Staatspleite in Sicht? Lira auf Rekordtief - Streit zwischen Türkei und USA verschärft sich

dpa

12.8.2018

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) warnt in Richtung US-Präsident Donald Trump (links) vor einem Ende der Partnerschaft zwischen den beiden Ländern. (Archivbild)
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) warnt in Richtung US-Präsident Donald Trump (links) vor einem Ende der Partnerschaft zwischen den beiden Ländern. (Archivbild)

Ein provokanter Trump-Tweet, mehrere kämpferische Erdogan-Reden und ein zu vages Rettungspaket für die angeschlagene türkische Wirtschaft - nun ist die Landeswährung Lira auf einem neuen Rekordtief. Analysten spielen schon die Staatspleite durch.

Im Streit zwischen dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und US-Präsident Donald Trump hat sich der Ton stark verschärft - mit schweren Folgen für die türkische Wirtschaft. Erdogan sprach in mehreren kämpferischen Reden von «Kampagnen» gegen das Nato-Mitglied Türkei und einem «Wirtschaftskrieg». In einer Ansprache in Rize am Schwarzen Meer sagte er am Samstag, die Kugeln, Granaten, Raketen in diesem Krieg seien «Dollar, Euro oder das Gold». Er drohte damit, denen «die Hände zu brechen, die diese Waffen abfeuern».

Lira um fast 20 Prozent eingebrochen

Im Laufe des Freitags war die Landeswährung Lira teilweise um fast 20 Prozent eingebrochen. Für einen Dollar wurden zeitweise 6,87 Lira fällig. Insgesamt hat die Währung seit Jahresbeginn zum Dollar mehr als 70 Prozent an Wert verloren, zum Euro rund 61 Prozent.

Trump hatte zuvor angekündigt, Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der Türkei zu verdoppeln - Hintergrund ist der Konflikt um die Festsetzung des US-amerikanischen Pastors Andrew Brunson in der Türkei wegen Terrorvorwürfen.

Erdogan: Türkei bald auf der Suche nach neuen Verbündeten

In einem Gastbeitrag in der «New York Times» warf Erdogan dem Nato-Partner USA Respektlosigkeit vor. Sollte das so weitergehen, werde seine Regierung damit beginnen, «nach neuen Freunden und Verbündeten zu suchen», schrieb Erdogan. Damit meint er unter anderem Russland - wo das nächste Treffen kurz bevorsteht. Am Montag und Dienstag ist der russische Aussenminister Sergej Lawrow in Ankara zu Besuch. Nach Informationen aus dem Aussenministerium in Ankara steht dann unter anderem ein Treffen mit Minister Mevlüt Cavusoglu auf dem Programm.

Erdogan dementierte am Wochenende mehrmals, dass die türkische Wirtschaft in einer Krise stecke. «Das ist keine Wirtschaft, die bankrott geht, die untergeht oder die durch eine Krise geht», sagte er in der Ansprache in Rize.

Türkische Wirtschaftsbosse, von denen bisher viele zu seinen Unterstützern zählen, sehen das aber zum Teil anders. Die Zeitung «Sabah» zitierte den Chef der Istanbuler Industriekammer, in der einige der wichtigsten Industriellen des Landes organisiert sind, mit der Bitte um dringende Massnahmen der Regierung. Der Lira-Verfall riskiere die finanzielle Stabilität des Landes.

Erdogans Lösung: Zinsen senken und mehr produzieren

Erdogan bestand am Wochenende allerdings weiterhin auf seiner umstrittenen Meinung: Die Lösung sei, die Zinsen zu senken und mehr zu produzieren. Der Präsident liegt damit seit Jahren diametral entgegengesetzt zur gängigen Wirtschaftslehre, wonach Zinserhöhungen die Währung stärken und die Inflation bekämpfen. Die hat in der Türkei inzwischen die 15-Prozent-Marke überstiegen.

Mit der Wiederholung dieses von Investoren und Märkten viel kritisierten Credos sabotierte der Staatspräsident gleichzeitig ein Massnahmenpaket zur Rettung der angeschlagenen Wirtschaft, das sein Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak am Freitag in Ankara vorgestellt hatte. Das «neue Wirtschaftsmodell», das Märkte und Investoren beruhigen sollte, blieb allerdings vage - was den Absturz der Lira weiter beschleunigte. Mittlerweile wird nach Einschätzung einiger Analysten an den Märkten schon die Möglichkeit einer Staatspleite der Türkei durchgespielt.

Feindbild USA

Verantwortung für die Krise übernahm Erdogan nicht. Stattdessen erhob er die USA und den Westen zum Feindbild. «Sie bedrohen uns», sagte Erdogan am Samstag in der Schwarzmeerprovinz Ordu mit Blick auf die USA. Die Türkei werde aber nicht nachgeben: «Man kann diese Nation nicht mit Drohungen zähmen.» In einer anderen Ansprache hatte er die Menschen um Zusammenhalt gebeten. Solidarität sei die beste Antwort auf die Kampagnen des Westens.

In dem «NYT»-Gastbeitrag warf Erdogan der Trump-Regierung vor, den türkischen Prediger Fethullah Gülen nicht auszuliefern, den Erdogan für den Putschversuch von 2016 verantwortlich macht. Der Präsident schrieb, der Putschversuch ähnele dem, «was das amerikanische Volk zweifellos nach Pearl Harbor und den Angriffen vom 11. September erlebt hat». Ausserdem sei die Reaktion der USA nach dem Putsch «alles andere als zufriedenstellend» gewesen. «Das türkische Volk hatte erwartet, dass die Vereinigten Staaten die Attacke eindeutig verurteilen und ihre Solidarität mit der gewählten Führung der Türkei ausdrücken. Das haben sie nicht getan.»

Ab Montag Strafzölle auf Stahl aus der Türkei

Nach Angaben des Weissen Hauses sollen die neuen Strafzölle auf Stahl aus der Türkei in Höhe von 50 Prozent von diesem Montag an gelten. Aluminium aus der Türkei soll nach Trumps Worten künftig mit Zöllen von 20 Prozent belegt werden. Nach Angaben des türkischen Handelsministeriums hat das Land 2017 Eisen, Stahl und Aluminium im Wert von 1,1 Milliarden Dollar (950 Mio Euro) in die USA exportiert - 0,7 Prozent aller Ausfuhren. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kritisierte Trumps Wirtschaftspolitik mit Sanktionen und Strafzöllen scharf. «Dieser Handelskrieg verlangsamt und zerstört Wirtschaftswachstum und produziert neue Unsicherheiten», sagte er der «Bild am Sonntag».

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