Justiz Lage in der Schweiz laut früherer Mafia-Ermittlerin «sehr ernst»

sda

8.1.2022 - 21:54

Die frühere Schweizer Mafia-Ermittlerin Rosa Cappa mit ihrem Kollegen Pierluigi Pasi am Bundesstrafgericht in Bellinzona TI in einer Aufnahme von 2009. (Archivbild)
Die frühere Schweizer Mafia-Ermittlerin Rosa Cappa mit ihrem Kollegen Pierluigi Pasi am Bundesstrafgericht in Bellinzona TI in einer Aufnahme von 2009. (Archivbild)
Keystone

Die Schweiz muss im Kampf gegen die Mafia nach Ansicht einer früheren Fahnderin des Bundes ihren Ermittlungsansatz ändern. Ex-Bundesstaatsanwältin Rosa Cappa forderte in einem Interview spezialisierte Polizeieinheiten und strengere Gesetze gegen Mafia-Vermögen.

Keystone-SDA, sda

«Die Lage in der Schweiz ist sehr ernst», sagte Cappa in einem am Samstag publizierten Interview mit Blick.ch. Sie war von 2003 bis 2015 Staatsanwältin des Bundes. «Vor dreissig Jahren brachte die Mafia nur ihr Geld zu uns auf ihre Bankkonten. Heute leben ihre Leute unter uns. Sie haben sich eingenistet.»

Die im Tessin tätigte Anwältin sprach von rund 20 Mafia-Zellen in der Schweiz. Die Mafiosi und ihre Familien infiltrierten die Wirtschaft mit Investitionen in Restaurants, Hotels, Immobilien und Unternehmen, sagte sie. Über diese würden sie Geld waschen. Die Mafiosi würden in Dörfern leben, in die Kirche gehen, in Vereinen aktiv sein und Netzwerke bilden.

Die Schweiz vernachlässigte nach Ansicht von Cappa den Kampf gegen die Mafia und unterschätzte das Problem. «Sie leistete meist nur Rechtshilfe für Italien, wurde selber kaum aktiv», sagte die 54-Jährige. «Es ist bequem, einen Kriminellen auszuschaffen und so zu tun, als wäre damit das Problem gelöst.» Cappa warf der obersten Schweizer Ermittlungsbehörde, der sie damals selber angehörte, vor, aus Imagegründen aufwändige Mafia-Ermittlungen mit unsicheren Erfolgschancen aufgeben zu haben.

Gelder von Verwandten konfiszieren

Cappa forderte in der Schweiz spezialisierte Polizeieinheiten. Zudem brauche es Gesetze, die es erlaubten, Mafia-Vermögen zu beschlagnahmen. Unabhängig davon, ob ein Mafioso bereits verurteilt sei. «In Italien müssen sie um ihr Vermögen fürchten, hierzulande nicht.» Ausserdem müsse es möglich sein, auch die Gelder von Verwandten und Geschäftspartnern eines Mafioso zu konfiszieren.

Die kantonalen Polizeikorps, die geografisch am nächsten an den Mafia-Zellen dran seien, hätten heute kaum Ressourcen und Kompetenzen, erklärte die frühere Mafia-Ermittlerin. Die organisierte Kriminalität der Mafia sei Sache des Bundes, doch dieser fokussiere vor allem auf Wirtschaftsdelikte.

Bereits im Oktober hatte die Direktorin des Bundesamts für Polizei (Fedpol), Nicoletta della Valle, im Kampf gegen die Mafia einen besseren Informationsaustausch zwischen den Kantonen und dem Bund gefordert. Der Nationalrat verlangte im Dezember vom Bundesrat eine Analyse der Lage und nahm ein entsprechendes Postulat von Marco Romano (Mitte/TI) an. Die Regierung soll die Instrumente zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität analysieren und allfällige Gesetzesanpassungen prüfen.