Dritte Corona-Welle Kann der Bundesrat von den Nachbarländern lernen? 

uri

17.3.2021

Im Grossraum Paris werden aufgrund steigender Neuinfektionen wieder die Betten in den Spitälern knapp: Covid-Patienten müssen auch mit dem Flugzeug in andere Landesteile verlegt werden. 
Im Grossraum Paris werden aufgrund steigender Neuinfektionen wieder die Betten in den Spitälern knapp: Covid-Patienten müssen auch mit dem Flugzeug in andere Landesteile verlegt werden. 
Bild: Keystone

Mit Spannung wird erwartet, ob der Bundesrat am Freitag weitere Öffnungsschritte verkündet. Die Nachbarländer der Schweiz stemmen sich bereits mit unterschiedlichen Strategien gegen die dritte Welle. 

Der Bundesrat erwägt ab 22. März die Restaurantterrassen zu öffnen und denkt an weitere mögliche Lockerungen. Unterstützung für diesen Plan kommt von der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), die für schrittweise Öffnungen plädiert. 

Die Schweiz steht derzeit jedoch auch vor einer möglichen dritten Corona-Welle. Die Fallzahlen steigen weiter an und auch die meisten anderen der relevanten Richtwerte, die eigentlich für weitere Lockerungsschritte definiert wurden, sind derzeit nicht erfüllt. Vor diesem Hintergrund wird mit Spannung erwartet, ob der Bundesrat am Freitag tatsächlich weitere Öffnungsschritte veranlasst.



Die Diskussion über die derzeit zu ergreifenden Massnahmen ist auch in den Nachbarländern in vollem Gang. So stecken Italien und Frankreich bereits mitten in der dritten Welle, und auch Deutschland sowie Österreich kämpfen wieder mit explodierenden Fallzahlen. Alle vier Länder reagieren mit unterschiedlichen Strategien auf die Herausforderung.

In den beiden Mittelmeerländern liegen die 14-Tages-Inzidenzwerte inzwischen bei über 400 Infizierten pro 100'000 Einwohnern, wie der «Spiegel» berichtet. Italiens Regionalministerin Mariastella Gelmini befürchtete in einem Interview deshalb bereits, dass es ohne eine Verschärfung der Massnahmen «in zwei Wochen täglich 40'000 neue Fälle und 800 Tote» geben werde.

40 Millionen Italiener sind seit Montag im Lockdown

In Rom, wo man die Pandemie zuletzt mit einem Ampelsystem recht gut im Griff hatte, reagierte man bereits am Montag recht drastisch auf die verschärfte epidemiologische Lage und schickte rund 40 Millionen Italienerinnen und Italiener bis einschliesslich Ostern wieder in den Lockdown. Mehr als die Hälfte der italienischen Regionen und auch die Hauptstadt gelten nun als sogenannte Rote Zone, in der die strengsten Corona-Regeln gelten.

In den betroffenen Regionen dürfen Bars und Restaurants nur noch Bestellungen zum Mitnehmen verkaufen und auch die Bewegungsfreiheit ist deutlich eingeschränkt. Die Schulen bleiben hier vorerst zu, die Kinder werden über das Internet unterrichtet. Das Haus dürfen die Menschen nur noch für notwendige Erledigungen verlassen, wobei Ausnahmen für die Arbeit oder in Notfällen gelten. Auch Besuche sind nur noch einmal am Tag erlaubt. Maximal zwei Personen dürfen dann in einen anderen Haushalt kommen.

Angespannte Situation im Grossraum Paris

Sorgen vor der Entwicklung kamen zuletzt auch in Frankreich auf. «Wir befinden uns in einer Art dritten Welle», sagte Premier Jean Castex am Dienstag vor der Pariser Nationalversammlung. Nichtsdestotrotz sperrt sich Frankreich bislang aber gegen einen Lockdown – und das, obwohl sich auf der Île-de-France, also im Grossraum Paris, die Lage bereits schwer verschärft. In lediglich dreieinhalb Monaten hat sich die Zahl der Neuansteckungen dort vervierfacht. Wegen der angespannten Lage auf den Intensivstationen müssen Patientinnen und Patienten wieder in andere Landesteile gebracht werden.

Wie Präsident Emmanuel Macron am Montag ankündigte, werde man in den kommenden Tagen «neue Entscheidungen» zu fällen haben. Es wird davon ausgegangen, dass dann die Massnahmen in der Region Île-de-France wohl rasch verschärft werden. Eine Entscheidung könnte es bereits bei der Zusammenkunft des «Verteidigungsrats» am heutigen Mittwoch geben, vernimmt der «Spiegel» aus dem Élysée-Palast.

