Erschöpfter DiktatorLukaschenkos Schwäche spielt Moskau in die Karten
Von Andreas Fischer
17.5.2023
Belarussischer Machthaber Lukaschenko lebt noch
Fast eine Woche lang hatte sich der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Bei einem letzten Auftritt in Moskau machte er zudem einen angeschlagenen Eindruck. Nun hat Lukaschenko wieder einen öffen
16.05.2023
Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko zeigt sich wieder öffentlich. Doch es bleiben Zweifel an seiner Gesundheit. Dies könnte Putin in die Hände spielen: Im Kreml gibt es Pläne für eine Annexion.
Von Andreas Fischer
17.05.2023, 17:28
Von Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko hatte sich zuletzt mehrere Tage lang nicht öffentlich gezeigt. Es wurde spekuliert, dass er gesundheitlich schwer angeschlagen ist.
Um diese Gerüchten zu zerstreuen, veröffentlichte das Präsidialamt mehrere aktuelle Fotos Lukaschenkos: Der Diktator wirkte darauf sichtlich erschöpft.
Bei der belarussischen Opposition wächst die Befürchtung, dass Russland die Schwäche Lukaschenkos ausnutzen könnten, um das Land zu annektieren.
Eine Woche lang war Alexander Lukaschenko abgetaucht: Am 9. Mai hatte der belarussische Diktator noch gemeinsam mit seinem Freund Wladimir Putin in Moskau den «Tag des Sieges» gefeiert. Danach aber war er von der Bildfläche verschwunden: Seine Gesundheit, so wurde spekuliert, mache Probleme.
Anfang der Woche zeigte sich Lukaschenko wieder – und gab dabei kein gutes, zumindest kein vitales Bild ab. Im Gegenteil: Die Fotos, die sein Minsker Präsidentenbüro veröffentlichte, waren kaum geeignet, Zweifel an Lukaschenkos schlechtem Gesundheitszustand zu zerstreuen.
— Mykola ✙ Pischanskyi (@pischanskyi2525) May 16, 2023
Auf dem ersten Bild erinnerte der Minsker Machthaber an eine Wachspuppe aus dem Kabinett von Madame Tussaud. Wohl auch wegen des Spotts in sozialen Medien wurde das Foto schnell wieder gelöscht und gegen Aufnahmen ausgetauscht, die Lukaschenko offenbar bei der Inspektion der Luftwaffe zeigen.
Zu schwach für Putins Frühstück
Beobachter gehen davon aus, dass Minsk mit den Fotos Gerüchte und Berichte entkräften wollte, Lukaschenko sei ernsthaft erkrankt. Schon am 9. Mai bei der Feier zum russischen Tag des Sieges auf dem Moskauer Roten Platz wirkte er deutlich erschöpft: So fehlte er nach der Parade bei einem kurzen Spaziergang der anwesenden Staats- und Regierungschefs zum etwa 300 Meter entfernten Grab des unbekannten Soldaten.
Medienberichten zufolge war Lukaschenko mit einem kleinen Elektrowagen zum Denkmal gefahren. Anschliessend liess er ein vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgerichtetes Frühstück ausfallen und hielt in Minsk zum ersten Mal seit knapp 30 Jahren keine Rede zum «Tag des Fahneneids».
Trotz der Fotos von Anfang der Woche wirft der Gesundheitszustand Lukaschenkos weiter Fragen auf. Der belarussische Oppositionspolitiker Pawel Latuschka hat dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Berichte bestätigt, denen zufolge der Machthaber angeschlagen ist.
Probleme mit Atmung und Herzmuskel
«Wir können definitiv sehen, dass Lukaschenko krank ist», sagte der im Warschauer Exil lebende Latuschka unter Berufung auf Regierungsquellen in Minsk. «Er sieht sehr schlecht aus, er hat Probleme mit seiner Atmung und seinen Stimmbändern. Nach unseren Informationen hat er eine starke Virusinfektion mit der Komplikation einer Myokarditis – einer Entzündung des Herzmuskels».
Die ebenfalls im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ist darüber besorgt. Sie weiss, dass «in Ländern, in denen eine Diktatur herrscht, das gesamte System zusammenbricht, wenn ein Führer verschwindet».
Tichanowskaja hat die Bevölkerung aufgerufen, sich auf einen politischen Wechsel vorzubereiten. «Wir müssen auf jedes Szenario gut vorbereitet sein. Um Belarus auf den Weg der Demokratie zu bringen und eine Einmischung Russlands zu verhindern», schrieb sie bei Twitter.
There are many rumors about the dictator Lukashenka's health. For us, it means only one thing: we should be well prepared for every scenario. To turn Belarus on the path to democracy & to prevent Russia from interfering. We need the international community to be proactive & fast. pic.twitter.com/qfnsnPYBMZ
— Sviatlana Tsikhanouskaya (@Tsihanouskaya) May 15, 2023
Schleichende Annexion durch Russland
Die Befürchtung einer russischen Einmischung ist nicht unbegründet. Im Februar konnten Investigativjournalisten, unter anderem von der ARD, ein internes Strategiepapier des Kremls auswerten. Westliche Sicherheitsbehörden stuften das Dokument als authentisch ein: Offenbar bereits im Sommer 2021 verfasst, beschreibt es auf 17 Seiten den Plan für eine schleichende Annexion der unabhängigen Nation Belarus durch Russland. Dies solle mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln geschehen.
«Lukaschenko verkauft bereits Stück für Stück unser Land an den Kreml», mahnte Tichanowskaja erst am Montag auf dem Kopenhagener Demokratie-Gipfel. «Die schleichende Besetzung durch Russland», fügte sie hinzu, «ist in allen Bereichen zu spüren: Militär, Kultur, Wirtschaft, Medien». Russland ziehe die Schlinge um Belarus immer weiter zu: «Unsere Unabhängigkeit steht auf dem Spiel.»
Das geleakte russische Strategiepapier stützt die Einschätzung der belarussischen Oppositionsführerin. Moskaus Ziel ist es, den «vorherrschenden Einfluss der Russischen Föderation in den Bereichen Gesellschaft, Politik, Handel, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Kultur und Information» sicherstellen.
Zimperlich wolle man dabei nicht vorgehen. So sollen beispielsweise der Seehandel auf russische Häfen beschränkt werden und belarussische Kinder in «patriotische Zentre»n nach Russland geschickt werden.
Putins Soldaten sind schon da
Zudem will der Kreml die russische Militärpräsenz in Belarus ausbauen. Dagegen hat sich Alexander Lukaschenko bislang gewehrt, obgleich mit schwindendem Erfolg. Seit Herbst 2022 sind Tausende russische Soldaten in Belarus stationiert und werden im Nachbarland zum Teil auch ausgebildet. Gemeinsame Übungen sollen eine koordinierte Kampfführung der Streitkräfte beider Länder ermöglichen und schlussendlich will Russland in einem gemeinsamen Kommandosystem die Kontrolle übernehmen.
«Russlands Ziel ist es», sagt der belarussische Politikwissenschaftler und Historiker Valery Karbalevich, «Belarus in eine Marionette zu verwandeln, um es so eng an sich zu binden, dass Belarus unter jeder Regierung oder jedem Präsidenten in der Sphäre der geopolitischen Kontrolle Russlands bleiben würde.» Dies «selbst nach Lukaschenkos Abgang».
Mit Material der Nachrichtenagenturen AP, dpa und AFP.