Late Night USA «Kultur der Angst» – Abmahnwahn gegen kleinen Fisch

Von Philipp Dahm

11.11.2019

«Last Week Tonight»: Nach der Klage ist vor der Klage.
«Last Week Tonight»: Nach der Klage ist vor der Klage.

«Last Week Tonight» nimmt ein Problem auseinander, das auch in Europa leidlich bekannt ist: den Abwahnwahn. Ein anschauliches-amüsantes wie auch abstossendes Exempel liefert die Show selbst.

«Gerichtsprozesse – der Grund, warum im Satz ‹Greta Thunberg hat angeblich Jeffrey Epstein getötet› das Wort ‹angeblich› vorkommt.»

Mit diesem Satz, der beim geneigten Zuschauer so prall einschlägt wie eine Kanonenkugel, sind wir auch schon beim Thema der jüngsten Folge der «HBO»-Show «Last Week Tonight»: der Abmahnwahn. Gastgeber John Oliver hat diesen am eigenen Leib erfahren, wie er direkt einräumt.

So wie 2017, als sein Team und er über Bob Murray, den damaligen CEO des grössten amerikanischen Kohleförderers, berichtet haben: Es ging um die Nähe des «Murray Energy»-Bosses zu Donald Trump, sein Vorgehen gegen den Arbeiterschutz und den Versuch, den Einsturz einer Miene 2007 einem angeblichen Erdbeben unterzuschieben, obwohl eine Behörde 2008 illegale Abbautechniken dafür verantwortlich gemacht hat.

«Friss Scheisse, Bob»

Das fand der 79-Jährige nicht so lustig. Er drohte vorab nicht nur «Last Week Tonight» mit einer Klage, sondern auch dem Muttersender «HBO», der sich dann «im Kampf um seine Existenz» wiederfinden werde. Der Multimillionär hielt Wort. «Das ist zwei Jahre her, und weil es ein laufender Prozess war, konnten wir bisher nicht darüber diskutieren, doch nun hat Murray die Klage fallengelassen», erklärt John Oliver.

Die Show als Thema in den Nachrichten.
Die Show als Thema in den Nachrichten.

Was hat dem Mienen-Mann denn eigentlich missfallen? Da wäre die Beschreibung Murrays als «altersschwacher Dr. Evil». Auch dass ein menschengrosses Eichhörnchen während der Show einen Scheck überreicht hat, auf dem «Friss Scheisse, Bob» stand, entlockte seinen Anwälten nur ein müdes Lächeln.

Ähnlichkeiten rein zufällig: Dr. Evil aus «Ausrin Powers» und Kohle-Kumpel Bob Murray.
Ähnlichkeiten rein zufällig: Dr. Evil aus «Ausrin Powers» und Kohle-Kumpel Bob Murray.

Dabei gab es einen guten Grund dafür, wie ab Minute 2:29 zu sehen ist: Murray lobte damals nämlich Arbeiter-Prämien analog zur Fördermenge aus, was in einer Unterminierung der Vorschriften für die Sicherheit endete. Als ein Kohlekumpel, der das kritisiert hatte, einen Scheck über 3,22 Dollar mit dem besagten Fäkal-Imperativ zeichnete, kündigte ihm sein Arbeitgeber.

Nie trauriger gewesen

Eine harsche Reaktion – insbesondere, wenn man so zartbesaitet ist wie Murray. «Nichts hat ihn jemals mehr gestresst, als die bösartigen und unwahren Angriffe» von Oliver und Co., hatten seine Anwälte geschrieben. Ab Minute 4:11 kann man sehen, wie er dem konservativen Sender «Fox» sein Leid klagt.

«HBO» wegen Klage existenzbedroht? Selbstironischer Konter: Dann würden wir irgendwas Neues mit «Game Of Thrones» machen.
«HBO» wegen Klage existenzbedroht? Selbstironischer Konter: Dann würden wir irgendwas Neues mit «Game Of Thrones» machen.