Gestern habe Macron schon mit seinem beratenden Wissenschaftlergremium gesprochen. Dieses würde aber wohl keinen landesweiten Lockdown empfehlen und stattdessen auf regionale Massnahmen setzen, etwa territorial begrenzte Ausgangssperren am Wochenende, wie man sie bereits in Nizza und Nordfrankreich habe.

In Deutschland wird es «brenzlig» für die 50-Jährigen

In Deutschland, wo Bund und Länder bereits vor zwei Wochen eine Öffnungsstrategie festgezurrt haben, ist es angesichts steigender Fallzahlen kaum wahrscheinlich, dass der bereits seit 16. Dezember 2020 geltende Lockdown noch weiter gelockert wird.

Bislang durfte man sich hier immerhin darüber freuen, dass seit Anfang März die Kindergärten wieder geöffnet haben, die Schulen langsam wieder zum Präsenzunterricht zurückkehren und schliesslich auch die strengen Regeln zu privaten Kontakten etwas gelockert wurden. Zuletzt konnte man sogar wieder in Buchhandlungen, Blumengeschäften und Gartencentern einkaufen, teils auch Museen, Galerien und Zoos besuchen.

Die letzten beiden Lockerungsschritte sind derzeit jedoch in weite Ferne gerückt. Sie sind an stabile Inzidenzwerte gekoppelt und hier sieht es nicht gut aus. Bei den Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner in sieben Tagen stieg er zuletzt von 83,7 auf 86,2 und es gab kein Bundesland mehr, das einen Wert unter 50 aufwies.

Der renommierte Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité prognostiziert angesichts der Zahlen bereits: «Wir werden kurz nach Ostern eine Situation haben wie um Weihnachten herum.» Damals hatte sich gerächt, dass die Politik angesichts der Weihnachtsfeiertage lange auf eine Verschärfung der Massnahmen verzichtet hatte. Dieses Mal werde es wegen der ansteckenderen britischen Variante sogar noch schwieriger, vermutet Drosten. «Brenzlig» werde es dann für die noch Ungeimpften ab 50.

In Österreich sind mehrere Lockdowns verpufft

Gleich mehrere Lockdowns sind zuletzt in Österreich wirkungslos verpufft. Hier hatte man deshalb die Strategie geändert, mehr Freiheiten erlaubt und auf regionale Massnahmen gesetzt. In Vorarlberg etwa ist seit Anfang der Woche die Gastronomie unter verschiedenen Auflagen wieder geöffnet. Ebenfalls sind organisierte Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche wieder erlaubt.

Allerdings erklärte Gesundheitsminister Rudolf Anschober am Montag im «Morgenjournal» des staatlichen Fernsehens auch: «Ich sehe in Österreich den Beginn einer dritten Welle.» Nun müsse man «alles unternehmen, damit es nicht zu einer Situation wie im Herbst kommt», mahnte der Politiker.

Vorausgegangen war auch in Österreich ein klarer Anstieg der Infektionszahlen. Derzeit liegt die 7-Tage-Indizidenz bei 210,7. Am heutigen Tag wurden 2814 neue Fälle und 33 Tote registriert. Geplante Lockerungen dürfte es deshalb so schnell wohl nicht geben.

Mathys sieht in der Bevölkerung den «wichtigsten Faktor»

Für die Schweiz erklärte BAG-Fachmann Patrick Mathys auf der Experten-Pressekonferenz des Bundes am Dienstag zwar, man könne nicht eindeutig sagen, ob die dritte Welle hierzulande bereits begonnen hätte, es sei aber «durchaus möglich, dass der Weg in diese Richtung führt». Vier der fünf wichtigsten Pandemie-Faktoren würden sich momentan negativ verändern.

Für die Entwicklung machte Mathys die Virusvarianten und die Öffnungsschritte verantwortlich, meinte jedoch auch: «Gleichzeitig sind wir am Impfen. Dies wird irgendwann zum Tragen kommen.» Wie in den Nachbarländern dürfte das allerdings tatsächlich «irgendwann» der Fall sein. Nicht umsonst appellierte Mathys an die Bevölkerung, sie sei der «wichtigste Faktor». «Ist sie weiterhin bereit, die Massnahmen mitzutragen?» Das hörte sich fast schon so an, als könne sich Mathys bereits denken, was der Bundesrat am Freitag verkündet.

Transparenz: Dieser Artikel wurde mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und dpa angereichert.