Kommunalwahlen in GrossbritannienWahlpleite verschärft Krise für Johnson
Von Benedikt von Imhoff, dpa
6.5.2022 - 15:15
Verluste für Johnsons Konservative bei Regionalwahlen in Grossbritannien
Boris Johnsons konservative Partei muss bei den Regionalwahlen in Grossbritannien empfindliche Verluste hinnehmen. In London verloren die Tories mehrere Bezirke, die sie jahrzehntelang gehalten hatten.
06.05.2022
Die Konservative Partei von Boris Johnson verzeichnet bei den Regioinal- und Kommunalwahlen in Grossbritannien herbe Verluste. Nach der «Partygate»-Affäre wächst damit der Druck auf den Premier.
Keystone-SDA, Von Benedikt von Imhoff, dpa
06.05.2022, 15:15
06.05.2022, 15:56
Von Benedikt von Imhoff, dpa
Erstmals seit Jahrzehnten verlieren die Konservativen von Boris Johnson zwei Londoner Bezirke an die Labour-Partei. Und auch anderswo sprechen die Zahlen der Kommunalwahl gegen den Premier, das Vertrauen in Johnson scheint erschöpft. Ist es der Anfang vom Ende?
Nun geht es um Boris Johnsons Kopf. Tief sitzt der Schock in seiner Konservativen Partei über spektakuläre Verluste bei der Kommunalwahl. Das schwache Abschneiden der Tories vor allem in London wird dem Premierminister persönlich angekreidet, an der Basis brodelt es. Laut spekulieren Parteikollegen bereits über einen Führungswechsel. Für das ohnehin erschütterte Vertrauen in Johnson – Stichwort «Partygate» – ist das Wahlergebnis ein neuer Schlag.
Persönliches Waterloo in Westminster
Um die Dimension des Wahlausgangs deutlich zu machen, bemühen Kommentatoren das bisweilen überstrapazierte Wörtchen «historisch». In diesem Fall zu Recht, denn historisch ist es in der Tat, was in London passiert ist. Erstmals seit Jahrzehnten hat die Labour-Partei, national in der Opposition, den Tories die Bezirke Westminster und Wandsworth entrissen.
Ausgerechnet in Westminster, wo er selbst seine Stimme abgegeben hat, könnte Johnson sein persönliches Waterloo erleiden. Der Bezirk hat hohen symbolischen Wert. Zwischen Big Ben und Downing Street schlägt das Herz der britischen Demokratie, die Gegend ist beliebt bei Touristen und begehrt bei Politikern. Künftig hat Labour – zumindest lokalpolitisch – die Kontrolle im Regierungsviertel.
«Aufgewacht zu katastrophalen Ergebnissen für die Partei in London», twitterte Gavin Barwell, einst Stabschef von Johnsons Vorgängerin und Parteikollegin Theresa May und nun Mitglied des Oberhauses. Die Niederlage sei ein «Weckruf» für die Tories. Auf der Hand liegt, dass die Wähler die Tories vor allem für die jüngsten Skandale abstraften, wie auch der Tory-Parteichef in Wandsworth, Ravi Govindia, bemerkte. Landauf, landab klagten Konservative, dass die «Partygate»-Affäre um Lockdown-Feiern im Regierungssitz, aber auch Sexismus-Vorwürfe gegen die Partei von kommunalen Fragen abgelenkt hätten.
Waking up to catastrophic results for the party in London. Wandsworth & Westminster were flagship councils. We held them during the Blair honeymoon. We held them during austerity. We held them under Theresa May. Losing them should be a wake up call for the Conservative Party
Vielerorts versuchten sich Kandidaten von Johnson und dem Geschehen in Westminster zu distanzieren. Der Premier tauchte nicht auf Wahlwerbung auf, viele betonten ihre enge Bindung an den Ort. Geholfen hat es häufig nicht. Nach Auszählung von gut der Hälfte der 146 Bezirke, in denen in England gewählt wurde, hatten die Tories im Vergleich zum vorigen Mal bereits 120 Sitze verloren. Auch in Schottland steuerten die Konservativen auf eine deutliche Niederlage zu. Während Labour-Chef Keir Starmer sich in London als strahlender Sieger präsentierte und mit Blick auf die für 2024 geplante Parlamentswahl eine Wende ausrief, gab sich der oft so forsche Johnson demütig.
Johnson steht nicht zum ersten Mal unter Druck
Die Partei müsse sich mehr um die Dinge kümmern, die den Menschen wichtig seien, räumte er ein – und dass «eine harte Nacht in einigen Teilen des Landes» hinter seinen Tories liege. Johnson, seit 2019 dank eines furiosen Wahlsiegs mit grosser Mehrheit im Parlament, will nun Vertrauen zurückgewinnen. Doch die Frage ist, ob seine Partei ihm das zutraut. Eine Möglichkeit, Vertrauen wieder herzustellen, sei ein Führungswechsel, drohte der Tory-Abgeordnete David Simmonds unverhohlen. Zum Höhepunkt der «Partygate»-Affäre hatten sich bereits mehrere konservative Parlamentarier gegen Johnson ausgesprochen, nun könnte die Zahl der Revoluzzer zunehmen.
Doch Johnson, der mit Abstand als bester Wahlkämpfer seiner Partei gilt, steht nicht zum ersten Mal unter Druck. Bereits mehrmals konnte sich der 57-Jährige sich aus aussichtslosen erscheinenden Lagen befreien. Und auch jetzt sprechen einige Punkte für ihn.
«Die Partei hat nicht die Katastrophe erlitten, die den Druck so sehr erhöht hätte, dass Johnson zurücktreten müsste», sagte der Politologe Mark Garnett der Deutschen Presse-Agentur. Zwar gab es auch ausserhalb von London Niederlagen. Doch hier konnten meist die kleineren Liberaldemokraten profitieren und nicht Labour.
Ersatz für Johnson? Fehlanzeige
Damit dürfte das Ergebnis – auf Landesebene hochgerechnet – für die Tories nicht so heftig ausfallen wie befürchtet. Labour-Chef Starmer könne nicht mal davon träumen, die Regierung zu leiten, zitierte die Nachrichtenagentur PA eine Quelle in der Downing Street. Zumal Starmer nun selbst wegen eines möglichen Bruchs der Corona-Regeln im Fokus von Polizeiermittlungen steht. Eine entsprechende Mitteilung der Polizei in der Stadt Durham dürfte den Labour-Jubel rasch dämpfen.
Und noch etwas spricht für den Premier, wie Garnett sagte: «Es gibt immer noch keinen geeigneten Ersatz für Johnson.» Zudem könnten seine Anhänger argumentieren, dass es ein Fehler wäre, in Zeiten einer internationalen Krise wie dem Ukraine-Krieg einen Führungswettbewerb zu veranstalten. Keinesfalls auszuschliessen also, dass Johnson, dem oft mehr Leben einer Katze als jedem anderen Politiker nachgesagt werden, auch diesmal wieder auf den Füssen landet.
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