Verfassungsänderung nach 40 Jahren Kuba ändert seine mehr als 40 Jahre alte Verfassung

Andrea Rodríguez, AP

1.6.2018

Die kommunistische Führung in Kuba will sich mit der neuen Verfassung der post-sowjetischen Welt anpassen (Archivbild).
Die kommunistische Führung in Kuba will sich mit der neuen Verfassung der post-sowjetischen Welt anpassen (Archivbild).
Keystone

Das Leben in Kuba hat sich zunehmend von der Verfassung des Landes entfernt. Eine Kommission soll jetzt Reformen ausarbeiten. Unternehmer, Exil-Kubaner und Homosexuelle können auf mehr Rechte hoffen. Auch Führung und Parlament werden reformiert.

Kubas Verfassung stammt aus einer Zeit, in der sich die vom Zuckeranbau angetriebene Wirtschaft auf die Sowjetunion stützte, Bürger keine privaten Unternehmen führen durften und Homosexualität ein Tabu war. Jetzt will das Land sich eine neue Verfassung geben: Am kommenden Samstag setzt das Parlament eine Kommission ein, die sich dazu mit den Bürgern beraten und schliesslich eine Volksabstimmung auf den Weg bringen soll.

Die kommunistische Führung will sich so der post-sowjetischen Welt anpassen, in der Hunderttausende Kubaner selbstständig arbeiten, Überweisungen aus den USA und die Tourismusbranche die Wirtschaft am Laufen halten und die Tochter von Parteichef Raúl Castro sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt. Zwar haben Regierungsvertreter deutlich gemacht, dass es bei dem von der Kommunistischen Partei geführten System bleibt. Auch Meinungs- und Pressefreiheit sowie andere Rechte sollen durch die «Zwecke der sozialistischen Gesellschaft» beschränkt werden. Doch sowohl Castro als auch weitere führende Parteimitglieder hoffen offenbar, die Widersprüche zwischen dem System der strengen staatlichen Kontrolle und der neuen, offeneren Wirtschaft überwinden zu können.

«Kuba muss seine Verfassung ändern, weil sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahren radikal verändert hat»

«Kuba muss seine Verfassung ändern, weil sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahren radikal verändert hat», sagt der Politikwissenschaftler Lenier González. Er leitet Cuba Possible, eine Denkfabrik, die Reformen in den Grenzen des kubanischen Rechts und des Ein-Parteien-Systems unterstützt. González erklärt, die Gesellschaft sei internationaler geworden, es gebe unterschiedliche Formen des Besitzes und soziale Bewegungen, die sich am Rande der Legalität bewegten.

Viele kleine Unternehmen in Kuba beschäftigen inzwischen Mitarbeiter, obwohl die Verfassung es derzeit noch verbietet, «Einkommen zu erzielen, indem die Arbeitskraft anderer ausgebeutet wird». Genossenschaften sind nur in der Landwirtschaft erlaubt, doch die Behörden haben bereits andere Formen von Gesellschaften genehmigt - wenn auch mit engen Grenzen, um sie wirtschaftlich klein zu halten. Bislang ist es in Kuba zudem verboten, zwei Staatsbürgerschaften zu besitzen. Das steht aber den Bemühungen der Regierung entgegen, auf Exilkubaner zuzugehen.

Auch Regierung muss sich auf Wandel einstellen

Auch die Regierung muss sich wohl auf Wandel einstellen: Castro, der das Präsidentenamt vergangenen Monat an den 58-jährigen Miguel Díaz-Canel übergeben hat, schlägt eine begrenzte Amtszeit vor. Demnach sollen Präsidenten höchstens zweimal je fünf Jahre im Amt bleiben und ein bestimmtes Alter nicht überschreiten dürfen. Das ist ein krasser Gegensatz zu Castro und seinem Bruder Fidel, die fast sechs Jahrzehnte lang und bis zu einem Alter von mehr als 80 Jahren an der Macht waren.

Politikwissenschaftler González sagt, die Verfassungsreform könne helfen, die Legitimation von Díaz-Canel aufzubauen. Aber auch weitere Mitglieder der neuen Führungselite könnten profitieren, die nun endlich die Helden der Revolution von 1959 ersetzen.

Die kommunistische Parteizeitung «Granma» berichtet, die neue Verfassung werde die Rolle des Parlaments stärken. Bislang treffen sich die Abgeordneten zwei Tage im Jahr, hören Reden und stimmen Regierungsvorschlägen zu. Dem Bericht zufolge könnte der Kongress sich professionalisieren und seine Mitgliedschaft beschnitten werden. Momentan bekommen die 605 Abgeordneten kein anderes Gehalt als das, was sie in ihren anderen Jobs verdienen.

Rechte von Homosexuellen ausweiten

Die Abgeordnete Mariela Castro, Tochter von Raúl und Direktorin des Zentrums für Sexuelle Aufklärung, sagt, die Reform werde darüber hinaus die Rechte von Homosexuellen ausweiten. Bislang ist die Ehe in Kuba noch als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert - was der wachsenden Homosexuellen-Bewegung im Land entgegensteht. Nach der Reform könnte sich diese Definition ändern.

Kubas Verfassung ist mehr als 40 Jahre alt. Damals war der Inselstaat ein potenzieller Krisenherd im Kalten Krieg und eine Säule des Sowjetischen Blocks. Die Verfassung legt fest, Kuba werde sich am marxistisch-leninistischen Sozialismus ausrichten und sich solidarisch mit den Ländern der Dritten Welt, besonders in Lateinamerika, zeigen. Die Kommunistische Partei wird als «höchste Führungskraft» der kubanischen Gesellschaft bezeichnet. Das Wirtschaftssystem «gründet sich auf den sozialistischen Besitz der grundlegenden Produktionsmittel in der Hand des gesamten Volkes und auf der Unterbindung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen».

«Es ist eine historische Verfassung, die einzige in unserer Hemisphäre», die noch aus der Zeit des sowjetischen Sozialismus stamme, sagt Julio Antonio Fernández Estrada, Rechtsprofessor an der Universität von Havanna. «Sie spricht immer noch von Dingen, die es nicht in der Welt gibt, wie etwa von der Erziehung des Bürgers zum Kommunismus.» Raúl Castro habe seine wirtschaftlichen Reformen wenn auch vielleicht nicht gegen, dann aber grösstenteils trotz der Verfassung eingeführt.

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