Kopftuch-Zwang Iran will nun fehlbare Kundinnen und Mitarbeiterinnen bestrafen

Nasser Karimi und Jon Gambrell, AP

21.8.2023 - 00:00

Frauen im Iran hoffen auf den Wandel

Frauen im Iran hoffen auf den Wandel

Die prekäre Lage der Frauen im Iran ist mit dem Tod von Mahsa Amini im vergangenen Jahr wieder in den Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit geraten.

08.03.2023

Knapp ein Jahr nach Beginn der Proteste verzichten viele Frauen im Iran auf das Tragen des vorgeschriebenen Hidschabs. Zuletzt hat die Regierung das weitgehend geduldet – aber jetzt legt sie eine härtere Gangart ein.

DPA, Nasser Karimi und Jon Gambrell, AP

Monatelang haben die iranischen Behörden wenig unternommen, um die Kopftuchpflicht für Frauen durchzusetzen. Doch jetzt nimmt die theokratische Führung des Landes Unternehmen ins Visier, deren weibliche Beschäftigte keinen Hidschab tragen.

Die neuen Massnahmen fallen zusammen mit dem bevorstehenden ersten Jahrestag der landesweiten Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini in Polizeigewalt am 16. September 2022. Beim Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstrationen wurden mehr als 530 Menschen getötet und über 22'000 festgenommen.

In diesen Tagen sind Frauen mit unbedecktem Haar auf den Strassen der Hauptstadt Teheran zu einem gewohnten Anblick geworden. Doch die Behörden haben mit Razzien in Betrieben begonnen, deren Kundinnen oder Mitarbeiterinnen ohne Hidschab gesehen wurden. Zugleich debattiert das iranische Parlament über ein Gesetz, das härtere Strafen vorsieht gegen Frauen, die kein Kopftuch tragen, sowie gegen die Geschäfte, in denen sie einkaufen.

«Wenn mir Strafen drohen, werde ich das Kopftuch tragen»

Die Entwicklungen könnten neue Unruhen in Gang setzen in dem Land, das wirtschaftlich unter internationalen Sanktionen wegen seines Atomprogramms zu leiden hat. Der Hidschab-Streit könnte auch Thema im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen im März kommenden Jahres werden.

Kein Kopftuch: Passantinnen am 10. August in Teheran.
Kein Kopftuch: Passantinnen am 10. August in Teheran.
EPA

«Wenn mir Geldbussen und Strafen drohen, werde ich das Kopftuch tragen, weil ich in einer herausgehobenen Position bin», sagt die Ärztin Parvaneh, die während der Kundgebungen im vergangenen Jahr verletzte Demonstrantinnen behandelt hat. Wie viele andere Iranerinnen, die mit der AP sprachen, will sie aus Angst vor Repressionen nur ihren Vornamen nennen. «Aber die jungen Menschen, die ich während der Proteste behandelt habe, werden nicht nachgeben.»

Für gläubige Musliminnen stellt der Hidschab ein Zeichen der Frömmigkeit und Sittsamkeit gegenüber Männern ausserhalb ihrer Familien dar. Im Iran ist er zudem ein politisches Symbol, vor allem seit er nach der Islamischen Revolution 1979 verpflichtend wurde.

Warn-SMS und Bilder-Recherche

Seit dem Tod Aminis, die wegen eines angeblichen Verstosses gegen die islamische Kleiderordnung festgenommen worden war, ist die Polizei zurückhaltender geworden bei der strikten Durchsetzung der Regeln – vermutlich, um eine noch grössere Ausweitung der Proteste zu vermeiden. Seit einigen Wochen hat sich der Ton jedoch verschärft.

