Late Night USA «Wir waren dumm, ihr seid schlau – jetzt lasst euch impfen!»

Von Philipp Dahm

23.11.2021

John Kemedy (links), Senator aus Louisiana, ist für Moderator Seth Meyers ein Relikt des Kalten Krieges.
John Kemedy (links), Senator aus Louisiana, ist für Moderator Seth Meyers ein Relikt des Kalten Krieges.
Screenshot: YouTube

Was macht eigentlich Amerika? Statt voran geht es rückwärts: QAnon-Fans warten auf auferstehende Tote, die Impfquote stagniert und politische Gegner riechen plötzlich wieder nach Kommunismus.

Von Philipp Dahm

23.11.2021

Weil diese Kolumne zuletzt ein wenig kurz gekommen ist, servieren wir heute keinen Einzel-Monolog, sondern machen bei den Late-Night-Hosts eine Runde und picken uns das Beste heraus, um zu schauen, was gerade so geht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Spoiler Alert: Es geht vor allem gegeneinander. Deshalb starten wir mit «Jimmy Kimmel Live», wo es noch relativ beschaulich zu- und hergeht. Was hat Amerika bewegt? Der Geldtransporter, der auf dem Highway jede Menge Dollar verloren und Bilder produziert hat, die glückliche weisse Autofahrer mit Händen voller Scheinen zeigen.

Zu früh gefreut: Straftat statt Geldsegen.
Zu früh gefreut: Straftat statt Geldsegen.
Screenshot: YouTube

Zwei Personen werden deswegen aber auch abgeführt, von denen eine schwarz ist. «Weil das Geld der Regierung gehört, ist es nach Bundesrecht strafbar, es zu nehmen», erklärt Kimmel. Die armen Teufel, die sich alle beim fröhlichen Dollar-Sammeln gefilmt haben ... Apropos: Es gibt noch immer Amerikaner, die an die Auferstehung der Toten glauben.

Denn die QAnon-Anhänger, die in Dallas auf eine Rückkehr von John F. Kennedy oder John F. Kennedy Jr warten – der treue Leser erinnert sich –, sind noch immer da. Über 100 von ihnen haben sich am 50. Jahrestag von JFKs Ermordung versammelt. «Vielleicht brauchen diese Leute nur einen Grund, an Thanksgiving nicht zu Hause sein zu müssen», lästert Kimmel.

Unverbesserliche QAnon-Anhänger: Warten auf die Kennedys in Dallas – mal wieder vergeblich.
Unverbesserliche QAnon-Anhänger: Warten auf die Kennedys in Dallas – mal wieder vergeblich.
Screenshot: YouTube

Eine Impfquote, tiefer als in der Schweiz

Ein Thema, das dies- wie jenseits des Atlantiks die Gemüter erhitzt, ist die Impfung. Nachdem Joe Biden ein Obligatorium für Bundes-Bedienstete angeordnet hat, sind 95 Prozent von ihnen geschützt, erklärt der Moderator. Ansonsten liege die Impfquote aber unter 60 Prozent. Und was macht der 54-Jährige nun daraus?

Late Night USA – Amerika verstehen
Blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

«Das ist wenig», so Kimmel, «aber das heisst, dass über 100 Millionen geimpft sind. An all jene Impfgegner, die sagen ‹Ich warte ab und gucke, was passiert›: Es funktioniert. Die meisten von uns sind seit einem Jahr geimpft, und es ist gut. Wir sind nicht magnetisch oder unfruchtbar, unsere Hoden haben nicht die Grösse von Honigmelonen. Ihr wolltet, dass wir die Versuchskaninchen spielen? Glückwunsch, waren wir, ihr habt es geschafft. Wir waren dumm, ihr seid schlau – und jetzt geht und lasst euch impfen!»

Kommen wir zu Donald Trump: Der Ex-Präsident hat auf seinem Haus- und Hofsender «Fox» sein erstes Buch «Our Journey Together» vorgestellt. Kimmel lacht: «Es hat sich mehr wie eine Tortur [als eine Reise] angefühlt.» Trump sagt über den Bildband: «Ich liebe unser Land. Einer der Gründe, warum ich das Buch gemacht habe, ist, dass es wirklich ein wunderschönes Buch ist, und es sind wirklich wunderschöne Fotos und es gibt vornehmlich positive Kommentare darin.»

Ein Bild von einer Präsidentschaft

Kostenpunkt: 75 Dollar. Für 230 Dollar bekommt man ein signiertes Exemplar. «Das Buch wird von seinem Sohn herausgegeben», sagt Kimmel ungläubig und lacht, «und DJ TJ behauptet, sein Dad habe jedes einzelne Foto selbst ausgewählt und die Erklärungen selbst geschrieben.» Es sind aber nicht jene Bilder, die ab Minute 6:03 kommen: Diese Schnappschüsse aus der Zeit zwischen 2016 und 2020 würde der Ex-Präsident wohl gern vergessen.