Er habe nie etwas anderen getan, als das Gesetz zu achten, Jobs zu schaffen und das Beste für sein Land zu geben. «Diese Leute sind sehr böse», warnt Murray, dessen Vater nach einem Mienenunglück gelähmt war. Oliver kontert: «Das war offensichtlich nur ein arschiger Versuch, uns zum Schweigen zu bringen.» Weil der Fall im Februar 2018 vom Richter in West Virginia abgewiesen wurde, schlug auch der Versuch, den Beitrag von 2017 aus dem Internet zu tilgen – man findet ihn heute via denkwürdige URL StillOnTheInternetBigTime.com.

Allein: Murray ging in Revision, und Oliver und seine Redaktion mussten mit Schrecken zur Kenntnis nehmen, dass West-Virginia-Richter Allen Loughry die Sache übernehmen würde. Über den hatte sich «Last Week Tonight» 2015 lustig gemacht: Ab Minute 5:44 wird sein Wahlvideo auseinandergenommen, mit dem er sich um den Supreme-Court-Posten in dem US-Bundesstaat beworben hatte.

Richter-Hammer vereitelt sich selbst

«Zu behaupten, dass [der Richter] seinen Penis den Hammer nennt, ist vielleicht nicht die beste Wahl», lacht der Brite, der aber zugibt, dass alle deswegen nervös waren. Glück für die TV-Macher, dass Loughry nebst drei Kollegen wegen des Missbrauchs öffentlicher Gelder ihrer Ämter enthoben wurden. Zur Nachverhandlung kam es aber wegen der Pleite der «Murray Energy Corporation» nicht mehr: Die Klage wurde vor einigen Monaten zurückgezogen.

Richter Loughry – tönt fast genau wie «Law« und «Free«.
Richter Loughry – tönt fast genau wie «Law« und «Free«.

Doch ums Gewinnen sei es nie gegangen, glaubt der 42-jährige Gastgeber. Der Fall sei eine «SLAPP-Klage», wobei SLAPP für «Strategic Lawsuit Against Public Participation» steht. Auf gut Deutsch: Mit der Juristerei sollen Kritiker mundtot gemacht werden – hierzulande fällt das Ganze unter das Stichwort Abmahnwahn. Selbst wenn dabei die Vorhaben klar aussichtlos sind, wird geklagt, denn das Ziel ist vor allem Einschüchterung und Nervenkrieg.

In den USA mischen sogar höchste Stellen mit: Als Autor Tim O’Brien in einem Buch schrieb, Donald Trump hätte nur zwischen 150 und 250 Millionen Dollar auf dem Konto, verklagte ihn der US-Präsident auf utopische fünf Milliarden Dollar. «Wenn Trump den Fall gewonnen hätte, hätte er 5,2 Milliarden Dollar», tritt John Oliver nach. Nachdem der Vorstoss scheiterte, gab Trump im März 2016 zu, es sei bloss darum gegangen, O’Brien das Leben zu erschweren.

Kafkaeske Prozesse

Das ist das Wesen solcher Fälle: Auch wenn sie schon in den unteren Instanzen verworfen werden, können die Ressourcen der Gegenseite mit Anfragen, Gutachten und Revisionen erschöpft werden. Im Visier sind dabei nicht nur Journalisten, warnt der Moderator. «Teilweise werden sie genutzt, um bürgerliche Aktivisten mundtot zu machen.»

Tom Cruise gewinnt immer!
Tom Cruise gewinnt immer!

Beispiele folgen ab Minute 9:46: In Uniontown in Alabama wurden 2016 vier Einwohner verklagt, weil sie auf Facebook ihren Sorgen über die Lagerung von Umweltgiften auf einer lokalen Deponie Luft machten. Betreiber «Green Group» verlangte jeweils 30 Millionen Dollar – eine lächerliche hohe Summe in einer einkommensschwachen Gegend. Eine Bürger-Organisation half den Beklagten, der Fall wurde zurückgezogen ­ – doch seither haben Aktivisten Angst vor Courage, wie der Clip ab Minute 10:58 zeigt.

