Premierministerin Theresa May will Grossbritannien nach dem Brexit in eine Freihandelszone mit der Europäischen Union führen. In dem am Donnerstag veröffentlichten Weissbuch zum EU-Austritt heisst es, dass dies für Waren gelten soll.
In einem Punkt rückte Mays Regierung von der bisherigen Linie ab: So sollen für den im Königreich wichtigen Finanzsektor künftig andere Regeln gelten können. In vielen anderen Bereichen will Mays Regierung dagegen die Vorschriften der EU übernehmen. Die Weissbuch-Pläne hatten zum Rücktritt der Brexit-Hardliner David Davis und Boris Johnsons von ihren Minister-Ämtern geführt. Das Echo auf das Weissbuch, auch in Deutschland, fiel gemischt aus.
In dem 98 Seiten starken Weissbuch heisst es, dass es "neue regulatorische Vereinbarungen" mit der EU im Bereich der Finanzdienstleistungen geben soll. Diese sollten eine erweiterte Version der bestehenden Bestimmungen sein. Die jetzigen Vorgaben müssten erweitert werden, da sie nicht ausreichten, um die Vernetzung der Finanzmärkte Grossbritanniens und der EU widerzuspiegeln.
In der EU gibt es sogenannte äquivalente Vereinbarungen mit Nicht-EU-Staaten, die Finanzdienstleistern aus diesen Ländern einen begrenzten Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglichen.
Schlag für Finanzsektor
Widerspruch kam prompt vom Finanzplatz City of London. "Das heutige Brexit-Weissbuch ist ein wirklicher Schlag für den Finanzsektor und damit verbundene Bereiche des Vereinigten Königreichs", sagte die für den Bezirk zuständige Politikerin Catherine McGuinness. Mit loseren Verbindungen nach Europa werde es für die Branche schwieriger, Arbeitsplätze zu schaffen, Steuern aufzubringen und Wachstum zu erzeugen, das der Gesamtwirtschaft zugutekomme.
Beim deutschen Bankenverband BdB wurden die britischen Vorschläge für den Finanzsektor dagegen als "bisher realistischste Gesprächsgrundlage" gelobt. Hauptgeschäftsführer Andreas Krautscheid sprach vom Versuch, auf Basis der bestehenden Instrumente "möglichst nahe beieinander zu bleiben".
Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz reagierte kühl auf die Vorschläge aus London. Er bedauere, dass es "jetzt sehr schwierig wird für das Finanzsystem in Grossbritannien", sagte Scholz vor einer regulären Sitzung der Euro-Finanzminister in Brüssel. Klar sei aber, dass die EU ihre eigenen Entscheidungen in den etablierten Institutionen treffen müsse. "Da kann es dann nicht weitere Gesetzgeber ausserhalb geben."
EU-Chefunterhändler Michel Barnier twitterte, dass die EU die Vorschläge aus London nun sorgfältig im Rahmen der Leitlinien des Europäischen Rates prüfen werde. Das Angebot der Staatengemeinschaft sei ein ambitioniertes Freihandelsabkommen, dass eine effektive Kooperation in vielen Bereichen umfasse. Dazu gehöre auch eine starke Partnerschaft in Sicherheitsfragen.
Freier Warenaustausch
Der Kern von Mays Vorschlägen bildet ein freier Warenaustausch zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Damit sollten die zahllosen Lieferketten geschützt und pünktlichen Zustellungen gewährleistet werden. Dazu will die britische Regierung gemeinsame Regeln für alle Waren inklusive Agrarprodukte beibehalten. Die deutsche Industrie sieht aber noch viele offene Fragen. Ihr Verband BDI fürchtet insbesondere viel neue Bürokratie.
Die im Weissbuch geäusserten Vorstellungen zielen offenbar auch darauf ab, feste Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu verhindern. Die erste Reaktion der irischen Regierung fiel positiv aus. Aussenminister Simon Coveney sagte, dass es zu einem harten Brexit ohne jede Vereinbarung komme, sei nun sehr unwahrscheinlich. Die neue britische Position sei ein Fortschritt.
Einigung in Reichweite
Der neue britische Brexit-Minister Dominic Raab äusserte sich zuversichtlich, dass eine Einigung mit der EU über die Bedingungen des Austritts seines Landes aus der Staatengemeinschaft in Reichweite sei. Raab ist Nachfolger von David Davis, der am Wochenende aus Protest gegen die Pläne Mays zurückgetreten war. Auch Aussenminister Boris Johnson hatte deshalb seinen Hut genommen. Beide fordern eine harte Verhandlungslinie gegenüber der EU.
Im Bereich Luftfahrt will die britische Regierung dem Weissbuch zufolge weiter an der in Köln ansässigen EU-Agentur für Flugsicherheit (Easa) teilhaben und gegenseitige Flugrechte für den EU-Luftraum behalten. Auf Stimmrechte wollen die Briten bei der Easa verzichten, zugleich aber einen finanziellen Beitrag leisten. Auch an den EU-Sicherheitsbehörden Europol und Eurojust will sich die Regierung in London finanziell beteiligen und deren Regeln akzeptieren.
Die Europäische Menschenrechtskonvention soll auch weiter für das Vereinigte Königreich gelten. Im für Grossbritannien wichtigen Bereich der Fischerei plädiert die Regierung in London für einen Zugang zu europäischen Gewässern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Fischbestand. Grossbritannien will am 29. März 2019 aus der EU austreten.
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