Unvergessen bleibt auch die Wahl im vergangenen November, über die die Republikaner noch immer nicht hinweg sind. «Ein substanzieller Teil des Landes hat echte Zweifel an der Lauterkeit der Wahl», sagt in «Late Night with Seth Meyers» der texanische Senator Ted Cruz und fordert eine Wahlkommission, die alles untersuchen soll. Medien und Demokraten setzten jedoch lieber auf Brandreden, statt den Betrug einzuräumen.

«Also», holt Seth Meyers nach dem Clip aus, «in über 60 Fällen wurden die Beweise untersucht und nicht in einem wurden Trumps Behauptungen bestätigt. Darunter waren auch Richter, die Trump selbst ernannt hat, sowie der republikanisch dominierte Oberste Gerichtshof. Hast du das alles vergessen?», ruft Meyers Cruz zu.

Schreckgespenst Kommunismus

Tatsächlich hatte der texanische Vizegouverneur eine Woche nach der Wahl eine Belohnung von einer Million Dollar für entsprechende Hinweise ausgelobt. Fast ein Jahr später hat Dan Patrick nun erstmals gezahlt. Und zwar 25'000 Dollar. Das Geld hat ein Anhänger der Demokraten aus Pennsylvania eingestrichen, der einen Republikaner verpetzt hat. Der 72-Jährige verkleidete sich mit Baseballcap und Sonnenbrille als sein Sohn, um zweimal abzustimmen.

Es geht in Washington nur noch um Fundamentalopposition, zeigt «Late Night with Seth Meyers» durch eine Anhörung auf. Es geht um Saule Omarova, die im damals noch sowjetischen Kasachstan geboren worden ist und Joe Bidens oberste Währungshüterin werden soll. Senator John Kennedy aus Louisiana traut der Kandidatin aber nicht, die 1991 mit 25 Jahren in die USA gekommen ist.

Saule Omarova muss ich von den Republikanern einiges anhören.
Saule Omarova muss ich von den Republikanern einiges anhören.
Screenshot: YouTube

«Ich weiss nicht, ob ich sie Professor oder Genosse nennen soll», sagt Kennedy ab Minute 4:53. «Ich bin keine Kommunistin», antwortet die 55-Jährige. «Ich konnte mir nicht aussuchen, wo ich geboren worden bin.» Ihre Familie habe unter den Sowjets gelitten. Sie sei stolz, Amerikanerin zu sein. Der Republikaner lässt jedoch nicht locker. Ist Omarova nicht bei den Jungen Kommunisten gewesen, will er wissen?

Dialog des Grauens

Omarova: «Senator, beziehen Sie sich auf meine [obligatorische] Mitgliedschaft in der kommunistischen Jugendorganisation, als ich in der Sowjetunion aufgewachsen bin?»
Kennedy: «Ich weiss nicht, ich wollte bloss fragen.»
Omarova: «Jeder in diesem Land war Mitglied der Komsomol.»
Kennedy: «Also waren Sie ein Mitglied?»
Omarova: «Das war normal in der Schule.»
Kennedy: «Sind Sie ausgetreten?»
Omarova: «Man wächst mit dem Alter automatisch heraus.»
Kennedy: «Haben Sie nicht trotzdem eine schriftliche Kündigung geschickt?»
Omarova: «Ab einem bestimmten Alter war man automatisch nicht mehr Mitglied.»
Kennedy: «Können Sie Ihre Unterlagen durchgehen und gucken, ob Sie noch eine Kopie haben?»

Diese Fundamental-Opposition habe auch Kevin McCarthy an den Tag gelegt, als der republikanische Fraktionsführer fast neun Stunden geredet hat, um die Abstimmung über ein Sozialpaket zu verunmöglichen, das kostenfreie Vorschulen, höhere Kinder-Steuerabzüge und bessere Gesundheitsversorgung ermöglichen soll – zu sehen ab Minute 8:59.

Stimme des Volkes? Kevin McCarthy bei Fox News.
Stimme des Volkes? Kevin McCarthy bei Fox News.
Screenshot: YouTube

Als McCarthy später auf Fox News gefragt wird, wie es seiner Stimme gehe, sagt er: «Meine Stimme ist immer noch stark, weil sie stark ist für die Amerikaner.» Es sei ihm nicht darum gegangen, Rekorde zu brechen. «Es ging darum, diese Vorlage zu brechen.»

Wie soll es bloss weitergehen in der US-Politik? So jedenfalls nicht – und man kann nur hoffen, dass diese unseligen Fundamental-Grabenkämpfe, die nur in Stillstand münden, nicht auch zu uns herüberschwappen.