Juristen haben natürlich längst erkannt, dass derlei Klagen bloss einschüchtern sollen: 30 US-Bundesstaaten haben deswegen Gesetze gegen «SLAPP Suits» erlassen, die die kleinen vor den grossen Fischen schützen sollen. Nur: In den anderen 20 Staaten – wie West Virginia – gilt das nicht: Und hier kann ein Mienen-Millionär aus Ohio dann einen witzigen Wahl-New-Yorker wie John Oliver vor Gericht zerren.

Kultur der Angst

Bob Murray beispielsweise hat laut «Washington Post» zwischen 2001 und 2015 neun Journalisten angezeigt: Wie auch der Ausschnitt ab Minute 12:35 zeigt, hinterlässt das bei der vierten Gewalt Spuren – so nach dem Motto: Mit dem legt man sich besser nicht an. «Es ist genau diese Kultur der Angst, [durch die Murray] Leute dazu bringen will, zweimal zu überlegen, bevor sie seine Firmen melden oder auf Fakten hinweisen. Etwa jenes, dass Murrays Gesichtsausdruck die Frage beantwortet, wie ein Ei aussehen würde, wenn es dich im Geiste auszieht.»

BOB MURRAY: Der Vergleich mit EI HAT WAS ....
BOB MURRAY: Der Vergleich mit EI HAT WAS ....

Wie weit solche Klagen gehen können, zeigt der Fall von Jim und Lisa Ciocia, die mit rund 18 anderen Bürgern in Pepper Pike, Ohio, vor der «Murray Energy»-Zentrale protestierten – mit Schildern, die noch pfleglich mit «Mr. Murray» umgingen.

Sie mussten ebenso vor Gericht wie der Reporter der «Chragin Valley Times», der über die Mini-Demo berichtet hatte. Inklusive Berufung fielen Anwaltskosten im sechsstelligen Bereich an: Auch wenn der Mienen-Mann den Prozess verlor, findet man beim Lokalblatt keine Artikel mehr über den Protest.

Erfolglose Klage – dennoch am Ziel

So bekäme Murray letztlich doch, was er wolle, fasst Oliver zusammen. Die Folge: Über zwei laufende Prozesse oder frühere Klagen seiner Angestellten ist in den Medien kaum etwas zu finden. So wirft eine Frau Murray vor, er habe stets Dinge fallen lassen, die sie am Boden suchen und aufheben musste. Einmal soll es sich um seinen Nierenstein gehandelt haben, den er nach dem Ausscheiden aus der Toilette gefischt habe – was sie aber erst bei der Rückgabe erfahren habe. Der Beklagte bestreitet die Vorwürfe.

Das Show-Finale à la New York: «Last Week Tonight» lässt gross die Puppen tanzen.
Das Show-Finale à la New York: «Last Week Tonight» lässt gross die Puppen tanzen.
Screenshot: YouTube

Seinem Arbeitgeber habe Murray knapp 200'000 Dollar Anwaltskosten beschert. Den trage zwar die Versicherung – aber die erhöhe dann eben auch die Prämien. Er habe Glück, dass sein Sender hinter ihm gestanden habe, sagt der Gastgeber. Und für weitere beleidigende Aussagen sei deshalb kein Platz, seufzt der Sohn eines Sozialarbeiters und einer Musiklehrerin.

Deshalb singt er ab Minute 20:59 zum Showfinale eine grandiose Anti-Hymne: Wenn man subtilen Scherz schätzt, schmunzelt man beim Satz «Er masturbiert zu ‹Schindlers Liste›». Wer harten Humor mag, wird sich an der simplen Aussage «Wir sehen uns vor Gericht, Fuckface» erfreuen.

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