Video zum Thema
SPD-Mitglieder stimmen Koalitionsvertrag zu
Letzte Hürde genommen: Nach CSU und CDU stimmen auch die Mitglieder der SPD mit grosser Mehrheit dem Vertrag über die Bildung einer schwarz-roten Regierungskoalition zu.