Dass Frauen keinen Hidschab tragen, werde «definitiv ein Ende haben», sagte der Hardliner-Präsident Ebrahim Raisi am 9. August. Die Behörden haben angefangen, Warn-SMS an Frauen zu verschicken, die mit unbedecktem Kopf in Autos gesehen wurden. Etwa eine Million derartige Nachrichten wurden bereits versendet, etwa 2000 Autos beschlagnahmt und die Fälle von mehr als 4000 Frauen an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Als nächstes durchkämmten Sicherheitskräfte soziale Medien nach Bilder von unverhüllten Frauen am Arbeitsplatz. Ein Büro von Digikala, einer extrem beliebten Shopping-Website mit mehr als 40 Millionen aktiven Nutzenden im Monat, wurde geschlossen. Auch der Online-Buchhändler Taghcheh und der Versicherungs-Marktplatz Azki wurden kurzzeitig dichtgemacht.

Sozialarbeit für prominente Kopftuch-Verweigerer

Die Razzien reichen über die Hauptstadt Teheran hinaus. In der nordiranischen Stadt Lahidschan wiesen die örtlichen Gesundheitsbehörden Krankenhäuser an, Frauen ohne Hidschab nicht mehr zu behandeln. In Damawand, rund 60 Kilometer östlich von Teheran, ordnete die Staatsanwaltschaft die Festnahme eines Bankmanagers und eines Schalterbeamten an, die eine unverhüllte Kundin bedient hatten.

Junge Frauen am 5. August in Teheran: Dass Frauen keinen Hidschab tragen, werde «definitiv ein Ende haben».
Junge Frauen am 5. August in Teheran: Dass Frauen keinen Hidschab tragen, werde «definitiv ein Ende haben».
AP

Auch die Unterhaltungsindustrie steht unter Beobachtung. Die Polizei drohte damit, Filmproduktionen zu beenden, bei denen Frauen ohne Kopftuch hinter der Kamera arbeiten. Richter verurteilten weibliche Prominente, die sich mit unbedecktem Haar zeigten, zum Pflichtdienst in Leichenschauhäusern. Die Frauen müssen sich ausserdem von einem Psychologen ihre geistige Gesundheit bescheinigen lassen, bevor sie ihre regulären Jobs wieder aufnehmen dürfen.

«Anstatt auf die berechtigten Sorgen der Menschen einzugehen, verfolgt das Regime weiter wegen des Hidschabs und verhält sich, als ob sein Überleben davon abhängt, dass sich Frauen züchtig kleiden», sagt die US-iranische Expertin Haleh Esfandiari vom Forschungsinstitut Wilson Center in Washington.

«Meine Schülerinnen sind mir dabei schon voraus»

Das aktuell vom Parlament diskutierte Gesetz sieht Geldbussen bis zu 360 Millionen Rial (gut 7465 Franken) und Gefängnisstrafen für Frauen vor, die das Tragen des Kopftuchs verweigern. Auch eine strengere Trennung der Geschlechter etwa in Schulen, Parks und Krankenhäusern wird gefordert. Prominenten drohen Auftritts- und Ausreiseverbote.

An der Vorlage regt sich bereits Kritik. Das Gesetz sei bedeutungslos und nicht durchsetzbar, weil sich die Mehrheit der Frauen nicht daran halte werde, sagt der bekannte Anwalt Mahmud Alisadeh Tabatabei. Das Oberste Gericht kippte als Präzedenzfall einen Beschluss, wonach das Auto einer Frau, die keinen Hidschab trug, für ein Jahr beschlagnahmt werden sollte. Der Fahrerin sollte zudem der Führerschein entzogen werden.

Auf den Strassen verzichten viele Frauen und Mädchen trotz möglicher Konsequenzen weiter auf den Hidschab. «Nachdem ich von dem Gesetz gehört habe, habe ich meine Entscheidung getroffen – ich werde mit Hidschab zur Schule gehen, aber ich ermutige meine Schülerinnen, ihn wo immer möglich abzulegen», sagt die 37-jähriger Lehrerin Modschgan. «Meine Schülerinnen sind mir dabei schon voraus.»